Das Thema ist keineswegs neu, seit dem Rücktritt des sächsischen Landrats Dirk Neubauer aber weiterhin brandaktuell.
Nachdem der ehrenamtliche Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, wegen der Bedrohung von sich und seiner Familie 2015 sein Amt niederlegte, begründete er das in der Rückschau u. a. wie folgt:
„Was uns aber den Boden unter den Füßen wegzog, war das Ausbleiben einer spürbaren Unterstützung aus dem Ort: das Schweigen der Mehrheit.“
Dieser Tage hat nun der scheinbar unerschütterliche, parteilose Landrat Neubauer die Notbremse gezogen.
Sein Statement, in dem er ausführlich begründet, warum er sein Amt zur Verfügung stellt, ist ein weiteres Alarmsignal:
Auch er sagte: „Ich gebe auf, weil zu viele den Mund halten.“
Lassen wir als Zivilgesellschaft unsere Mandatsträgerinnen und Mandatsträger im Stich? Hat die Bedrohung von rechts längst Ausmaße angenommen, die demokratiegefährdend sind? Führen Veränderungs- und somit Zukunftsverweigerung wesentlicher Teile der Bevölkerung und weiterer Teile der Politik, die sie darin bestärkt, längst zu einer Negativauswahl?
Es gibt absolut viel zu wenig politisches und gesellschaftliches Engagement aus der Mitte der Gesellschaft heraus.
Das fängt schon bei so simplem Dingen wie der Elternvertretung in der Schule an. Da ist es bei uns jedes Jahr ein Krampf, genug Leute für Klassenelternsprecher und Schulelternbeirat zu finden. Sich über die Schule aufregen können dafür aber ziemlich viele (das kommt dann bei mir als Schulelternsprecher auf den Tisch).
Das gleiche mit Kommunalpolitik: Bei uns gab es bei der vor kurzem abgehaltenen Wahl mehrere Ortsgemeinden, wo es keinen Kandidaten für den Ortsbürgermeister gab. Und jede Menge Gemeinden, wo jemand ohne Gegenkandidat antrat.
Selbst „etablierte“ Parteien wie die CDU und SPD haben bei uns in manchen Ortsgemeinden Probleme, ihre Listen zu füllen.
Die „schweigende Mehrheit“ ist ironischerweise nicht im rechten Block, sondern der gesamte Mitte-Links-Bereich der Gesellschaft. Keiner macht den Mund auf (außer um sich über irgendwas zu beschweren) weil alle Angst haben, dass sie sich dann vielleicht (oh Schreck) auch mal für irgendeinen gesellschaftlichen Belang engagieren müssten.
Wir brauchen dringend eine neue Selbstverständlichkeit des gesellschaftlichen Engagements. Eine Anerkenntnis, dass „Engagement“, egal ob im Sportverein oder in der Politik, für jeden Menschen der sich als Teil unserer Gesellschaft empfindet zur Normalität gehören sollte.
Aber leider scheint das weder dem Naturell der meisten Menschen zu entsprechend, noch in die libertäre Logik der dominierenden Politik zu passen, nach der ein Mensch nur das Wert ist was er oder sie monetär erwirtschaften kann und die einzige maßgebliche Größe die Zahl der bezahlten Arbeitsstunden ist, die jemand leistet.
Es gibt ja durchaus unterschiedliche Entwicklungen, Einerseits gingen nach den Correctiv-Enthüllungen Millionen auf die Straße, um der rechtsextremen AfD die „rote Karte“ zu zeigen. Andererseits mangelt es in vielen Bereichen an dauerhaftem zivilgesellschaftlichen Engagement.
Dass das Schweigen besonders im Mitte-Links-Bereich anzusiedeln wäre, halte ich für eine Fehleinschätzung. Ich würde es eher im Mitte-Rechts-Bereich ansiedeln. Denn dort gibt es durchaus gewisse Sympathien für Politik, wie sie von der extremen Rechten propagiert wird.
Ich sage deshalb Mitte-Links, weil die meisten Menschen wenn man sie mal intensiv und ausführlich befragt politisch deutlich linker sind als sie wählen. Auch der durchschnittliche CDU-Wähler findet Klimaschutz, Vermögenssteuer, gerechte Erbschaftssteuern, Tempolimit auf Autobahnen, mehr Integration von Ausländern usw. völlig in Ordnung, wenn man die Realität dieser Maßnahmen und ihre Folgen in Ruhe erklärt. Es gibt da meiner Meinung nach eine deutliche Diskrepanz zwischen dem wie Menschen auf bestimmte Schlagworte und Wahlaufrufe reagieren und wie sie selbst entscheiden würden, wenn sie sich intensiv mit einem Problem auseinandersetzen und die Fakten an sich heranlassen.