Verzögerte Umsetzung der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung - Solarpaket I

Ich beschäftige mich seit etwa einem 8-9 Monaten mit dem Thema Energiegemeinschaften und gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung in Deutschland.
Die EU hat bereits 2018 eine Verordnung namens RED II erlassen, die unter anderem die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Bürgerenergiegemeinschaften und somit auch „Energy-Sharing“ zu ermöglichen.
In Österreich bswp. ist dieses Modell bereits implementiert. Bürger können dort bspw. eine Solaranlage betreiben und den erzeugten Strom jedem Haushalt in Österreich zur Verfügung stellen. Muss der Strom durch ein nicht selbst betriebenes Netz fließen, fallen natürlich Netzentgelte an, im Mehrfamilienmietshaus hingegen kann der Strom zu quasi Erzeugerkosten weiterverkauft werden.
Nun hat Deutschland im April 2024 das Solarpaket I verabschiedet, dass nun endlich auch die sogenannte „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ enthält. Damit soll ermöglicht werden, dass Vermieter bzw. Anlagenbetreiber, Solarstrom mit wenig bürokratischem Aufwand an Hausbewohner verkaufen können.

Implementiert wird das ganze wie folgt:
Jeder Haushalt, der Strom vom Dach kaufen will bekommt ein Smartmeter, die Solaranlage hängt an einem weiteren Smartmeter und jeder Haushalt hat noch einen ganz normalen Vertrag mit einem Stromanbieter. Nun wird alles was ein Haushalt verbraucht in 15-Minuten Fenster geteilt und auf Basis eines Verteilerschlüssels der erzeugte Strom von der Solaranlage auf die Haushalte aufgeteilt. Der restliche Strom wird vom jeweiligen Stromanbieter bezogen. Abrechnungen etc. sollen über den Messstellenbetreiber realisiert werden. Der Vermieter / Anlagenbetreiber erhält vom Messstellenbetreiber Auskunft über den Verbrauch der jeweiligen Haushalte und kann sehr einfach am Jahresende oder bei Auszug eines Mieters eine Abrechnung vornehmen.
Das unterscheidet sich stark vom sogenannten Mieterstromkonzept, bei dem der Vermieter / Anlagenbetreiber als alleiniger Stromanbieter auftritt. Damit geht natürlich ein finanzielles Risiko einher, weil der Vermieter den zu liefernden Strom erst einmal einkaufen muss und intern verrechnet was vom Dach kommt und was nicht. Und weiterhin gibt es das Problem der Abrechnung, da der Vermieter hier sämtliche Aufgaben des Messstellenbetriebs rechtssicher übernehmen muss. Das ist für Privatvermieter üblicherweise nicht realistisch. Dienstleister, die diese Aufgaben übernehmen sind derartig teuer, dass sich eine Anlage auf dem Dach kaum rechnet.

Nun zum eigentlichen Problem: Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung hört sich erst einmal nach einer super Lösung an. Vermieter profitieren aufgrund geringerer Bürokratie, Mieter profitieren aufgrund von günstigem Strom und der Planet profitiert von sauberer und nachhaltiger Energie. Win-Win für alle Parteien bis auf den Messstellenbetreiber / Netzbetreiber. Dieser muss viele Mehraufgaben übernehmen, wie die Erfassung der Verbräuche in 15-Minuten Zeitfenstern und deren Aufsummierung / Subtraktion nach Verteilerschlüssel des Solarertrags. Ob diese „Dienstleistung“ mit Kosten für den Anlagenbetreiber verbunden ist, geht aus dem Gesetzestext nicht hervor.

Ich habe aufgrund von Kontakten zu einer Privatvermieterin mal bei Stromnetz Berlin (Der hier zuständige Messstellenbetreiber und Netzbetreiber) nachgefragt wie denn nun die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung bei ihnen umgesetzt wird. Dem Gesetz nach muss ich den Verteilerschlüssel mitteilen und wer jeweils mit Solarstrom beliefert werden soll. Das setzt natürlich entsprechende Infrastruktur bei den Messstellenbetreibern voraus. Stromnetz Berlin hat mir dann geantwortet, dass eine baldige Realisierung aufgrund der sehr hohen Komplexität nicht möglich ist. Daraufhin habe ich die Bundesnetzagentur eingeschaltet, die ebenfalls bestätigt hat, dass der Messstellenbetreiber per Gesetz zur Umsetzung verpflichtet ist. Stromnetz Berlin musste anschließend mir und der Netzagentur gegenüber Stellung zu der Sache beziehen. Dabei habe ich eine ausführliche Antwort erhalten, warum die Umsetzung sich verzögert, und dass man erst Q2 2025 mit der Umsetzung rechnet.
Finde ich persönlich schon sehr fragwürdig, da Stromnetz Berlin mit am Gesetzesentwurf beteiligt war meiner Abgeordneten zufolge und das Gesetz keine Frist für die Umsetzung enthält. Und ich glaube auch tatsächlich nicht, dass mit einer Umsetzung Q2 2025 zu rechnen ist, so wie ich IT-Projekte in Deutschland kenne.

