Veröffentlichung von Mitschnitt

Ich denke schon, dass diese Befürchtungen berechtigt sind. In Russland gibt es keinen von Putin oder anderen Gruppen aufgebauten natürlichen Nachfolger. Zumindest ist mir niemand bekannt. Medwedew ist mehr Puppe als aktiver Politiker.

Sollte Putin stürzen kann es einen Machtkampf zwischen Militärs, Geheimdienstlern, Söldnergruppen und verschiedensten Politikern geben, eben weil es ein Machtvakuum gäbe. Eine friedliche, geordnete Revolution sehe ich nicht kommen.

Ich wiederhole mich: Um einzuschätzen, ob eine Befürchtung berechtigt ist, müsste ja zumindest klar sein, was denn eigentlich befürchtet wird. Derzeit scheint mir diese Befürchtung ähnlich abstrakt und letztlich unbestimmt zu sein wie die einer vielfach angeführten „Eskalation“ - bei der auch niemand konkret zu sagen vermag, worin sie eigentlich konkret bestehen soll.
Die bloße Tatsache, dass in einem Post-Putin-Russland politisches Chaos herrschen könnte, rechtfertigt allein m. E. nicht, der Ukraine nicht zu einem militärischen Sieg gegen Russland zu verhelfen.

Überleg doch mal was du hier erwartest. Ein Spitzenpolitiker der Ukraine-Unterstützer müsste sich öffentlich hinstellen und sagen: „Wir können die Ukraine nicht so stark unterstützen, dass sie Russland besiegt weil wir im Falle eines russischen Verlustes die Destabilisierung Russlands und dessen Folgen erwarten.“.

Das wäre auf zwei Arten fatal. Es schwächt Putin innenpolitisch weil wir damit potenzieller Konkurrenz zeigen, dass wir ihn für schwach halten (analog zu Netanjahu, der kürzlich allergisch auf vergleichbare Geheimdienstberichte der USA reagiert hat).

Und wir sagen Putin, dass egal was er macht, wir die Ukraine nie so stark unterstützen werden, dass er echt etwas befürchten müsse.

Noch vor kurzem wurde viel von strategischer Ambiguität geredet. Du forderst aber quasi die Bereitschaft zum Risiko offen zu legen und damit jede Unklarheit aufzudecken weil du mit einer Kanzlerentscheidung unzufrieden bist. Kann man machen, aber klug ist das nicht.

Ich weiß nicht wie du darauf kommst was ich angeblich alles fordere, aber es geht völlig an dem vorbei, was ich geschrieben habe und worum es mir ging. Ich habe überhaupt nicht von Spitzenpolitikern geredet, mir ging es um mehr Substanz bei dem Argument. Dass es Russland destabilisiert, wenn Putun und seine Clique tatsächlicn mal abtreten müssen, ist eh eine Binse. Die Frage ist ja, was genau daran dann so schlimm sein soll, dass man ihn lieber an der Macht halten soll. Das könnten ja dieselben Experten, Wissenschaftler, Berater etc. erklären, die sowieso den ganzen Tag über Russland nachdenken und reden. Von denen habe ich aber darüber noch nichts gehört oder gelesen - bzw. wenn dann eher in die andere Richtung, dass solch eine Situation zwar erst mal zu Chaos führen würde, aber langfristig vermutlich besser wäre und zwar für die Menschen in Russland, aber auch in anderen Ländern.

Und Putin ist schon schlau genug zu wissen, wann er darauf achtet, was in NATO-Ländern so geredet wird und wann er lieber nach dem geht, was (nicht) getan wird. Das hat sein gezielter Taurus-Leak (mal wieder) gezeigt. Sprich: Solange er sich aufgrund der Handlungen sicher sein kann, dass ihm im Westen niemand ernsthaft an den Kragen will, ist es ihm herzlich egal, wer was erzählt. So viel zum Thema strategische Ambiguität :wink:

Wobei die Post-Putin Zeit auch aus biologischen Gründen kommen kann. Die Ukraine deshalb am langen Arm verhungern zu lassen, wäre dämlich.

Insoweit war es ein sehr gutes Zeichen, als Deutschland die Waffenlieferung von Tschechien stark unterstützt hat. Die Taurus-Debatte suggeriert Untätigkeit - was aber zum Glück so nicht richtig ist.

Carlo Masala und Frank Sauer habe ich durchaus darüber schon mehrfach sprechen hören. Sauer habe ich dabei zur Frage, ob das zur Folge haben darf, die Ukraine nicht bis zur Demütigung Putins [Anm: meine Worte] zu unterstützen stets neutral wahrgenommen. Masala meinte er halte diese Argumentation für nachvollziehbar, aber komme trotzdem zum Ergebnis lieber zu unterstützen. Das ist ein klassisches Werturteil.

Dazu gibt es Medienberichte über eher zögerliche Geheimdienste und Militärs. Was willst du mehr?

