Videosprechstunde

Liebes Lageteam,

wir hatten schon mal Kontakt (LdN 265 glaube ich), damals ging es um die Behandlung von Post-Covid-PatientInnen in unserer Rehaklinik.

Ich bin inzwischen hausärztlich tätiger Internist in einer Gemeinschaftspraxis und muss euch von einem meines Erachtens skandalösen Vorgang berichten, der es in sich hat:
Am Abend des 1.4.2025 vernahmen mein Kollege und ich die vom Bewertungausschuss (Kassenärztliche Bundesvereinigung + Gesetzliche Krankenkassen) beschlossenen Änderungen zur Videosprechstunde. Wir konnte es nicht glauben und dachten zunächst, es handle sich um einen bitterbösen Aprilscherz. Die Regularien für die Videosprechstunde wurden mit sofortiger Wirkung ab 01.04.2025 dahingehend geändert, dass künftig nicht mehr 30% aller Patienten, sondern nur noch 30% aller bislang unbekannten Patienten telemedizinisch behandelt werden dürfen (Zwar dürfen nun auch 50% - vorher waren es wie gesagt 30% aller bekannten Patienten telemedizinisch behandelt werden und der BA verkauft dies als Verbesserung, doch für unseren Alltag ist das völlig egal und lenkt vom eigentlichen Problem ab). Diese zunächst als bürokratische Kleinigkeit daherkommende Entscheidung hat furchtbar gravierende Auswirkungen, wir können dies nicht unwidersprochen hinnehmen.

Die zusätzliche in unserer Freizeit stattfindende Behandlung uns unbekannter PatientInnen aus dem gesamten Bundesgebiet über eine Online-Plattform (Teleclinic, gehört DocMorris) ist inzwischen ein unverzichtbares Standbein für uns geworden. Im Zuge der neuen Regelung zur Videosprechstunde ergeben sich nun erdrutschartige Konsequenzen für PatientInnen und uns ÄrztInnen:

  1. Für unsere Praxis gesprochen sinkt damit das Potential pro Quartal online behandelter unbekannter PatientInnen von ca. 400 auf 20 (ja, ihr lest richtig). Dies bedeutet für uns in diesen für Praxen ohnehin schon finanziell äußerst angespannten Zeiten Einnahmeverluste von mehreren tausend Euro pro Quartal. Ich weiß nicht, ob wir das verkraften können, ohne z. B. eine MFA entlassen zu müssen.

  2. Schlimmer noch wiegt jedoch der Nachteil für die PatientInnen. Der weit überwiegende Teil gibt in den Videogesprächen an, sich ernsthaft und nachdrücklich um Termine bei Haus- und Fachärzten bemüht zu haben, jedoch keinen Termin erhalten zu haben. Die Begründungen der kontaktierten Praxen sind oft die gleichen: Aufnahmestopp, Überlastung etc. Mit oben genannter Regelung macht es der BA diesen PatientInnen noch einmal um ein Vielfaches schwerer oder sogar unmöglich, eine Ersteinschätzung oder eine nötige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erhalten. Ihr Zugang zur medizinischen Versorgung wird dadurch nochmals erschwert. Und das, obwohl schon jetzt insbesondere in ländlichen Regionen eine Ärztemangel besteht und dieser in den nächsten Jahren noch deutlicher schlimmer werden wird.
    Die aktuelle Konsequenz wird sein, dass sich noch mehr dieser bislang online behandelten Menschen in die ohnehin schon überfüllten Notaufnahmen begeben. Eigentlich sind sie dort fehl am Platz, doch was bleibt ihnen übrig, wenn sie erst von Praxen in ihrer Umgebung abgewiesen werden und uns untersagt wird, sie online zu behandeln?

  3. Wie soll ich Anfang oder Mitte des Quartals absehen können, wie hoch die Zahl unbekannter Patienten sein wird? Das ist völlig unmöglich. Auch bietet unsere Praxissoftware keine Möglichkeit, die Zahl der unbekannten PatientInnen zu ermitteln. Eine Schätzung über den Daumen wird wohl kaum Sicherheit schaffen. Im Gegenteil, mit der neuen Regelung werden Unsicherheiten geschaffen, so dass wir gar nicht wissen, wie viele unbekannte PatientInnen online behandelt werden dürfen.

  4. Welchen Sinn soll die Unterscheidung zwischen bekannten und unbekannten PatientInnen haben? Medizinisch und ethisch ist das völlig unangebracht.

  5. Wir haben uns bei der Zukunftsplanung auf die Umsetzung des Digitalgesetzes verlassen, das aktuell eigentlich eine Förderung der Videosprechstunde vorsieht. Stattdessen sollen wir nun laut der neuen Regel statt 400 nur noch ca. 20 unbekannte PatientInnen pro Quartal online behandeln dürfen? Der eigentlich politisch gewünschte Fortschritt wird ins Gegenteil verkehrt. Das ist einfach grotesk.

Mein Kollege und ich sind fassungslos und bestürzt darüber, dass uns zum einen diese enorm wichtige finanzielle Stütze ohne Vorankündigung genommen wird und es zum anderen den sehr zahlreichen VideopatientInnen viel schwerer - wenn nicht gar unmöglich - gemacht wird, eine Ersteinschätzung oder Behandlung zu erhalten.

Wir halten die Änderungen für absolut inakzeptabel, sie richten sowohl bei uns ÄrztInnen als auch bei den PatientInnen erheblichen Schaden an. Wir waren bereit, beruflich deutlich mehr zu leisten als wir mussten, dies wurde uns nun verboten. Man kann es kaum glauben.

Dieser schwere Fehler muss so schnell es nur geht korrigiert werden.

Beste Grüße

MartinJ

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KBV - Videosprechstunde.