Unerfüllter Kinderwunsch - gesellschaftliche und wirtschaftliche Dimension

Liebes Lage-Team,

aufgrund persönlicher Betroffenheit liegt es mir am Herzen, dem Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Wer jetzt denkt „Das ist ein privates Anliegen, dass in politischen Diskussionsforen wie diesem kein Platz hat“, dem sei gesagt: In Deutschland ist rund 1 von 10 Paaren ungewollt kinderlos. Die Zahl derjenigen, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterziehen müssen steigt rasant - entsprechende Zentren schießen fast wie Pilze aus dem Boden. Und: Es wird dort jedes Jahr ein Vermögen umgesetzt! Denn zur Erfüllung ihres Lebenswunsches, der nicht mehr und nicht weniger als die Frage eines kompletten Lebensentwurfes bedeutet, sind Paare bereit, jede nur mögliche Summe zu bezahlen.

Was ist nun mein Anliegen? Zum einen ist da das Fehlen jeglicher Sensibilität in der Öffentlichkeit. Fragen wie „Und wann ist es bei euch so weit?“ sind vollkommen anerkannt und arglos, für Betroffene aber jedes Mal ein Stich ins Herz. Funk und Fernsehen befördert dies, indem bei Stars und Sternchen völlig hemmungslos die Figur bewertet und die Frage gestellt wird, wann denn nun endlich Nachwuchs zu erwarten sei. Das andere ist jedoch die politische Dimension. Kinderwunschbehandlungen sind extrem teuer und werden nur zu einem Bruchteil von Krankenkassen bezahlt. Die meisten gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlen 50% der Kosten für 3 Behandlungen künstlicher Befruchtung - pro Versuch bedeutet das locker einen Eigenanteil von ca. 1.500 € pro Versuch. Damit bleibt einem Großteil der Bevölkerung das Glück eines eigenen Kindes bereits aus rein finanziellen Gründen verwehrt. Dazu kommt, dass zahlreiche Leistungen, wie z.B. das Einfrieren von Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung gar nicht bezahlt werden - und das, obwohl weitere Versuche mittels sog. Kryotransfere für Frauen viel weniger belastend sind und keines weiteren Eingriffs unter Vollnarkose bedürfen. Schließlich ist es ein Fakt, dass nach den übernommenen 3 Behandlungen nur rund 50% das Glück einer erfolgreichen Behandlung haben. Danach sind die Kosten vollständig selbst zu tragen und das, obwohl die Chancen auf einen Behandlungserfolg bis zur 8. Behandlung weiter steigen!

Dazu kommt, dass das für die Zulässigkeit von Behandlungsmöglichkeiten entscheidende Embryonenschutzgesetz gänzlich übernommen ist. So ist in Deutschland beispielsweise zwar die Samenspende zulässig, eine Eizellspende jedoch verboten. So sind Paare, bei denen die Ursache auf Seiten der Frau liegt, genötigt, ihre Behandlung im Ausland durchzuführen - wohlgemerkt: Fast überall in Europa ist die Eizellspende erlaubt!

Meines Erachtens besteht hier dringender politischer Handlungsbedarf. Der Lebensweg - mit oder ohne Kind - darf nicht länger eine Frage des Geldes sein. Und nochmal: Dieses Thema scheint ein Nischenproblem zu sein, ist jedoch ein Milliardenmarkt und ein riesiges gesellschaftliches Problem.

Ich kann dabei nicht länger zusehen und mich als Betroffene weiter durch das System kämpfen, sodass ich versuche, dem Thema auf verschiedenen Kanälen Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Herzliche Grüße

Julia

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Ich freue mich, hier einmal mit einer betroffenen Person sprechen und ihre Sicht lesen zu können.

Meine Frau arbeitet als Hebamme und hat mir bereits mehrfach von diesem Thema berichtet. Auch hier in der Schweiz gibt es viele Frauen, die medizinische Unterstützung für den Kinderwunsch suchen mussten. Viele davon im europäischen Ausland.

Ich gebe zu, dass es mir schwer fällt meine ehrliche Meinung hierzu kundzutun, insbesondere weil ich den Schmerz eines unerfüllten Kinderwunsches nicht vorzustellen vermag.

Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass es diverse Gründe gibt, warum ein entsprechendes Verbot nicht zwingend nur schlecht ist. Ich kenne weder Ihr Alter, noch Ihre Situation und möchte darüber nicht urteilen.

ich möchte versuchen mehrere Sichtweisen zu beleuchten, möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich kein Profi auf dem Gebiet bin, sondern bestenfalls ein interessierter Laie. Versuchen werde ich es dennoch:

  1. Das Alter von Erstgebärenden erhöht sich laufend. Dabei ist der menschliche Körper grundsätzlich nicht für späte Schwangerschaften ausgelegt. Laut HEFA ist die Fruchtbarkeit bei 35 jährigen Frauen durchschnittlich bereits nur noch bei 25%, mit 38 unter 15%. Ab 35 Jahren spricht man von einer Risikoschwangerschaft mit teilweise massiv erhöhtem Risiko für Frau und vor allem Kind.

Dennoch steigen die Zahlen der über vierzig jährigen Mütter stark an.

Meine Frau hat während ihrer Arbeit als Hebamme bereits eine gebärende über 52 betreut (!). Diese Frau hatte eine Eizellenspende und massive Komplikationen in der Schwangerschaft erlebt. Nur dank der speziellen medizinischen Betreuung in einer der besten Kliniken Europas hat diese Frau überlebt. Fälle dieser Art werden massiv wahrscheinlicher, je älter die Schwangere ist.

Es handelt sich also (aufs Alter bezogen) um eine hochriskante Situation, in die man sich wissentlich und aus einem Wunsch heraus begibt.

  1. Bei der künstlichen Befruchtung sind Lehrlinge unverhältnismässig häufig. Rund 25% der künstlich entstandenen Schwangerschaften sind Mehrlinge, was das Risiko für Frau und Kinder ebenfalls erhöht.

Da das Risiko für Fehlgeburten und Behinderungen bereits ohne Mehrlinge stark vergrössert ist, wird es noch zusätzlich erhöht. Man setzt sich und das Kind/die Kinder also - wieder wissentlich - diesen Risiken aus.

  1. Aus religiöser Sicht (die mir persönlich egal ist) handelt es sich um einen Eingriff in die Schöpfung, der unnatürlich ist. Mehr Empathie kann ich für derartigen Nonsens nicht aufbringen.

  2. Unseriöse Angebote gibt es beinahe überall. Es gibt gute Ärzte, die hohe Standards bei Aufklärung und Ethik an den Tag legen. Viele Paare reisen beispielsweise nach Tschechien oder Spanien und fallen teilweise auf Ärzte herein, die ihnen sechs befruchtete Eizellen einsetzen, in der Hoffnung, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft erhöht wird. Das doofe ist, dass dabei manchmal tatsächlich sechs Embryonen gedeihen. Stellen Sie sich vor, wenn Sie als Mutter, aber auch als medizinisches Personal fünf Kinder entfernen müssen. Aus natürlichen Schwangerschaften passiert so etwas praktisch nie, weil der Körper nur über eine Eizelle verfügt.

  3. Dieses Argument ist für mich das schmerzhafteste. Es gibt weltweit Diskussionen über Überbevölkerung, es gibt Waisen, die auf liebende Menschen hoffen. Es gibt so viele Menschen, die Ihrer Liebe und Energie bedürfen. Ist eine Adoption ein Thema für Sie? Wenn nicht würde ich gerne verstehen wieso nicht. Ich bin glücklich einen eigenen Sohn zu haben, den ich sehr liebe. Für mich war aber schnell klar, dass bei fehlender Fruchtbarkeit ein adoptiertes Kind Teil meines Lebens werden darf.

Ich hoffe, dass man sich nicht angegriffen fühlt. Ich bin in einer privilegierten Situation, bin mir dessen bewusst und gönne das auch jedem. Vielleicht ist es wichtig zu unterscheiden, ob es ein „Lifestyle“ Kinderwunsch für Paare ist, denen bis Mitte vierzig die Karriere das wichtigste war und von Natur aus nicht mehr möglich oder aus gesundheitlichen Gründen. Es gibt kein richtig und kein falsch, es ist dennoch eine nicht ganz einfache und erst recht keine einseitige Debatte.