Wahl-Apps (Wahl-O-Mat etc.) - Bias durch Auswahl der Fragestellungen?

Ich nutze den Wahl-O-Maten auch gern, wähle nachher aber doch wieder das, was ich vorher schon vorhatte.

Eine Frage stelle ich mir immer wieder, aber ich habe bisher nichts Befriedigendes dazu gefunden: Wie kommt die Sammlung der Statements, die der Wahl-O-Mat (oder vergleichbare Apps) anbieten, zustande? Wie wird dafür gesorgt, dass da wirklich das ganze Spektrum der aktuellen Fragestellungen mit den richtigen Gewichten abgebildet wird?

Ich stelle mir nämlich vor, dass man damit auch ganz gut Schindluder treiben könnte, indem man aus dem Programm von Partei A sämtliche konsensfähigen Statements herausschreibt, und aus der von Partei B diejenigen, die möglichst abwegig sind bzw. nur von wenigen geteilt werden. Und schon hätte man einer Mehrheit dazu geraten, Partei A zu wählen. Wie lässt sich das verhindern, bzw. wird es in den konkreten Fällen von Wahl-O-Mat und Co verhindert?

Edit: Tippfehler

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Aus den FAQs der Bundeszentrale für politische Bildung:

Wer hat die Thesen formuliert und ausgewählt?

Die Thesen des Wahl-O-Mat werden von einem Redaktionsteam aus Jungwählerinnen und Jungwählern, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Journalismus und Bildung sowie den Verantwortlichen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb entwickelt und ausgewählt.

Für die Wahl-O-Mat-Redaktion zur Bundestagswahl 2021 konnten sich alle Wahlberechtigen bis 26 Jahre bewerben. Anschließend wurde eine möglichst vielfältige Gruppe von 19 Jungwählerinnen und Jungwählern zwischen 18 und 26 Jahren ausgewählt. Sie bilden gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Journalismus und Bildung sowie den Verantwortlichen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb die Wahl-O-Mat-Redaktion, die in einem dreitägigen Workshop 80 Thesen erarbeitete.

Grundlage für die Thesen sind die Partei- und Wahlprogramme der Parteien sowie deren programmatische Aussagen zur Wahl. Nach der Beantwortung dieser 80 Thesen durch die Parteien wurden davon in einem zweiten Workshop 38 Thesen für den Wahl-O-Mat ausgewählt. Es wurden die Thesen ausgewählt, die sowohl wichtige Themen der Wahl aufgreifen als auch von den Parteien kontrovers beantwortet wurden. Hierdurch wird die Unterscheidbarkeit der einzelnen Parteien gewährleistet und ein breites thematisches Spektrum abgedeckt.

Die Parteien waren an der Erstellung und Auswahl der Thesen nicht beteiligt, haben aber die Antworten und Begründungen dazu verfasst und autorisiert.

Bundeszentrale für politische Bildung

Im Menü der Wahl o mat homepage gibt es faqs und die von dir gestellte Frage ist die erste Dort :stuck_out_tongue:

Die Thesen des Wahl-O-Mat werden von einem Redaktionsteam aus Jungwählerinnen und Jungwählern, Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Journalismus und Bildung sowie den Verantwortlichen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb entwickelt und ausgewählt.

**Für die Wahl-O-Mat-Redaktion zur Bundestagswahl 2021 konnten sich alle Wahlberechtigen bis 26 Jahre bewerben. Anschließend wurde eine möglichst vielfältige Gruppe von 19 Jungwählerinnen und Jungwählern zwischen 18 und 26 Jahren ausgewählt. Sie bilden gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Journalismus und Bildung sowie den Verantwortlichen der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb die Wahl-O-Mat-Redaktion, die in einem dreitägigen Workshop 80 Thesen erarbeitete.

**Grundlage für die Thesen sind die Partei- und Wahlprogramme der Parteien sowie deren programmatische Aussagen zur Wahl.

**Nach der Beantwortung dieser 80 Thesen durch die Parteien wurden davon in einem zweiten Workshop 38 Thesen für den Wahl-O-Mat ausgewählt. Es wurden die Thesen ausgewählt, die sowohl wichtige Themen der Wahl aufgreifen als auch von den Parteien kontrovers beantwortet wurden. Hierdurch wird die Unterscheidbarkeit der einzelnen Parteien gewährleistet und ein breites thematisches Spektrum abgedeckt.

**Die Parteien waren an der Erstellung und Auswahl der Thesen nicht beteiligt, haben aber die Antworten und Begründungen dazu verfasst und autorisiert.

