US Rechtssystem: Schadensersatzhöhen bei Freiheitsberaubung

Könntet ihr erklären, warum Schadensersatz-Summen im US Rechtssystem so unmenschlich sind?

Konkret: wieso ist eine Verleumdung 148 Mio USD „wert“ (Giuliani/Trump - Quelle: Trumps Ex-Anwalt Giuliani muss 148 Millionen US-Dollar zahlen) während die Freiheitsberaubung für ein halbes Menschenleben (und mehr) vielleicht 175’000.- USD „wert“ ist (Glynn Simmons 48 Jahre unschuldig in Haft - Quelle: Irrtümlich verurteilt: Mann nach 48 Jahren Haft für unschuldig erklärt - Sorry: in der Print-Version ist von einer Haft-Entschädigung von 175’000.- USD die Rede, die vielleicht in ein paar Jahren zur Auszahlung kommen könnte).

Die hohen Schadenersatzsummen im US-System sollen letztlich dazu dienen, staatliche Kosten einzusparen. Während wir in Europa das Fehlverhalten von Unternehmen vor allem durch Aufsichtsbehörden kontrollieren, die saftige Geldbußen verhängen können, wird das in den USA traditionell eher den Bürgern überlassen. Der Gedanke ist, dass der Bürger, der eine problematische Unternehmenspraxis zu Fall bringt, dafür ordentlich belohnt wird. Halte ich für ein ziemlich schlechtes System, ist aber im Sinne des Kapitalismus folgerichtig (die Klage gegen das Unternehmen ist quasi ein „Investment“, das sich „auszahlen“ muss).

Die Höhe des Schadenersatzes in Privatklageverfahren (wie bei Guiliani) hängt von vielen Faktoren ab. Auch hier spielt es eine Rolle, dass nach der amerikanischen Logik ein „Abschreckungseffekt“ durch die hohen Strafen eintreten soll. Dass das nicht wirklich funktioniert interessiert die Ideologen vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums nicht. In Deutschland wird der Schadenersatz tatsächlich auf Grundlage des nachgewiesenen Schadens berechnet, eine Verleumdung wie im Falle Guilianis wäre vielleicht ein paar tausend Euro wert, mit Glück im fünfstelligen Bereich, wenn man z.B. berufliche Konsequenzen glaubhaft machen kann. Aber da in den sechsstelligen Bereich zu kommen ist schon extrem selten, in den 9-stelligen faktisch unmöglich.

Die geringe Haftentschädigung im Fall Glynn Simmons liegt daran, dass der Bundesstaat Oklahoma laut dem dort für Haftentschädigung geltenden Gesetz einen Tagessatz festlegt, aber die Gesamtsumme des Schadenersatzes auf 175.000 Dollar beschränkt. Natürlich könnte er gegen diese Begrenzung klagen, die Gerichte würden ihm vielleicht mehr zusprechen, aber dazu müsste man - vermute ich - erstmal das beschränkende Gesetz vor dem Oklahoma Supreme Court für verfassungswidrig erklären lassen, weil der einfache Richter wohl auch in den USA an das Landesgesetz gebunden sein dürfte.

—> Das Rechtssystem in den USA ist nun wirklich nicht bekannt dafür, besonders „fair“ zu sein.

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