Wahlbeteiligung in NRW

Hallo liebes Lage-Team,

die Wahl in NRW wird ja sicherlich Thema sein. Vielleicht könntet ihr, schwerpunktmäßig mal auf die geringe Wahlbeteiligung eingehen? 55% ist ja schon ein wenig schwach. Die Relevanz für das Thema ist glaube ich nicht zu bestreiten, trotzdem wird es ja nie mal in der Tiefe diskutiert, sondern geht in den üblichen Spekulationen um die neue Regierungskoalition unter.

Vielen Dank und viele Grüße
Chris

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Ich denke der Hauptgrund für die niedrige Wahlbeteiligung ist schlicht, dass die Spitzenkandidaten aller Parteien eher unbekannt waren. Einzig über Wüst wurde, weil er Laschet nachfolgte, hin und wieder national berichtet, alle anderen Kandidaten, inklusive des SPD-Kandidaten, waren hingegen einfach nicht medial präsent.

Es ist halt der Ausnahmefall, dass es keinen alteingesessenen Amtsinhaber gab und sein Herausforderer noch unbekannter war. Auch hatte ich nicht das Gefühl, dass es hier in NRW wirklich beherrschende regionale Wahlkampfthemen gegeben hätte, an denen sich die Positionen von SPD und CDU maßgeblich unterscheiden.

Wenn ich mich in meinem Bekanntenkreis umhöre, waren zwar die meisten wählen, aber so richtig überzeugt war keiner von seiner Wahl bzw. den Parteien… ich auch nicht.

Dazu kommt, dass die Linke schon nach allen Umfragen vor der Wahl keinerlei Chance hatte, die 5%-Hürde zu überschreiten - wer also Rot-Grün wegen des 1998-2005er-Traumas nicht wählen wollte hat sich den Gang in’s Wahllokal auch schon mal gespart… Die AfD hingegen konnte nach dem Ausscheiden in Schleswig-Holstein auch kaum noch Leute zur Wahl motivieren, weder Anhänger noch Gegner - das Schreckgespenst ist nach Schleswig-Holstein ein wenig verblasst.

Dazu natürlich noch mE eher nebensächliche Faktoren wie das schöne Wetter. Ich denke aber wirklich nicht, dass das einen maßgeblichen Einfluss hatte.

Was sollte man tun, um die Wahlbeteiligung zu steigern?

In erster Linie bräuchten wir mehr Polarisierung zwischen SPD und CDU. Ernsthaft, wenn ich so auf die Vergangenheit schaue, kann ich nicht sagen, dass es sich so anfühlte, als hätte es einen maßgeblichen Unterschied zwischen den Regierungen Steinbrück, Rüttgers, Kraft und Laschet gegeben. Das einzige, was ich benennen könnte, wäre die Einführung der Studiengebühren unter Rüttgers, die es mit einer SPD-Regierung nicht gegeben hätte.

Mir ist klar, dass da hinter den Kulissen natürlich viel passiert und viele Dinge hier in NRW tatsächlich anders laufen würden, wenn eine andere Regierung an der Macht wäre. Aber man fühlt es halt nicht wirklich im Alltag. Wenn Schwarz-Gelb im Bund gewinnt denke ich sofort „OMG WTF das werden schreckliche vier Jahre!“, wenn Schwarz-Gelb in NRW gewinnt denke ich mir eher „Meh, ist jetzt doof, wird aber kaum etwas ändern…“.

Und genau das führt wahrscheinlich bei vielen Leuten dazu, dass sie bei der Landtagswahl nicht wähle. Schaut man sich z.B. das „Schlusswort“ der SPD vor der Wahl an, also die letzte Wahlwerbung am Vorabend zur Wahl, stehen dort Sachen wie:

Das sind halt alles Allgemeinplätze, die genau so die CDU schreiben würde, wenn sie in der Opposition wäre. Halt generalisierte Vorwürfe, dass der Gegner nichts hinbekommt. Es sind halt keine konkreten Dinge. Und das zieht sich durch den ganzen Wahlkampf. Zumindest bei mir sind keine konkreten Punkte angekommen, und ich interessiere mich schon sehr für Politik (zugegeben, mein Fokus liegt klar auf der Bundespolitik, mit der Landespolitik oder gar Kommunalpolitik beschäftigte ich mich kaum…). Dennoch: Bei mir hätte auch mehr ankommen müssen…

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Da ich den Wahlkampf in NRW auch live mitbekommen habe:

  • Die Wahlplakate glänzten durch nichtssagende Marketingsprüche. Was die Partei eigentlich will, war beliebig. möglicherweise mit Absicht.
  • Weniger Präsenz der Kandidaten vor Ort. Ob wegen Corona, wegen des Krieges oder warum auch immer, die Präsenz der Parteien in Fußgängerzonen war gefühlt sehr bescheiden

Subjektiv hätten die Parteien mehr erklären und kommunizieren müssen, um Wähler zu erreichen. So war es vielen unklar, was sie wählen sollen, und sind zuhause geblieben.