Die eher risikoaverse Position von Menschen in Verantwortung vs. solchen mit Meinung ist wenig verwunderlich, denn es sind eben diese Menschen, die die Suppe letztlich auslöffeln müssen, während meinungsstarke Podcaster oder Foristen ganz schnell in Deckung gehen. Ich verweise auf die Corona-Debatten, in denen vor allem in Phase 1 die Entscheider ebenfalls eher ängstlich bis hysterisch reagierten. Während die Entscheider öffentlich mit den Konsequenzen umgehen müssen, sich für Fehler entschuldigen und für die Risse in der Gesellschaft mit verantwortlich gemacht werden (bspw. Lauterbach, Spahn und andere), ist es vor allem um die sehr meinungsstarken Experten sehr still geworden (Stichwort No-COVID Experten wie Brinkmann, Priesemann). Nicht einmal zur Fehleinschätzung, wie gut Schnelltests helfen, haben Sie abschließend deutlich Fehler eingeräumt.

Mir ging es um genau diese Frage. Die sehe ich durch die Tatsache, dass Masala, Sauer und andere mal irgendwie über das Thema geredet haben und dabei zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen kamen, nicht wirklich beantwortet.

Professor Baberowski (Historiker mit Forschungsgebiet Sowjetunion und stalinistischer Terror) erklärt im FAZ Podcast für Deutschland unter anderem, dass allein auf demokratischer Ebene nicht die Liberalen nach einem Sturz Putins die stärkste Kraft seien. Die seien nur in unserem öffentlichen Diskurs stark vertreten, seien aber nicht Russland. Viel stärker seien die Kommunisten und die Neofaschisten.

Wenn also das Best Case Szenario einer demokratischen Revolution zu einem kommunistischen oder einen neofaschistischen Russland führt, dann muss man schon abwägen, ob nicht Putin doch das kleinere Übel sei. Zumal auch nichtdemokratische Umstürze möglich wären.

Zur Taurusdebatte vermutet er, dass Scholz stärker als andere europäische Partner den Blick auf die Zeit nach dem Krieg richtet. Russland werde nicht verschwinden und man müsse auch zukünftig mit Russland in Europa klar kommen.

Unabhängig davon verstehe ich dich nicht wie

und

zueinander passen. Einerseits sollen Experten über Szenarien sprechen und andererseits reicht es dir nicht wenn Experten darüber sprechen.

[FAZ Podcast für Deutschland] Historiker Baberowski: „Nutzen, dass Putin kein Irrer, sondern berechenbar ist“ #fazPodcastFurDeutschland
https://podcastaddict.com/faz-podcast-fur-deutschland/episode/172852435 via @PodcastAddict

Mal ganz blöd gefragt: Woher kommt eigentlich diese Theorie, dass Putin, selbst wenn er sich von heute auf morgen aus der Ukraine zurückziehen würde, seine Macht verlieren könnte? Was soll dann passieren?

Putin schafft es jetzt, während des Krieges, mit den ständig neuen russischen Opfern, wirtschaftlichen Sanktionen und einer gewissen Kriegswirtschaft trotzdem die Bevölkerung „ruhig zu stellen“. Warum sollte ihm das nach einem, wie auch immer gearteten, Kriegsende in der Ukraine schwerer fallen?

Da wäre es noch eher wahrscheinlich, dass das Militär putscht. Aber das konnte Putin beim letzten mal auch einfangen und die Anführer sind inzwischen auch „ver-unfallt“. Und allein das dürfte einen erneuten Versuch schon eher unwahrscheinlich machen.

Na ja erstmal hat sich Putin ja in den Krieg hinein gesteigert. Erst wollte man (in der öffentlichen Kommunikation) „nur“ ein faschistisches Regime stürzen, später ging es um eine Wiedervereinigung zweier getrennter Brudervölker und nun ist es der große Verteidigungskrieg gegen den Westen.

Baberowski weist darauf hin, dass in den postsowjetischen Staaten Ehre, Stolz und Männlichkeit einen ganz anderen Stellenwert haben als bei uns.

Das verträgt sich natürlich nicht mit einem quasi-Rückzug, der dann zehntausende Soldatenleben gekostet hat.

Vielleicht muss man das „ruhig stellen“ anders sehen. Der Großteil der russischen Bevölkerung steht laut Baberowski klar hinter Putin und dem Krieg gegen die Ukraine. Sie sind also bereit die Konsequenzen aus Kriegswirtschaft, Sanktionen und Opfern zu tragen, solange am Ende das gesellschaftlich eingeschworene Ziel erreicht werden kann.

Putin muss dann nicht ruhig stellen. Er muss nur den Sieg in Aussicht stellen und irgendwann verkünden, damit sich dann die Bürden gelohnt haben.

