Wahrnehmung/-barkeit kleiner Parteien

Liebes Lage-Team,

ich bin Gemeinschaftskundelehrer an einem Berufsschulzentrum, begeisterter Lage-Hörer und immer auf der Suche nach verlässlichen Informationen.

Bei der Suche nach den Umfrageergebnissen der „Sonstigen“ würde ich mir wünschen, dass zumindest für interessierte Menschen / Experten die Umfrageergebnisse zumindest in manchen Umfragen zumindest gelegentlich aufgeschlüsselt würden insofern, dass wir Wahlberechtigten in etwa ein Bild davon haben, welche Parteien ggf. eine Chance haben könnten bzw welche umrelevant abschneiden würden. Gerade Menschen, die weniger vertieftes politische Interesse/Wissen haben, fehlt zur Orientierung hier eine wichtige Information…

Ich würde mich freuen, wenn darüber mehr berichtet würde, was kleine Parteien möchten und deren Umfrageergebnisse transparent wären.

Wenn dies bei Ihnen behandelt würde und Sie bei den Umfrageinstituten nachfragten, würde ich das als einen ersten relevanten Schritt empfinden.

Besten Dank und viele Grüße

Jonas

Aufgrund der Streuung könnte das falsche Hoffnungen wecken.

Bei 1.000 Teilnehmenden beträgt die Genauigkeit 0,032 beziehungsweise die Fehlertoleranz 3,2 Prozentpunkte in beide Richtungen. Je größer die Stichprobe, desto genauer wird die Umfrage, aber Aufwand und Genauigkeit steigen nicht proportional. Mit 2.000 Teilnehmern sinkt die Fehlergrenze auf 2,2 Prozentpunkte, bei 10.000 auf 1 Prozent.
Hintergrund: Repräsentative Meinungs- und Wahlumfragen, Umfrageinstitute und wie sie arbeiten | MDR.DE

Die Forschungsgruppe Wahlen schreibt zur aktuellen Umfrage:

Die Linke könnte mit 7 Prozent (plus 1) rechnen, das BSW weiterhin mit 4 Prozent und die sonstigen Parteien zusammen mit 5 Prozent (minus 1), darunter keine Partei, die mindestens drei Prozent erzielen würde.
Forschungsgruppe Wahlen > Aktuelles > Politbarometer

Noch ein Gedanke:
Ich finde die 5%-Hürde hat durchaus seine Berechtigung, aber diese sollte nicht dazu dienen, dass man am Ende nicht mehr die Partei seiner Überzeugung wählt, sondern das „kleinere Übel“ der etablierten Parteien, die es in den Bundestag schaffen.
Ich finde deswegen den Vorschlag von manchen Wahlrechtsexpert°innen und Parteien sehr sinnvoll unser Wahlrecht um ein „Ersatzstimmwahlrecht“ zu ergänzen.
Mein Vorschlag wäre konkret:
Bei Erststimme UND Zweitstimme wird es jeweils auf dem gleichen Wahlzettel eine „Ersatzstimme“ geben, die in dem Fall greift, dass mein°e Kandidat°in bzw. meine Partei keine Chance auf Einzug ins Parlament hat. Bspw. ich unterstütze die FDP, sie käme aber nicht ins Parlament, dann wäre meine Stimme ja am Ende nicht im Parlament repräsentiert… in dem Fall würde meine Ersatzstimme greifen, bei der ich bspw. die CDU wähle. (Wenn auch die Ersatzstimme nicht erfolgreich ist, dann ist das halt so… ansonsten müsste man in dem Fall, dass ich Tierschutzpartei und die PARTEI wähle ja auch noch mehr Ersatzstimmen verteilen.)
Bei der Erststimme würde ich mich auch für meinen präferierten Kandidaten von bspw. Volt entscheiden und als Ersatz für den Kandidaten von den Grünen. Wenn dieser auch trotz der Einrechnung der Ersatzstimmen keine Chance hat, gewinnt eben eine weitere Option…z.B. die Kandidatin der CDU.

