Überhangmandate, Ausgleichsmandate und die CSU

Hallo liebe Lagerkosten,

Nun möchte ich doch einmal Rückmeldung geben, als es um die arme CSU nach der Wahlrechtsreform ging. Weil die CSU droht , an der 5% Hürde zu scheitern hattet ihr zwei Möglichkeiten aufgezeigt, wie die CSU im Bundestag bleiben kann. Eine war die Absenkung der Hürde auf 3%. Ihr hattet das CSU-Argument verwendet, dass eine Partei, die in Bayern so stark sei, im Bundestag vertreten sein müsste, um den demokratischen Volkswillen darzustellen.

Dem möchte ich hart widersprechen.

Eine starke Regionalpartei kann durchaus demokratisch gesehen nicht im Bundestag vertreten sein. Keiner würde fordern, dass eine starke Bremer Regionalpartei, die in Bremen mit absoluter Mehrheit regiert, in den Bundestag einziehen muss. Denn der Bundestag wird von den Bürgern der Bundesrepublik gewählt, und zwar anteilig. Wenn die CSU dabei nicht auf 5% kommt, kommt sie nicht rein. Sie kann weiterhin ihren Einfluss über den Bundesrat ausüben.

Natürlich hätte die CSU aber auch noch zwei Möglichkeiten: Statt als Schwesterpartei der CDU nur in Bayern anzutreten, könnte sie sich mit der CDU vereinen, wie es einst Bündnis 90 und die Grünen taten. Oder aber sie geht in Konkurrenz zur CDU und tritt bundesweit an. Dann braucht sie keine Extrawurst und wäre demokratisch gewählt und zurecht in Bundestag vertreten.

Viele Grüße
Martin

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Ich stimme dir grundsätzlich zu. Die Diskussion hatten wir im Forum schon einige Male und bisher habe ich auch keine überzeugenden Argumente gehört, warum die CSU-CDU-Konstellation besonders schutzwürdig sein sollte.

Die Unionsparteien haben durch diese Konstellation häufig Vorteile, insbesondere für Bayern ist der „direkte Draht“ nach Berlin leider extrem vorteilhaft, was wiederum für die CSU extrem vorteilhaft ist und wohl auch der Grund ist, warum die Partei seit 1946 fast dauerhaft an der Macht ist, die meiste Zeit davon mit absoluter Mehrheit. Dieses Konstrukt gibt der CSU einen extremen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen anderen Parteien in Bayern und ist deshalb mMn grundsätzlich abzulehnen, ganz sicher aber nicht gezielt zu schützen.

So gesehen nimmt das neue Wahlrecht der CSU lediglich unfaire Vorteile weg, welche die CSU nie so lange Zeit hätte behalten dürfen.

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Ich frage mich bei der Diskussion, warum man nicht ein ranked Voting bzw. eine Stichwahl einführt.

Ranked voting bedeutet, dass ich meine Kandidierenden in eine Reihenfolge bringe.
Wer 50 % der Stimmen eines Wahlkreises auf sich vereint, kommt sofort in den BT.

Geschieht das nicht, kommt die Reihenfolge ins Spiel:
Alle Wählenden bringen die Direkt-Kandidaten in eine persönliche Reihenfolge.
Eine Person erhält die wenigsten Stimmen: Diese Person ist nun raus aus dem Rennen
Dann kucke ich bei den Personen, die die gewählt haben, welche Kandidatin sie an die zweite Stelle gesetzt haben.
Diese Stimmen werden nun auf die restlichen Kandidatinnen verteilt.
Evtl. erhält damit jemand 50%-Anteil. Die ist dann gewählt.

Wenn nicht, wiederholt sich der Vorgang, bis eine Person über 50% kommt.

Nachteil: Wahrscheinlich geht das nur mit einem elektronischen Wahlsystem, was in D wohl nicht möglich ist.

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Also der Vergleich mit Bremen hinkt doch gewaltig, wenn man bedenkt, dass in Bremen „nur“ 569.352 (Stand: 2019) Menschen wohnen und in Bayern ~16 Prozent der deutschen Bevölkerung…

Meine Meinung ist folgende: Wenn man das System der Erst- und Zweitstimme beihält, dann muss es aufgrund einer bestimmten Anzahl an gewonnenen Wahlkreise durch die Erststimme eine Möglichkeit geben in den Bundestag einzuziehen. Alles andere fände ich sehr merkwürdig, insb. wenn man sich das Erststimmen Ergebnis der CSU bei der letzten Bundestagswahl anschaut.

