Unabhängigkeit von Russland?

Hallo,

bei der aktuellen Bestrebung nach der Unabhängigkeit von russichen Rohstofflieferungen frage ich mich, warum möchte man das? Klar, man möchte Russland mit Zahlungen nicht unterstützen, gleichzeitig ist das doch das einzige Druckmittel für Sanktionen, was uns bleibt. Welche Möglichkeit der Einflussnahme auf Russland bleibt uns, wenn wir diese wirtschaftliche Beziehung verlieren? Gute Worte allein werden nicht reichen und selbst am Krieg teilnehmen wollen wir nicht. Die aktuellen Sanktionen mögen nicht den Krieg aufhalten, sind aber nichtkriegerische Maßnahmen, die zumindest es für Putin erschweren. Sollte man nicht vielleicht die wirtschaftlichen Beziehungen stärken, damit Sanktionen zukünftig effektiver sind?

Ist die EU nicht auf diesem Gedanken aufgebaut: uns wirtschaftlich so gegenseitig abhängig zu machen, dass ein Krieg gegeneinander nicht mehr möglich ist?

Mit freundlichen Grüßen

Nachdem „Wandel durch Handel“ nicht wirklich funktioniert hat, schätze ich, dass „Erpressbarkeit durch Handel“ auch nicht funktioniert. Ich mein, es funktioniert ja schon jetzt nicht. Russland ist in die Ukraine einmarschiert ohne besondere Rücksicht auf die Kosten und ihr Image. Außerdem ist es genau das, was Russland mit der EU vor hatte. Russland hat sich doch darauf verlassen, dass wir aufgrund unserer Abhängigkeit still halten werden, wenn sie die Ukraine überrollen. Sprich, sie versuchten uns zu erpressen. Hat jetzt nicht ganz geklappt, aber bis zu einem gewissen Maß (Öl und Gas) dann schon.

Von daher, ich bin mir gerade nicht sicher, was für ein neuer Ansatz denn her soll?

Zumal sich Russland mit diesem Krieg, den Gräueltaten, den Verwüstungen ganzer Städte, dem Versuch der Unterjochung eines ganzen Volkes, den Lügen, der gegen uns gerichteten Propaganda, der Androhung atomarer Schläge, der Vertragsbrüchigkeit im Falle von Polen und Bulgarien, sowie der Destabilisierung unserer Demokratien mit den Einmischungen in die Wahlen in der Vergangenheit (Trump, Brexit, …), der Unterstützung unserer extremeren Parteien (LePen, Orban, …), den andauernden Cyber-Atacken, und, und, und einfach mal als absolut nicht vertrauenswürdig erwiesen hat. Wo soll da eine Grundlage zur Zusammenarbeit sein?

Vom Prinzip her stimme ich dir zu, dass man Russland nicht isolieren soll/kann/darf, aber mit diesem Russland fehlt mir gerade echt die Fantasie, wie eine zukünftige Zusammenarbeit aussehen soll und kann.

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Um einen Krieg gegeneinander geht es eh nicht sondern um die Staaten zwischen Russland und der EU.

Gerade Deutschland hat gezeigt, dass bei wirtschaftlichen Verflechtungen der Wille fehlt die auch zu Nutzen, um Druck auszuüben. Vorher hätte man dies machen können die jetzigen Sanktionen kommen viel zu spät.

Hinzu kommt Energie Abhängigkeit ist eine besonders einseitige Abhängigkeitsform. Man denke an die OPEC Staaten.

Russland ist sehr darauf bedacht eine gewisse Autonomie aufrecht zu erhalten. Ich bezweifle, dass dies funktionieren würde. Hier stehen sich aus realistischer Perspektive zwei regionale Gegner mit Hegemonie Anspruch gegenüber. Hinzu kommt, dass Russland kein besonders konsolidierter Staat ist, was Kooperationen tendenziell schwierig macht.

Die von der EU ausgegebene These ist:
Wandel durch Handel funktioniert nicht.
Wandel durch Nicht-Handel funktioniert.

Ernsthaft: WTF.
Diese These ist nicht haltbar.

Siehe auch:

Genau das ist meine Frage: Wir sind anhängig von Russland und zögern deshalb gegen sie vorzugehen. Unsere Seite ist erpressbar wegen dem Handel. Ist es nicht genau dieser Gedanke, der in Europa Frieden schaffen sollte. Dass Russland sich nicht erpressen lässt im Moment, kann man vielleicht doch auch so interoretieren, dass die wirtschaftlicher Abhängigkeit Russlands von uns noch zu gering ist.

Sollten wir uns nun von Russland unabhägig machen, welche Einflussnahme haben wir dann noch, wenn Russland zb in Moldau einmaschiert?