So etwas wie die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ist ein ideales Mittel um nachhaltiger Energie zu nutzen und zu erzeugen. Und was ich mich als Informatiker natürlich auch frage ist, warum die Aufsummierung von verschiedenen Zählern in 15-Minuten Zeitfenstern so lange zur Umsetzung braucht, vom Einbau von Smartmetern gar nicht zu sprechen. Ich kann hier natürlich erstmal nur von Stromnetz Berlin sprechen aber anderen Messtellenbetreiber und Netzbetreiber scheinen ähnlich langsam mit der Umsetzung zu sein.

Vlt. hat hier im Forum ja noch jemand Erfahrungswerte zu dem Thema.

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Wir besitzen ein Zwei-Familienhaus mit einer 15 kWP Solaranlage. Eine Wohnung nutzen wir selbst, eine ist vermietet. In min. 9 Monaten könnten zumindest bilanziell den Stromverbrauch der unteren Wohnung locker mit decken. Da wir keine Einspeisevergütung erhalten, wäre es natürlich für uns attraktiv zumindest den Überschuss unseren Mietern kostenlos zur Verfügung zustellen. Deshalb habe ich mit den Regularien beschäftigt. Fazit: Viel zu kompliziert.
Ich bin jetzt deshalb dazu übergegangen, zumindest im Sommer z.B. die Waschmaschine der Mietwohnung im Keller an den Stromkreis zu hängen, der unserer Mieterin gehört.
Ich tendiere aber dazu, einfach den zweiten Zähler rauszureißen, das ganze Haus über einen Zähler laufen zu lassen uns selbst einen Smartmeter für die vermietete Wohnung einzubauen. Wo welcher Strom herkommt, kann ich genausogut selber mitloggen und verrechnen.

Ja genau die Punkte sind uns auch bekannt. Vor allem wird die Nummer nochmal komplizierter wenn es sich um ein Mietshaus mitten in Berlin mit 15 Parteien handelt. Alles was das Thema Mieterstrom angeht kann höchstens von Großvermietern mit mehreren Häusern bewerkstelligt werden, ansonsten lohnt der bürokratische Aufwand nicht, von den finanziellen Risiken hinsichtlich der vollen Versorgerpflichten gar nicht zu sprechen.

Ich wollte lediglich auf den Misstand aufmerksam machen, dass mal wieder sinnvolle Ideen und Konzepte nur extrem verzögert umgesetzt werden, vor allem da sie ja bereits gesetzlich festgeschrieben sind.

Hier noch einmal ein paar Quellen zu dem Thema:
Übersicht zum Solarpaket I

Gesetzestext zum Solarpaket I - Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (§42b)

EU-Verordnung RED II - Interessant hier ist S. 39 im PDF / S. 120 im Text - Renewables self-consumers. Dort werden die Mitgliedstaaten dazu angehalten, dass es Bürgern der Mitgliedsstaaten ermöglicht wird ihren Energieetrag an andere Bürger zu verkaufen / von ihnen zu kaufen)

Die Stellungnahme meines Netzbetreibers liegt mir vor, ist aber als vertraulich gekennzeichnet. Ich bereite die Punkte, die mir als Verzögerungsgründe genannt worden sind sobald ich kann auf.

Eine weitere Quelle, die ggf. erklärt warum das Thema in Deutschland so lange braucht:
Energy Sharing
Bestandsaufnahme und Strukturierung der deutschen
Debatte unter Berücksichtigung des EU-Rechts - 2023 im Auftrag des Umweltbundesamts, vom Öko-Institut

Hier wird der Begriff des „Energy-Sharings“ so stark umgedeutet und damit der Anschein erweckt, dass Deutschland das Konzept bereits seit Jahren umgesetzt hätte und folglich kein weiterer Handlungsbedarf bestehe. Man schaue sich mal auf S. 26 Tabelle 2 an und lese dann den Text vor allem das Fazit des Berichts.

Wenn natürlich das Umweltbundesamt auf Basis solcher Berichte Entscheidungen fällt, ist es nicht verwunderlich, dass nichts passiert.

Ja, ich. Ich sehe es genauso wie Du, dass die „gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ vieles lösen wird, insbesondere da der Mieter sich nach wie vor seinen eigenen Stromanbieter suchen kann und der Vermieter nur den PV-Strom abrechnet.

Es hat sich bei den Netzbetreibern in den letzten 2 Jahren auch schon einiges getan. Vor 2-3 Jahren lagen da noch nicht einmal ansatzweise Messkonzepte vor. Bei einigen mittlerweile schon. Da es ja in Deutschland fast 900 Netzbetreiber gibt, mit denen man das Messkonzept abstimmen muss, liegt hier eine große Hürde. Ich denke, es muss zentrale Vorgaben geben, die man umsetzten darf, unabhängig vom Netzbetreiber.

Grundsätzlich bleibt aber ein Problem bestehen, nämlich einen Business Case für den Vermieter daraus zu machen. Die Auswertung des Stromverbrauchs der Mieter muss ein externer Messtellenbetreiber übernehmen, der dafür verständlicherweise eine Vergütung haben muss. Irgendwann lohnt es sich für den Vermieter nicht mehr. Dann wird die Volleinspeisung irgendwann attraktiver.

Das ganze wird sich meiner Ansicht nach in Zukunft zusätzlich mit den flexiblen Stromtarifen beißen. Wenn der Mieter an sonnigen Tagen billiger Strom aus dem Netz ziehen kann, als es vom Vermieter bekommt (Flatrate), wird er aus dem Modell aussteigen.