Laut Thomas Krüger, Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, sucht eine „unabhängige Redaktion“ angeblich einen „repräsentativen Auschnitt an Themen“ aus - wie auch immer man das messen will. Die Thesen stammen nicht aus Parteiprogrammen, sondern werden von den Parteien mehr oder weniger idirekt für den WahlOMaten geschrieben. Aufgenommen werden dann letztlich nur jeden Fragen, bei denen sich die Anworten der verschiedenen Parteien unterscheiden - d.h. Themen wo sich tendenziell alle einig sind (zumindem auf der Ebene von Lippenbekenntnissen) kommen daher nicht vor.
Quelle: https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/09/06/interview_mit_thomas_krueger_bundeszentrale_pol_bildung_dlf_20210906_0812_16d204e0.mp3

Interessante Frage. Wenn Du alle Fragen beantwortest hast, kannst Du doch zumindest für Dich entscheiden, ob das gesamte politische Entscheidungsfeld damit abgedeckt ist. Aus meiner Sicht erreicht der Wahl-O-Mat das ziemlich gut. Steuern, Klima, Europa, Migration, Föderalismus, Soziales, Bildung, Gendern etc. ist doch alles abgedeckt und in einem recht guten Verhältnis zueinander. Die größte Gefahr würde aus meiner Sicht darin bestehen, ein einzelnes Thema überzubewerten. Dadurch könnte eine Partei mit einem „Schwerpunktthema“ möglicherweise nicht sichtbar werden, weil eben ein anderes Thema in den Mittelpunkt gestellt wird. Dieses Problem kann ich persönlich beim Wahl-O-Mat nicht erkennen.

Ein anderes Thema ist jedoch die Formulierung von Fragen. Da nur binäre Antworten möglich sind, wird manchmal der Grund für eine Ablehnung der These nicht klar. Ein Beispiel wäre, wenn man z.B. nur nach der Zustimmung zum Kohleausstieg 2038 fragt. Wenn ich dies ablehne könnte es sein, dass ich einen früheren Ausstieg bevorzuge. Es wäre aber genauso möglich, dass ich für einen späteren oder gar keinen Ausstieg bin.
Der Wahl-O-Mat macht in seiner jetzigen Form diese Fehler nicht mehr. Er fragt z.B. beim Kohleausstieg, ob dieser vorgezogen werden soll. Ähnlich beim Tempolimit. Hier wird nicht nach der Geschwindigkeit gefragt, sondern lediglich nach der Bejahung eines generellen Limits. Aus meiner Erinnerung heraus behaupte ich, dass bei vergangenen Wahlen die Fragen nicht so wohlformuliert waren. Insofern freue ich mich über die verbesserten und eindeutigeren Fragestellungen.

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Ja, wahrscheinlich habe ich es nicht klar genug dargestellt, was mich an dieser Antwort (die ich schon gekannt habe) unbefriedigt lässt.

Vielleicht kann ich das an einem Beispiel klar machen, das ich erfunden habe, das aber gar nicht so weit hergeholt ist: Angenommen, ein wichtiges Thema wäre für Dich das Rentenniveau. Angenommen andererseits, diejenigen, die die Fragen zusammenstellen, sind im wesentlichen junge Leute, die das Thema für nicht so bedeutsam halten und es daher ungefähr gleich gewichten wie die Säkularisierung des Staates, die Dir wiederum ziemlich Wurst ist. Vielleicht ist sogar überhaupt keine Rentenfrage bei den 38 Statements enthalten (ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass eine dabei gewesen wäre). Dafür sind eine ganze Reihe Klimaschutzfragen enthalten, was für mich richtig und wichtig ist, aber für Dich vielleicht gar nicht so bedeutsam ist. Selbst wenn Du Deine Rentenentscheidung als doppelt so wichtig einstufst wie jede einzelne der (geschätzt) sechs Klimaentscheidungen, wirst Du doch dazu verleitet, Deine Wahlentscheidung auf Basis von Kriterien zu treffen, die nicht Deine eigenen sind.

Soweit wäre es vielleicht sogar noch akzeptabel, weil es ja schließlich möglich ist, dass das Thema Klima für die zur Wahl stehenden Parteien entsprechend hoch aufgehängt ist, und Du mit Deiner Wahlentscheidung vielleicht gar nicht so viel Einfluss auf die Rentenpolitik (obwohl Du Ihr sehr viel Wert zumisst) sondern viel mehr auf die Klimapolitik nimmst. Aber wie sieht es dann mit der Gewichtung der Fragen im Verhältnis zur Gewichtung der Themen durch die Parteien aus? Da ist die Überlegung analog: Stellt der Wahl-O-Mat viele Fragen zum Verhältnis von Staat und Kirche, werden die für die Ergebnisse entscheidend beitragen, selbst wenn das den meisten Parteien nicht wichtig ist.

Ist es jetzt klarer, was ich meine? Kann jemand meine Bedenken ausräumen? Gibt es theoretisch überhaupt eine Möglichkeit die Statements so auszuwählen, dass sich nicht automatisch ein Bias ergibt?

