Vergleichbare Protestformen von Landwirten u. Klimakleber?

Wenn die Subventionen sinken, können Unternehmer:innen ihre Preise anpassen oder (da es hier um eine verbrauchsabhängige Subvention geht) die subventionierten Produktionsmittel einsparen. Ich verstehe schon, dass das rechtliche und ökonomische Umfeld dazu führt, dass de facto einige Landwirt:innen das nicht können und damit "Lohn"einbußen hinnehmen müssen oder den Beruf aufgeben (Letzteres nicht wegen der Agrardiesel- oder Kfz-Subvention allein, aber im Allgemeinen gesprochen). Auch verstehe ich, dass aus sozialhistorischen Gründen die Berufswahl in der Landwirtschaft vielleicht nicht ganz so frei ist wie bei Angestellten im ÖD. Der Punkt bleibt trotzdem: Es ist ein Markt, auf dem das Staatsgeld mit dem Lohn der Landwirt:innen nur mittelbar zusammenhängt, während die Lokführer:innen klassische abhängig Beschäftigte sind.

Ein damit verbundener Unterschied, der auch die Wahrnehmung betrifft, ist vielleicht, dass Landwirt:innen tlw. als Unternehmer:innen wahrgenommen werden (Heuschrecken und große Agrarkonzerne, die von den Subventionen, für die nun gekämpft wird, auch profitieren, treten hingegen nicht öffentlich in Erscheinung). Das erleichtert die Identifikation und Solidarisierung vor dem Hintergrund des recht stark verankerten, neoliberalen Ideals des Unternehmers. Mit Lokführer:innen könnten sich hingegen Arbeitnehmer:innen anhand des ebenfalls recht stark verankerten, sozialistischen Ideals des Arbeitskampfs leichter solidarisieren. Beide hängen auch eng mit tieferen Idealen von Fleiß und Stolz auf die eigene Arbeit zusammen, würde ich sagen, blicken nur aus unterschiedlichen Richtungen darauf.

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Kommt drauf an, auf welcher Ermächtigungsgrundlage die Polizei handelt. Wenn die Ermächtigungsgrundlage Ermessen vorsieht, dann ja. Wenn es eine gebundene Entscheidung ist, dann gibt es kein Ermessen.

Allgemein zum Ermessensspielraum: Bei Ordnungswidrigkeiten gilt nach § 47 OwiG ein Ermessensspielraum, anders bei Straftaten, § 152 Absatz 2 StPO (sog. Legalitätsprinzip). Bei der Gefahrenabwehr, also auch der Verhütung von Owi und Straftaten, gilt im Grundsatz ein Ermessen (Opportunitätsprinzip), das aber im Einzelfall ausgeschaltet sein kann (sog. Ermessensreduktion auf 0), wenn die Behörden einschreiten müssen, um Grundrechte zu schützen.

Zur StVO: Puh, ich komme gerade nicht drauf, wo genau rechtlich das Einfallstor ist (in letzter Not ist es die Verhältnismäßigkeit der Verhängung des Bußgelds), aber würde davon ausgehen, dass das Befahren der Autobahn, soweit es im Rahmen (und als Teil, nicht nur anlässlich) einer zulässigen Versammlung geschieht, letztlich durch das Versammlungsrundrecht (Art. 8 GG) gedeckt und daher nicht ordnungswidrig ist.
Dafür muss der Protest nicht genehmigt, aber angemeldet werden, woraufhin die Versammlungsbehörde (müsste in der Regel Polizei sein) Auflagen nach dem jeweiligen LandesversammlungsG oder, wo ein solches fehlt, dem BundesversammlungsG erteilen können. Erst der Verstoß dagegen wäre dann ordnungswidrig.
Im Falle der Landwirt:innen hat man das in Brandenburg wohl versucht, aber das wurde gerichtlich gekippt: Bauernproteste: Gericht erlaubt am Montag Autobahnblockaden in Brandenburg

Darüber hinaus sind im Einzelfall wie bei der Letzten Generation Nötigung (§ 240 StGB, hier aber ohne die berüchtigte „Zweite Reihe“-Konstruktion, da die Traktoren ein echtes körperliches Hindernis darstellen) und ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) denkbar, aber eben nur, wenn die Versammlungsfreiheit das konkrete Verhalten nicht mehr abdeckt.