Mir ist bewusst, dass die aktuellen wirtschaftlichen Sanktionen wenig/keinen Erfolg hatten (zumindest nicht kurzfristig), aber immerhin konnten wir auf nichtmilitärische Weise Druck, wenn auch geringen, ausüben, was zukünftig dann nicht mehr möglich wäre. Dann bliebe nur noch militärische Abschreckung, die aber im Moment gegenteilig wirkt, da Russland mit Drohung seiner Atomwaffen uns vom Handeln abhält. Da das somit auch ausscheidet, bliebe nur noch die direkte Konfrintation und die kann keiner wollen.

@lib: Was schlägst du vor? Was ist deiner Ansicht nach die richtige Vorgehensweise?

Bei der Unabhängigkeit von Russland geht es nicht darum, Druck auf Russland auszuüben, sondern darum den Druck, welcher auf Europa lastet, zu reduzieren.
Die letzten 1,5 Monate haben doch gerade gezeigt, dass wir keinen ernsthaften Druck auf Russland ausüben. Während wir nach alternativen Anbietern suchen, sucht Russland nach alternativen Abnehmern. Wer dieses „Rennen“ gewinnt, wird der Gegenseite mehr schaden können.

Diese Sichtweise habe ich auch immer vertreten. Ich habe z.B. auch im Hinblick auf Nordstream 2 immer argumentiert, dass eine gegenseitige Abhängigkeit eigentlich eher positiv ist. Und die Tatsache, dass aktuell Deutschland/die EU mit einem Importstopp für russisches Gas droht und gleichzeitig Russland droh, einen Exportstopp einzuleiten, zeigt, dass sich tatsächlich beide Seiten bewusst sind, dass es sich dabei um eine Lose-Lose-Situation handelt, die weder in deutschem/europäischen noch im russischen Sinne ist. Eine gegenseitige Abhängigkeit eben.

Das Problem ist jedoch, dass Russland mit dem Angriff auf die Ukraine gezeigt, dass es bereit ist, im Vertrauen auf die gegenseitige Abhängigkeit Europas und Russlands in ein Nachbarland einzumarschieren. Vermutlich hat Russland gehofft, dass durch die gegenseitige Abhängigkeit eine „Neutralität“ Europas erzwungen werden könnte. Zum Glück hat Europa gezeigt, dass ihm seine Werte wichtiger sind als die wirtschaftliche Entwicklung. Bisher zumindest.

Das Konzept der gegenseitige Abhängigkeit durch enge wirtschaftliche Verstrickungen kann nur funktionieren, wenn man nicht davon ausgehen muss, dass eine der beteiligten Parteien diese Abhängigkeiten nutzt, um abscheuliche Dinge wie einen Angriffskrieg gegenüber Dritten durchzuführen.

Das gleiche Problem haben wir auch mit China. Wir halten uns mit Kritik, wenn China internationales Recht bricht, stark zurück, weil wir natürlich wirtschaftlich auch stark von China abhängig sind. Was aber, wenn China jetzt so stark über den Stränge schlägt, wie Russland in der Ukraine?

Kurzum: Gegenseitige Abhängigkeit schützt zwar die jeweils beteiligten voreinander, macht sie aber ein Stück weit handlungsunfähig gegenüber Dritten. Und das bedeutet, dass man nicht zu abhängig von Staaten werden darf, die nicht unsere Werte zumindest im Ansatz teilen. Das betrifft Russland, China, aber auch die USA.

Ernsthaft, die starke Abhängigkeit von den USA führt eben dazu, dass die USA nie sanktioniert werden, auch nicht, wenn sie unsere Staatsbürger entführen und über Jahre foltern oder, wie im Irak, mit fingierten Beweisen einen Angriffskrieg starten. Das ist exakt das gleiche Problem, dass wir mit Russland und China haben.

Es geht darum, das richtige Maß an gegenseitiger Abhängigkeit je nach Partner zu wählen. Desto problematischer der Partner ist, desto geringer darf auch die gegenseitige Abhängigkeit sein, um im Notfall handlungsfähig zu bleiben.

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Sanktionen wirken wahrscheinlich mehr als nichts, aber ich befürchte, dass sie Putin nicht von seiner Aggression gegenüber der Ukraine abbringt. Er hat ausreichend Devisionvorräte und vor allem kann Russland auch auf sich gestellt sein Militär (weitgehend) unterhalten. Und da Putin nicht nur das Leid der von ihm überfallenen Ukrainer egal ist, sondern wohl auch das seiner Untertanen, haben Sanktionen wohl auch wenig Einfluß auf seine Handlungen. Leider ist wohl der militärische Widerstand der Ukraine das einzige, was wirklich gegen Putins Aggression wirkt.

