Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften

Hallo Ulf und Philipp,

Ich möchte eine Frage aufwerfen zu eurer Ausführung zum Thema Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften: Ihr habt ja gesagt, dass ein zu politisches Vorgehen eines Justizministers „politischer Selbstmord“ wäre. Ich stimme insofern zu, dass das für Politiker, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Sollte jetzt aber jemand im Amt sein, bei dem das nicht gilt, würde ich das bezweifeln. Es ist ja leider nicht mehr komplett auszuschließen, dass in naher Zukunft an der ein oder anderen Landesregierung die AfD beteiligt sein wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein/e AfD-JustizministerIn so etwas politisch sogar nutzen würde.

Könntet ihr das vielleicht noch einmal kommentieren?

Viele Grüße,
Jakob

Ich fand das Segment auch etwas überraschend, vor allen Dingen vor dem Hintergrund dass in der Landesverratsäffäre bzgl. Netzpolitik.org Heiko Mass als Jusitzminister ja durchaus auf die Ermittlungen des Generalbundesanwalts eingewirkt hat (Details nicht ganz klar, siehe zB Harald Range – Wikipedia) und diesen dann ja in Zuge dessen auch entlassen hat.

Also unendlich weit weg ist, dass das in Deutschland passiert jetzt m.E. nicht. Was ich aber auch ok finde, wenn man als Justizminister*in das Gefühl hat ein Staatsanwalt in leitender Funktion dreht gerade frei.

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Es geht eben auch um Politik. Und den AfD Justizminister muss man hinnehmen. Das ist Demokratie.

Hallo Ulf und Philipp,

bei der Durchsuchung im Bundesfinanzministerium steht der Vorwurf der politischen Instrumentalisierung der zuständigen Staatsanwaltschaft im Raum. Scholz und die SPD wittern Foulplay, wogegen die CDU in Gestalt ihres Kandidaten Laschet und der Bundesverteidigungsministerin AKK schwerstes Geschütz auffahren. Wie bereits vorne im Thread erwähnt, habt Ihr in der letzten Lage auf das politische Risiko einer (zu) starken politischen Beeinflussung hingewiesen und die entsprechenden Gefahren daher als eher gering eingeschätzt. Die SZ bringt es noch deutlicher auf den Punkt: „Wahlkampf-Spekulationen verbieten sich“, heißt es in der Online-Ausgabe vom 10. September. Das „strukturelle Problem“ liege, wenn überhaupt, bei der Geldwäscherei, und nur deswegen wäre es „schlecht, wenn die Ermittler […] über das Ziel hinausgeschossen sein sollten“ (Razzia im Finanzministerium: Ermittler machen sich unnötig angreifbar - Wirtschaft - SZ.de).

Beg to differ, your honour: Schon nur der Anschein bzw. die grundsätzliche Rechtmäßigkeit potentieller Einflussnahmen untergräbt das Vertrauen in rechtsstaatliches Handeln. Ohne die florierende Geldwäscherei in Deutschland geringschätzen zu wollen – um den ungeheuerlichen Verdacht der Politiksteuerung von Strafverfahren auszuräumen, wäre doch erst einmal ein anderes „strukturelles Problem“ zu diskutieren, nämlich die einschlägigen – und einschlägigen §§ 146 f. GVG. Diese stehen seit 1877 materiell unverändert im Gesetz und stammen somit aus einer Zeit, in der der Rechtsstaat in Deutschland institutionell wesentlich anders – und, auch wenn es heute mancherorts wieder angezweifelt wird, wesentlich schwächer – aufgestellt war als heute (vgl. Gerichtsverfassungsgesetz – Wikisource und _148). M. a. W.: Die Weisungsgebundenheit deutscher Staatsanwälte wird modernen rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht, was — in einem anderen Verfahren — auch der EuGH vor kurzem unmissverständlich klargestellt hat (https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2020-11/cp200146de.pdf). Rechtsnormen aus der Mottenkiste des Kaiserreichs vermindern im Übrigen auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands gegenüber Ländern wie Polen, wo Einflussnahme ja tatsächlich täglich ausgeübt wird. Dass es auch anders geht, zeigt wiederum die Rechtslage in Italien, wo die Staatsanwaltschaften ohne wenn und aber der Dritten Gewalt zugeordnet sind. Hier besteht m. E. dringender Handlungsbedarf seitens der gesetzgebenden Gewalt. Was denkt Ihr denn darüber? Eure Einschätzung, v. a. auch hins. der Chancen entsprechender Modernisierungsversuche, interessiert mich sehr.