Edit: Fehlendes Hilfsverb ergänzt.

Meiner Ansicht nach absolutes Skandalurteil. Dass es auch anders geht, zeigt (ausgerechnet) das OVG Sachsen (Überschrift ist etwas irreführend):

https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1072238

Die Frage ist: Wieso ist anscheinend Sehma-Cranzahl die einzige Kommune in Deutschland, die sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt?

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Wäre kein Problem wenn die Leute zum Beispiel weniger für Miete bezahlen müssten :man_shrugging:
Ist ja nicht so das hier jeder am Ende Geld übrig hätte und nicht wüsste wohin damit. Nicht umsonst sind die Tafeln an vielen Orten in Deutschland bereits an Ihre Grenzen gestoßen. Höhere Preise für Lebensmittel muss man halt irgendwo anders wieder reinholen.

Genau. Wäre mal interessiert daran, zu wissen, was die jetzt demonstrierenden Landwirt:innen von höherem Bürgergeld, höheren Löhnen oder BGE halten.^^

Gute Frage. Totalverbot ist natürlich happig, aber vielleicht war es strategisch klug, um dann am Ende mit Auflagen durchzukommen. Wüsste aber nicht aus dem FF, was für oder gegen den Erfolg einer solche Strategie spräche (als Vertreter der Behörde hätte ich Sorge, dass ein Verbot nur angefochten wird und ich am Ende ohne alles da stehe, weil keine Zeit mehr für Verhängung von Auflagen bleibt).

In anderen Meldungen - vielleicht für diesen Thread interessant: Nach Klimaprotest: Bewährungsstrafe für Sprecherin der "Letzten Generation" | tagesschau.de

Ob nun das eine oder das andere die bessere Strategie ist, würde ich auch nicht abschließend bewerten wollen. Aber flächendeckend wird ja keins von beidem versucht. Weder Verbot, um dann mit Auflagen durchzukommen, noch mit irgendwelchen nennenswerten Auflagen an sich, sondern „passt schon, sagt einfach Bescheid, wenn ihr fertig seid“.

Der in diesem Artikel der Frankfurter Rundschau befragte Anwalt bestätigt die These zumindest dahingehend, dass es etwas mit der stärkeren Lobby der Bauern zu tun hat (und in welcher Partei diese Lobby ist, ist kein Geheimnis…)

Ich sage es ja immer wieder: der konservative Bias von Polizei, Justiz und Sicherheitsbehörden (da dort eben überdurchschnittlich viele überdurchschnittlich konservative Menschen arbeiten und vor allem in Führungspositionen gelangen) ist ein Problem, aber leider werden wir es nicht schaffen, mehr „Linke“ und „sozial progressive“ Menschen in Polizei und Staatsanwaltschaft zu bekommen…

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Ich kann die beiden Protestformen nur theoretisch vergleichen. Ich bin bislang noch durch keinen Klimakleber in meiner Freiheit - im weitesten Sinn - beeinträchtigt worden. Als Anwohner einer Innenstadt kann ich lediglich beurteilen, wie sich vier Stunden Hupkonzert von einem schleichenden Traktorenkorso vor dem Fenster meines Homeoffice auf meine Konzentrationsfähigkeit auswirken. Ich bin überzeugt, amnesty international würde das als - möglicherweise milde - Form des Terrors einstufen. Insbesondere wenn ich dann aus dem Mund eines bezeugenden Polizisten höre, dass er nichts gegen die hundertfach begangenen Ordnungswidrigkeiten unternehmen wird!