Dazu müsste man ja definieren, wie eine Auswahl ohne Bias aussehen müsste und was die Grundlage für diese Bewertung ist. Sind es diejenigen Themen, die am meisten Büger:innen interessieren? Oder diejenigen, die die meisten Parteien thematisieren? Und wie ermittle ich das bzw. wie gewichte ich dabei? Und selbst wenn ich ein Thema weiß: welche Frage zu einem Thema ist „objektiv“ oder „respräsentativ“ und wie bestimme ich das?
Ich würde mal vermuten, dass die bpb auf der Basis von Umfragen arbeitet und daher Themen, die viele Menschen als wichtig erachten (wie Klimawandel), stärker gewichten als Themen, die im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle spielen (wie derzeit z.B. Rente oder Pflegenotstand).
TL/DR: Der Bias ist in gewisser Weise notwendig, weil eine Auswahl von Themen und Fragestellungen gar nicht objektiv bestimmt werden kann.

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Nein, natürlich nicht.

Um deinen langen Post zu respektieren und etwas ausführlicher zu antworten:
Jede Form von Auswahl eines Sets von Fragen ist natuerlich dadurch gebiased was von den fragestellenden als relevant aufgefasst ist.

Die Fragen die du dir m.E. Stellen kannst sind:

  • findest du ok, dass es überhaupt reduzierende Formate wie den Wahl o mat gibt?
  • findest du ok, dass eine staatliche Stelle (hier BZpB) ein solches Format auflegt
  • findest du das konkrete Vorgehen der fragenerstellenden ok, oder tendenziös/polemisch/ anderweitig Kritik würdig?

Ich glaube ich persönlich kann alle Fragen mit “finde ich ok, auch wenn ich gewisse Nachteile sehe” beantworten, kann aber gut verstehen wenn man zu nem anderen Resultat kommt

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Um bei Deinem Beispiel mit den Renten zu bleiben: Es gibt tatsächlich nur eine Frage (Nr. 8), die sich mit Renten beschäftigt. Hierbei geht es allerdings um die einheitliche Rentenversicherung, nicht um das Rentenniveau. Wenn Dir also dieses als einziges Thema wichtig wäre, wird es etwas schwierig.
Es sollte beachtet werden, dass eine Reduzierung der Anzahl der Thesen grundsätzlich dazu beiträgt, dass mehr Menschen den Wahl-O-Mat nutzen. Der Aufwand, deutlich mehr Fragen zu beantworten, könnte viele Menschen abschrecken.
Aber zu Deiner Frage: Wenn Dich tatsächlich nur ein Thema interessiert, kannst Du Dir für diese Frage immer noch die Begründungen anschauen. Hier stehen oft Erläuterungen, die über die eigentliche These hinausgehen. So schreibt Die Linke beispielsweise, dass durch die einheitliche Versicherung das Rentenniveau angehoben werden kann und soll. Somit wäre auch hier der Bezug zu dem von Dir fiktiven Beispiel gegeben. Du könntest also Deine Wahlentscheidung weniger an dem Gesamscore ausrichten, als an der Begründung zu den Dir wichtigsten Thesen. Natürlich könnte man auch im Wahlprogramm nachschauen. Allerdings bietet der Wahl-O-Mat dann doch eine deutlich bessere Übersicht, als wenn jede Person 40 Parteiprogramme aufrufen und nach dem jeweiligen Thema durchsuchen würde.

Aus meiner Sicht ist die Zielsetzung von allen Wahl-Apps gerade nicht, Menschen mit Interesse an nur einem oder wenigen Themen eine Entscheidungshilfe zu sein. Es geht ja gerade darum, in dem breiten Spektrum der verschiedensten Themen die Parteien zu finden, die die größten Gemeinsamkeiten haben.

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Wah-o-maten haben Konjunktur:
Mir „flatterte“ ein Wahlomat von Immoscout ins Postfach:Wahl 2021: Welche Partei passt in Immobilienfragen am besten zu Ihnen?
Auf der „Auflösungsseite“ sind alle Vorschläge der Grünen und Linken in „Anführungssrichen“ gesetzt um sie als Scheinlösungen zu diffamieren.
Die Spaltung der Gesellschaft wird auch durch ganz alltägliche Vorgänge weiter vorangetreiben: Als Wohnungssuchender wird man je nach finanziellem Polster nach Miet- oder Eigentumswohnungen suchen, je mehr Menschen Eigentümer werden, desto ehr sind sie bereit den marktwirtschaftlichen Logiken von Eigentumsrecht vor Wohnrecht zu folgen. Als Wohnungsbörse kann man versuchen diese neoliberale Logik zu unterstützen, muss man aber nicht. Wer steht eigentlich hinter solchen Wahlomaten? Gibt es noch mehr Rechte oder Wirtschaftsliberale Wahlomaten?
Eine Woche noch!
Gruß Jörg