Zumindest m.E. ein Faktor.

Ich denke der Hauptgrund für die niedrige Wahlbeteiligung ist schlicht, dass die Spitzenkandidaten aller Parteien eher unbekannt waren.

Also ich meine, wenn der Grund zu wählen ein Spitzenkandidat sein soll würde ich mir doch eher um die Wahlmotivation mancher Sorgen machen, oder? Schließlich geht es hier um Politik, nicht um „Wer hat die schönste Frisur?“

Meiner Meinung nach ist die Politikverdrossenheit in NRW einfach ein großer Faktor. Ich stamme aus der Generation, die grade ihr erstes oder zweites Mal wählt und in meinem Umfeld wird klar, was die Leute frustriert:

Wir sind die Leittragenden einer Bildungspolitik, die zwischen G8, G9 und am besten gleich G-Samtschule für alle hin und her tingelt. In der Pandemie haben sich die Lehrbeauftragten für Schulen und Unis gefühlt eher mit Rum bekleckert. Auf einen grünen Zweig kommen hier weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb, deren Schulpolitik in dem Jahrzehnt, in dem ich sie bewusst mitverfolgen durfte, ähnlich konfus und ziellos war.

Bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsgebieten, die einen Großteil von NRW ausmachen, ist kaum zu finden. Ob Köln, Bochum oder Münster - alle Studierenden und jungen Arbeitnehmer die ich kenne brauchen eine enorme Kombi an Zeit, Vitamin B und Pendelbereitschaft ob des fehlenden Geldes um eine Unterkunft zu finden, während die (Groß)Elterngeneration der wohlhabenderen Freunde eine Wohnung in Köln nebst einem Haus in der Eifel pflegt und dem Sprössling auch gerne Zwei Zimmer in bester Lage zahlt. Nehme ich einer Partei ab, sich mit Ernsthaftigkeit darum zu kümmern, dass man in den grossen Städten in Zukunft noch unter 30 und ohne Erbe leben kann? Eher nicht - andere Dinge sind immer wichtiger.

Dann stehen noch so Dinge wie die ewige Kohlepolitik, Verkehr, Gesundheit etc. im Raum, die einfach nicht wollen. Ich kann verstehen, warum viele meiner Altersgenossen statt Pest oder Cholera zu wählen auf der Couch bleiben. Löst das Problem auch nicht, aber NRW zeigt nunmal, das wenn man sich keine Mühe gibt Hoffnung zu schaffen, wir gesellschaftlich in Apathie verfallen. Gerade in der jüngeren Generation wirkt es wie ein Blick auf politische Mühlen ohne die Perspektive auf Teilnahme.

Dieser Text ist ein überzogener Blick. Ich habe mein Kreuz gesetzt und bin überzeugt von unserer Demokratie. Hoffentlich andere auch.

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In der Sache gebe ich dir zwar absolut Recht, verweise aber darauf, dass nahezu jede Forschung im Bereich der Wahlbeteiligung zeigt, dass die Person des Spitzenkandidaten für Wähler ein absolut entscheidender Faktor ist. Kurzum: Ich würde mir auch wünschen, dass die Spitzenkandidaten irrelevanter für die Wahlbeteiligung wären, aber die Realität sieht leider so aus, als wäre das nicht der Fall. Der Bekanntheitsgrad der Spitzenkandidaten hat leider eine enorme Auswirkung auf die Wahlbeteiligung. Ist der Kandidat bekannt und bei der Gegenseite besonders unbeliebt (Stoiber z.B. damals, oder Trump in den USA) mobilisiert das einfach so viele Leute, ebenso wie ein charismatischer Kandidat oder ein Kandidat, der besonders „revolutionär“ ist (dh. besonders viel Ändern will) viel Mobilisierungspotential hat. Dass eigentlich Sachfragen im Vordergrund stehen sollten ändert daran leider nichts. Wüst vs. Kutschaty hingegen hat niemanden wirklich mobilisiert, auf keiner Seite des politischen Spektrums.

Gerade im Bereich der Schulpolitik sind tatsächlich häufige Wechsel zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün das Problem. Bildungspolitik ist seit jeher eines der großen Betätigungsfelder der Landespolitik, weil es einer der relevantesten Bereiche ist, der den Ländern in unserem Föderalismus zusteht. Und weil dieser Bereich so wichtig ist, wird jede neue Regierung dort Marken setzen wollen. Und wenn es da alle 4 Jahre zu einem Regierungswechsel kommt, wie es die letzten 16 Jahre hier der Fall war, ist halt klar, dass sich nichts entwickeln kann, weil alles, was die eine Regierung neu pflanzen will, von der Folgeregierung zumindest vernachlässigt, wenn nicht gleich ganz ausgerissen wird.

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