Ich verstehe ehrlich gesagt nicht so ganz, warum Dir der Unterschied nicht klar ist. Einmal geht es ziemlich allgemein um die Frage, ob jemand irgendwie über die Frage redet, was in Russland nach einem Machtverlust von Putin & Co passieren könnte. Mir geht es aber um die sehr viel konkretere Farge, ob es spezifische Vermutungen darüber gibt, dass die zu erwartende Destabilisierung in sicherheitsrelevanten Bereichen Auswirkungen haben wird, die es rechtfertigen, Putin lieber an der Macht zu halten. Ich kenne vor allem Spekulationen über diverse separatistische Bewegungen und ein Auseinanderfallen der Russländischen Föderation und natürlich die üblichen Befürchtungen, dass „die falschen Leute“ an „den roten Knopf“ kommen - aber das ist aus meiner Sicht ebene eher ein Allegemeinplatz als etwas Substantiiertes, auf das ich eine sicherheitspolitische Stratege aufbauen würde.

Ich denke gemeint ist nicht, dass er es aktiv tut, sondern das er von der Ukraine/dem Westen zu einem Rückzug gezwungen wird.

Sollte es zu einer katastrophalen Niederlage für Russland kommen können, sahen die beiden Experten Professor Masala, oder Oberst Reisner eine erhöhte Eskalationswahrscheinlichkeit. So wie ich deren Argumente verstehe darf es nicht zu schnell und zu demütigend sein. Vielmehr müsse Russland so abgenutzt sein, dass es im weiterkämpfen selber keinen Sinn mehr sieht, aber die russische Regierung (also Putin) darunter nicht zerbricht.

Falls das die Strategie sein sollte, dann ist aber vermutlich auch der östliche Teil der Ukraine verloren, denn die Ukraine wird ja aus besagter Angst nicht mit dem Material versorgt, dass sie für eine Rückeroberung des Donbass, oder gar der Krim bräuchte. Wir steuern wohl leider auf eine Situation wie in Korea oder Vietnam zu.

Ein weiterer Aspekt, über den ich noch wenig gelesen habe ist die schleppende Mobilisierung in der Ukraine. Denn neben Material braucht man auch Soldaten, aber die Ukrainische Regierung schafft es nicht mehr Soldaten zu mobilisieren.
Irgendwo habe ich gelesen, dass das auch ein Hemmnis ist, nach dem Motto: „wir geben Euch nur Waffen, wenn Ihr auch Kampfeswille zeigt“. Für die These würde ich aber einen Thread eröffnen, wenn ich ein paar gute Quellen gefunden habe.

Das Argument kann man sicher nicht komplett von der Hand weisen. Aber ich denke es wird überbewertet. Natürlich stellen sich viele Menschen gerne als mutig dar, aber insbesondere im Angesicht eines Kriegseinsatzes verlässt viele Menschen dieser Mut wieder.
Daher glaube ich auch, dass viele Russen, die gerade kämpfen, eher froh sein würden, im Falle eines Waffenstillstandes nach Hause zu dürfen, als das sie ihre Freiheit oder gar ihr Leben gleich wieder in einem Aufstand gegen Putin riskieren würden.

Unter diesem Großteil sind aber ganz sicher auch viele Russen, die von Putin und seinem Krieg überhaupt nicht begeistert sind aber sich hüten, dass öffentlich zuzugeben, weil sie die Strafen fürchten. Ich fürchte da leistet Putins Unterdrückungsapparat leider ganze Arbeit.

Aber wer wäre den durch einen Rückzug eher gedemütigt, die russische Regierung oder die einzelnen russischen Soldaten? Den nach allem, was ich aus der Geschichte so gelernt habe, sind die tatsächlich kämpfenden Soldaten doch immer am ehesten froh, dass nicht mehr weitergekämpft wird, siehe z.B. Matrosenaufstand im ersten Weltkrieg.

Glaubst du denn, dass der einzelne russische Soldat in diesem Krieg einen großen Sinn sieht? Ich meine die Russen verteidigen ja nicht ihre Heimat. Die wird von der Ukraine ja überhaupt nicht bedroht. Und den allermeisten Russen wird es nach dem Krieg, selbst wenn Russland siegen sollte, nicht viel besser gehen. Im Gegenteil in der Ukraine muss den sehr viel aufgebaut werden, was viel Geld kostet. In der Ostukraine ist es ja schon jetzt so. Ich denke eher, dass viele „einfache“ Russen und damit auch die meisten Soldaten schon wissen, dass dieser Krieg für sie persönlich keinen Sinn macht. Aber sie haben halt keine wirklich gute Alternative. Tut mir leid, wenn das etwas zu verharmlosend klingt.

Aber nicht, weil wir Russland keine schnelle Niederlage zufügen wollen. Sondern weil wir die zukünftigen Geschäftsbeziehungen mit Russland nicht gefährden wollen. Das ist nämlich der wahre Grund für das Zögern.

Ich schließe diesen langen Thread jetzt mal. Öffnet bei neuen Ereignissen/Aspekte gern einen neuen.