Nach ihrem Grundsatzbeschluss, ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr einzuführen, diskutiert die CDU das Thema nun im Rahmen ihrer CDU-Basis-Konsultation mit ihren Mitgliedern, wie gestern Abend mit Serap Güler und Philipp Amthor in Köln: zum Beitrag auf Instagram
Ich möchte, wie bereits hier im Forum im Sommer angesprochen, nochmals anregen, dass Thema aufzunehmen.
Unbestritten erscheint, dass es mehr gesellschaftliches Engagement in Deutschland braucht. Wie Friedrich Merz u.a. hier richtig feststellt, sind „die jungen Leute“ durchaus bereit und motiviert, einen Dienst zu leisten. Seltsam erscheint, dass die CDU daraus ableitet, junge Menschen verpflichten zu müssen, um ihnen „ein Angebot“ machen zu können.
In den Freiwilligendiensten wird jungen Menschen bereits seit 60 Jahren im FSJ, seit 2011 im BFD ein Angebot gemacht, sich in einem gesetzlich geregelten Rahmen für die Gesellschaft und Demokratie, zur Unterstützung von Fachkräften und insbesondere für hilfsbedürftige Gruppen (Kinder, Ältere, Kranke, Menschen mit Behinderung…) einzusetzen. Zugleich ist der Freiwilligendienst ein Bildungsjahr: Politische, kulturelle, persönlichkeitsbildende Bildung ist vorgeschrieben und wird durch die Trägerorganisationen in professioneller pädagogischer Begleitung umgesetzt.
Die CDU bzw. Friedrich Merz behauptet, das FSJ erreiche fast ausschließlich „gut-bürgerliche“ und Abiturient*innen. Ein Blick in die Statistiken des BMFSFJ zeigen das Gegenteil. Die Zahlen entsprechen annähernd denen eines durchschnittlichen Schulabgänger*innen Jahrgangs. Und: ein minimaler Überhang an Menschen aus einem verhältnismäßig sozio-ökonomisch besser gestellten Elternhaus, liegt sicherlich auch an dem geringen Taschengeld von 300-600€ im Monat für einen Dienst in Vollzeit (das Taschengeld wird übrigens nur im BFD, nicht aber im FSJ durch den Bund bezuschusst!).
Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Deutschland bedarf zunächst einer Verfassungsänderung mit einer 2/3 Mehrheit im Bundestag, um eingeführt zu werden. Mit wem möchte die CDU hier abstimmen? Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat zudem bereits darauf hingewiesen, dass ein solches Konzept nach gängiger juristischer Auffassung gegen das Völkerrecht und die EMRK verstoßen würde, s. u.a. hier
Die Einführung ist also auch aus Perspektive von Freiheitsrechten problematisch.
Zugleich ist sie gesellschaftlich extrem teuer. Schätzungen reichen von 12-16 Mrd.€ pro Jahr. Ein Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst, wie ihn die zivilgesellschaftlichen Verbände vorgestellt haben, kostet lediglich ca. 3 Mrd. € pro Jahr und erfüllt alle positiven Effekte einer Dienstpflicht ebenso.
Die Verdoppelung der Freiwilligenzahlen von 100.000 von 700.000 Schulabgängerinnen auf 200.000 deckt den Bedarf der sozialen Einrichtungen an Hilfskräften. Ein Freiwilligengeld auf BAFöG Niveau ermöglicht Menschen jeglicher sozioökonomischer Herkunft, den Dienst zu leisten. Eine Informations- und Beratungskampagne, die alle Schulabgängerinnen erreicht, sorgt dafür, dass jede*r von dieser Möglichkeit weiß.
Viele Menschen sprechen sich aufgrund von Unwissen über diese alternative Möglichkeit in Befragungen für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr aus. Wenn ihr über diese Variante berichtet, könntet ihr zur Versachlichung der Debatte beitragen.
Ich möchte daher (erneut) anregen, dass ihr euch mit diesem Thema in der Lage befasst.