Ich lebe in Bayern, einem Bundesland mit einem Polizeiaufgabengesetz, das weit drastischere Zugriffe bei lässlicheren Aktivitäten zulässt. Aber hier ist die Polizei untätig.
Hilft das bei der Einschätzung der Unterschiede? Der weitere Unterschied ist bereits angesprochen worden. Ich finde lediglich die Einteilung der Demonstrantengruppen in links und rechts etwas irreführend: Die Bauern waren zumindest früher die Basis der CSU. Kenner der Materie wissen um den legendären Ochsensepp, der die Bauern als Wähler zur CSU führte. Die Menschen der LG sind dagegen äußerst unverdächtig in der Frage ihres Wahlverhaltens. Kein CSU Stratege käme auf die Idee, bei der LG Wählerpotential zu vermuten.

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Was ich heute gesehen habe, denn bei uns fahren auch ein Haufen Menschen mit ihren Traktoren:
Es braucht mit großen Maschinen wesentlich weniger Beteiligung um groß und laut zu wirken. Überall hupt es, obwohl die Beteiligung vermutlich nicht so hoch ist wie bei Fridays for Future. Unser Volksfestplatz ist rappel voll, weil riesige Traktoren alles vollstellen.

Merke: es geht nicht um den Willen der Menschen, sonder um die Repräsentation der Maschinen

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Man stelle sich vor, die Demonstranten gegen rechts gestern wären alle mit Traktoren gekommen…
Es ist unverhältnismäßig, dass das erlaubt ist.

Außerdem verpesten die Traktoren due Luft.
Und due Blockaden sind gefährlich. Ein Mensch ist berrits gestorben (übrigens ohne Aufschrei in der Presse). https://www.focus.de/panorama/welt/autobahn-in-hessen-lkw-fahrer-kommt-bei-bauernblockade-ums-leben_id_259565249.html

Also: Protest völlig ok, aber ohne Traktoren.

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Ich finde es auch problematisch, wenn die Bäuer:innen ihre Traktoren für den Prtest mobilisieren. Aber ich finde den Kausalzusammenhang, den du hier aufbaust, sehr fragwürdig. Da ist jemand gestorben, weil er von hinten in einen Stauende gefahren ist. Offenbar hat diese Person die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren, aus welchen Gründen auch immer. Da hätte es auch genauso zu einem Unfall kommen können, wenn kein Stau gewesen wäre.

Die Bäuer:innen sind für solche Ereignisse genausowenig verantwortlich, wie es die Letzte Generation in derselben Position wäre, oder wie es zum Beispiel eine Baustelle wäre.

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Tja, bei der letzten Generation wurde der Zusammenhang aber hergestellt. Scheint mir zweierlei Maß.
Entweder beide Fälle sind bedenklich oder keiner von beiden.
Damals wurde die Frage ewig lang in Presse und Talkshows diskutiert.

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Es ist auch zweierlei Maß. Das heißt aber ja nicht, dass wir uns auf das Niveau der Springerpresse herablassen sollten.

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Einverstanden.
Wollte aber das Messen mit zweierlei Maß bewusst machen.
Denn es war ja nicht nur die BILD-Zeitung, die gegen die letzte Generation hetzte.

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Damals wurde argumentiert, dass es den Stau nicht gegeben hätte, wenn die Letzte Generation nicht protestiert hätte. Das gilt hier genauso.
Wenn bei mir wieder mal die A3 gesperrt ist, weil irgendeiner meinte, bei Regen 280 fahren zu müssen, dann ist er auch schuld an dem Stau.

Interessant dass du das ganze als Hetze bezeichnest. Fändest du es angebracht deine Kommentare im Zusammenhang zu den Bauernprotesten ebenso zu bezeichnen? Immerhin wendest du argumentativ und stilistisch die gleichen Mittel und Methoden an (z.B. den Bauern die Schuld für den Unfalltod des LKW Fahrers zu geben).

Nein, ich denke weder bei den einen noch bei den anderen, dass sie Schuld am Tod der Personen trifft. Von außen sieht es für mich aus wie eine Verkettung unglücklicher Umstände.
Ich wollte nur aufzeigen, dass es eine unterschiedliche Bewertung durch die Öffentlichkeit gibt, die in keiner Weise gerechtfertigt ist.

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