Es ist komplizierter bei der Umsetzung, aber auch keine unüberwindbare Hürde.
v.a. wenn man technisch-gestützte (Anwendungs-/Wahl- bzw.) Auszählungsmethoden anwenden würde.

@der_Matti
Das ist mir beides durchaus bewusst… meine These ist aber, dass aufgrund fehlender Sichtbarkeit sich hier die Katze in den Schwanz beißt. Die kleinen/sonstigen Parteien sind nicht sichtbar bei Umfragen (=werden zusammen als Gruppe von 22 sehr unterschiedlichen Parteien als „Sonstige“ dargestellt) und bekommen daher auch keine/sehr wenige Repräsentationsmöglichkeiten bei öffentlich-rechtlichen oder anderen traditionellen Medien, bei lokalen Wahldiskussionsrunden etc. (denn auch dort wird mit den 3% argumentiert, die offenbar nicht erreicht werden, wobei niemand die Werte aufgeschlüsselt bekommt, da keins der Umfrageinstitute die Werte von „Sonstige“ transparent macht). Das führt wiederum dazu, dass Menschen die Partei nicht ausreichend wahrnehmen und daher vermuten, dass ihre Stimme wahrscheinlich „verschwendet“ wäre, da die Partei – so die Vermutung – keine Chance auf Einzug ins Parlament hat. Es gibt also einen Kreislauf, aus dem die Parteien nur schwer ausbrechen können.
Die Umfrageinstitute sprechen von ihrer Fehlergrenze von ca. 2-3,5% als Begründung der ausbleibenden Darstellung der kleinen Parteien.
Beispiel, um es zu untermalen:
Die FDP erscheint aktuell bei meist 4%, genau wie das BSW. +/- 3,5% => könnten das 7,5-0,5% sind innerhalb der Fehlertoleranz.
Bei der Europawahl hatten Linke, Freie Wähler und Volt alle etwa 1 Mio+ Stimmen = 2,6/2,7%, davon ausgehend würden 3 Parteien bei den Umfragen alle (bei idealer Umfragemessung) sehr knapp an den „magischen“ 3% der Wahrnehmbarkeitsgrenze scheitern und bei Umfragen nicht ausgewiesen werden.
Ich nehme einmal an, dass diese Wählergunst bei Volt und den FW auch bei den Bundestagswahlen nicht komplett abwegig ist und ggf. auch noch Zuwächse ggü der Europawahl möglich sind… (Ergebnisse Deutschland - Die Bundeswahlleiterin)
Ausgehend von 2,6/2,7% mit einer +/-3,5% Fehlertoleranz ergäben sich Werte zwischen 6,2-0%, es ist also sehr wohl denkbar, dass bei falscher Messung (unwahrscheinlich aber nicht undenkbar) die Partei Volt und Freie Wähler aktuell in der Wahlgunst oberhalb von Linke, BSW und FDP lägen und wir aber davon nichts mitbekämen, da die Umfrageinstitute diese Werte (nach meinem derzeitigen Erkenntnisstand) zurückhalten/nicht veröffentlichen aus o.g. methodischer Problematik. Damit wären ggf. mehrere Parteien in einer Falle an mangelnder Sichtbarkeit, mangelnder Chancengleichheit und wahrscheinlich auch schlechterer Erfolgsaussicht.

infratest hat mir auf meine Frage diesbezüglich folgendes geantwortet:

„Keine, der unter „andere Parteien“ zusammengefassten Parteien/Wählervereinigungen, erreichen in der bundesweiten Sonntagsfrage 3 Prozent. Das kann sich aber selbstverständlich bis zum Wahltag noch verändern. Vor allem kleinere Parteien gewinnen erst im Laufe des Wahlkampfes an Sichtbarkeit. Bedenken Sie bitte auch, dass die Sonntagsfrage eine aktuelle Messung der politischen Stimmung ist und keine Prognose auf den Wahlausgang.“
Die Macher der Seite dawum.de (sie vergleichen die Ergebnisse der Umfrageinstitute) antworteten mir:
„wir sehen auch nur die in den Medien und Zeitungen veröffentlichten Werte und haben keinen Einblick in die Rohdaten. Ich gehe auch davon aus, dass seitens der Institute kein Interesse daran besteht, diese zu teilen.“

Zusätzlich stelle ich fest, dass die FDP, Linke und BSW durchaus SEHR häufig prominent in leitenden Medien auftreten, während FW und Volt wenig/keine Repräsentationsräume haben. Auch dort wird mit den Umfragewerten von unterhalb von 3% argumentiert.
ZDF schrieb mir bspw.

"vielen Dank für Ihre E-Mail an das ZDF.

Vor der Bundestagswahl im Februar wird das ZDF allen relevanten Parteien ausreichend Gelegenheit geben, ihre politischen Ziele und Perspektiven vorzustellen. Die kleinen Parteien werden dabei nur am Rande zu Wort kommen, weil sie keine Aussicht haben, in den Bundestag einzuziehen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Zuschauerservice"

Wobei ich einschränken muss, dass offenbar heute im Laufe des Tages beispielsweise zu Volt einige Leitmedien (Spiegel, Freitag, SZ, RP, dlf…) aber auch lokale Zeitungen relevante Artikel veröffentlicht haben.

sitzen alle in Landtagen. Damit haben sie das Recht auf mehr Präsenz. Und das ist auch der übliche Weg. Die Freien Wähler waren bereits vielerorts als Bürgermeister präsent als sie sich dann in den bayerischen Landtag kämpften.
Wenn die kleinen Parteien ein Problem damit haben, sollten sie es auch entsprechend adressieren und in den Medien präsentieren. Teil der Wahrheit ist nämlich auch, dass die meisten Zeitungen in Wahlkampfzeiten Presseerklärungen von kleinen Parteien durchaus Platz einräumen. In Gesprächen wirst du aber feststellen, dass die meisten ihre Wahlkampfgelder einstecken und sich mit dem Status quo ganz gut arrangieren.
Zur Ersatzstimme findest du viel im Forum. Ich bin ein großer Verfechter und wenn 35 Kleinparteien das Thema öffentlich adressieren würden, hätte das sicher Gewicht.
Für den Direktkandidaten wäre ich für eine Stichwahl. Dass hier ein Kandidat eventuell mit 20% durchkommt, weil das andere Lager sich kannibalisiert geht mir gegen den Strich. Ein Stufenmodell, in dem man seine Kandidaten durchnummeriert würde das auch lösen. Wäre nur aufwändig auszuzählen.
Die Parteien, die das entscheiden, haben natürlich persönliche Interessen die hier auch dagegen wirken. Aber öffentlicher Druck könnte hier einiges bewirken. Der muss aber von den betroffenen Parteien selbst ausgehen.

Ja, das ist mir auch bekannt.
Ich weiß, dass kleine Parteien dieses Thema der mangelnden Medienpräsenz quasi dauerhaft bei Medien ansprechen, aber nur sehr wenig Bewegung entsteht.
Ein Beispiel, bei dem der Aktivismus zu etwas mehr Präsenz geführt hat, war die „lila Balken“-Kampagne von Volt, die aber auch außergewöhnliche Mittel und viel Einsatz bedurfte.
Kleinparteien schlagen das Thema Ersatzstimme teilweise vor, haben es auch in ihren Programmen enthalten, aber daraus entsteht noch kein sichtbarer Fortschritt in der Debatte. Man müsste auch das medienwirksam ansprechen… bspw. Spitzenpolitiker mit dieser Frage konfrontieren und den Mehrwert verdeutlicht.