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@lib: Was schlägst du vor? Was ist deiner Ansicht nach die richtige Vorgehensweise?

Diese Analyse teile ich.
Gegen einen Krieger wie Putin mit einem Völkerrechts-Gesetzbuch oder einer Zoll-ExcelTabelle anzutreten verlagert die Verteidigung auf eine ineffektive Ebene.

Genau so ist es.

Die Kehrseite der Symbiose ist die Abhängigkeit. Je nach Standpunkt oder nach Situation kann man eine symbiotische Beziehung als Abhängigkeit betrachten, oder eine abhängige Beziehung als eine Symbiose. Wenn alles gut läuft, ist es die positiv konnotierte Symbiose, welche die Betrachtungsweise bestimmt, da beide Seiten profitieren. Wenn die Dinge aber nicht mehr gut gehen, dann ist es die negativ konnotierte Abhängigkeit, welche die Betrachtungsweise bestimmt. Und dass mit Russland rein gar nichts mehr gut läuft, muss ich niemandem erzählen.

Diese Zeitenwende: sie ist definitiv da. Und sie ist nicht nur eine militärische. Vielmehr zieht sie sich durch alle Ebenen der Beziehung mit Russland. Russland ist gerade dabei, die Beziehung mit dem Westen, mit der EU und insbesondere mit Deutschland komplett zu zertrümmern. Russland bringt uns mit dem Krieg und den Gräueltaten dazu, uns angewidert abzuwenden und die Beziehung aufzutrennen (was wir dann als Sanktionen bezeichnen), während wir damit Russland dazu bringen, sich andere Partner/Abnehmer zu suchen. Dabei geht es nicht darum, wer dieses Rennen gewinnt. Das ist kein Rennen. Es ist eine Trennung. Und sie ist kaum mehr aufzuhalten.

Auch das ist völlig richtig. Auch da ist ja der Wandel durch Handel nicht so gelaufen, wie wir uns das gewünscht haben. Einen Wandel durch Handel gab es definitiv - Und was für einen! - aber eben nicht den von uns erwünschten. Tatsächlich bin ich, was die zukünftige Weltordnung betrifft, ganz pessimistisch. Meiner (natürlich völlig laienhaften und unfachmännischen) Einschätzung nach bewegen wir uns auf eine neue Blockbildung - einen Eisernen Vorhang 2.0, wenn man so will - in der Welt zu. Russland hat sich für eine Seite entschieden und dabei den Prozess der Blockbildung gleich angestoßen.

Die wirklich große Frage ist: auf welche Seite wird sich Indien begeben? Deren Beziehung mit und Situation zwischen Russland, China, den USA und der EU ist auch eine ganz komplexe.

Blockzitat Die Kehrseite der Symbiose ist die Abhängigkeit. Je nach Standpunkt oder nach Situation kann man eine symbiotische Beziehung als Abhängigkeit betrachten, oder eine abhängige Beziehung als eine Symbiose.

Du überträgst den bisher hier nicht verwendeten Begriff der Symbiose umstandslos auf das politisch- ökonomische Verhältnis zwischen Deutschland und Russland, das nicht symbiotisch genannt werden kann. Was auf die Psychologie zwischenmenschlicher Beziehungen zutreffen mag, kann eben nicht unreflektiert für die politische Analyse verwendet werden. Wird aber auch hier im Forum die Debatte hauptsächlich auf die psychologische Ebene verlagert, erschwert das auf unangemessene Weise eine gesellschaftspolitisch u. ökonomisch fundierte Diskussion (die natürlich psychologische Aspekte berücksichtigen sollte).

Das Blockprinzip funktioniert nur wenn man Binäre westliche Frames benutzt. Westlich-antiwestlich, Demokratisch-autoritär. Das sind dann aber ziemlich htereogene Blöcke die du da aufmachst. Gerade BRICS Staaten und ihr Verhältnis zueinander ist sehr ambig.

Strategische Partnerschaften sind nicht das selbe wie Blockbildung und China und Russland bilden keinen Block. Viele dieser Partnerschaften resultieren aus der Machtlosigkeit gegenüber dem Westen und seiner Dominanz in internationeln Organisationen. Deswegen Verhält sich Indien auch trotz Grenzkonflikten mit China neutral.
Mit fem Kaltenkrieg hat das so gar nichts zu tun und selbst da gab es genug Blockfreie Staaten.

Das Staaten Eunflussphären bilden ist aus realistischer Perspektive normal dazu gehört auch immer imperialistische Politik. Russland handelt aufgrund wirtschaftlicher schwäche halt besonders grausam, während China sich eher wie die USA Verhält mit einer dualistischen Strategie aus Wirtschaftlicher Ausdehnung und militärischen Stützpunkten.

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