Die CSU hat bei der letzten Bundestagswahl 45 Wahlkreise gewonnen. Das sind 15% (!) aller Wahlkreise in Deutschland und mehr als Linke, Grüne, FDP und AfD zusammen .
Von diesen 45 Wahlkreisen haben in 14 die CSU Kandidaten mehr als 40% erhalten. Nur 5 Wahlkreisgewinner der CSU hatten weniger als 30%. Somit bleiben 26 Wahlkreise, die irgendwo zwischen 30% und 40% liegen.
Hätte die CSU nur 0,3% (~150.000 (Zweit-)Stimmen) weniger erhalten, wäre nach neuem Wahlrecht keiner dieser Kandidaten im Bundestag.
Das würde bedeuten, dass 5% der Wahlkreise in Deutschland nicht mit deren Gewinnern im Bundestag vertreten sind, die/der Gewinner/in aber in diesen Wahlkreisen mehr als 40% (!) der Stimmen geholt haben (890.831 Wählende im Übrigen).

Wie das dann den demokratischen Volkswillen abbilden soll, ist meiner Meinung nach schon eine legitime Frage.

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Ich würde tatsächlich wohl auch ein bisschen Schadenfreude verspüren wenn es zu sowas käme.

Würde diese Bremer Regionalpartei 45 Direktmandate holen und über 2,4 Mio. Zweitstimmen wäre die Diskussion sicher auch eine andere als bei 2 Direktmandaten und 100.000 Stimmen. Den Vergleich finde ich jetzt durchaus ziemlich tendenziös, weil Bayern einfach auch 20 mal so groß ist wie Bremen. Wenn du dir mit deinem Vergleich so sicher bist, warum dann nicht BW oder NRW als hypothetisches Beispiel nennen?

Wenn wir einfach so sagen können, dass man 45 Direktmandate einfach ignorieren kann, dann wäre es demokratischer die Erststimme gleich direkt abzuschaffen.

Wenn ich das richtig sehe wären aber doch bei der Konstellation einer Vereinigung von CDU und CSU die verteilten Sitze trotzdem gleich. Die CSU hätte also nicht mehr oder weniger Einfluss im Bundestag. Da CDU und CSU im Bundestag ohnehin ein gemeinsames Auftreten haben und nicht gegeneinander Stimmen würde sich in meinen Augen hier nichts ändern.

Ich behaupte sogar, dass die CSU mit solch einer Vereinigung an Einfluss gewinnen würde. Denn während sich die CSU heute einer CDU stellen muss, die bereits einen internen Kompromiss ausgehandelt hat würde sie in einer gemeinsamen Partei von Beginn an an der Ausrichtung beteiligt werden und den Einfluss der moderateren Landesverbände schmälern.

Noch schlimmer wäre aber wenn die CSU auf dem Papier Bundesweit antreten würde, aber ohne einen Wahlkampf außerhalb von Bayern. Sie würde sich wahrscheinlich alleine aus CDU-Wählern die als internen Protest ihr Kreuz bei der CSU machen so viele Stimmen holen, dass mit 25%+x in Bayern ein Einzug in den Bundestag sicher ist. Insgesamt steigert die CSU mit den Stimmen von außerhalb Bayerns aber ihren Stimmenanteil und würde so im Verhältnis sogar stärker in den Bundestag einziehen. Wenn die Ausrichtung dann aber rein Bayernweit bleibt, dann steigert das den Einfluss Bayerns im Bundestag sogar noch.

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Bei Ranked Voting würde der Wahlkreissitz so lange weitergereicht, bis er bei einer Partei landet, die nicht an der 5%-Hürde gescheitert ist und die weniger direkt gewählte Abgeordnete hat, als ihr laut Zweitstimme zustehen. Soweit komme ich noch mit.
Was wäre aber der Vorteil einer Stchwahl? Ein Kandidat kann 100% der Erststimmen bekommen - hat seine Partei keine 5% der Zweistimmen, kommt er trotzdem nicht in den Bundestag.

Man hätte dann wenigstens viel weniger Überhangmandate.

Die Grundmandatsklausel könnte soo bleiben wie bisher.

Das wäre mir eigentlich schnuppe. Ich halte Wahlkreise und Direktkandidaten sowieso für ein völlig überflüssiges Relikt aus der Zeit, wo ein Ferngespräch nach Bonn, um Kontakt zu einem Abgeordneten aufzunehmen, ein halbes Monatsgehalt gekostet hat, und eine entsprechende D-Zug-Fahrt einen ganzen Tag dauerte.

Die viel problematischere Folge meiner Ansicht nach wäre aber, dass nicht nur diese 45 Direktkandidaten und die CSU als Ganzes nicht in den Bundestag kämen, sondern dass die entsprechenden Sitze nach Proporz praktisch alle an die Landeslisten anderer Parteien anderer Bundesländer gingen. Bayern insgesamt wäre dann also im Verhältnis zur Bevölkerung nur mit etwas mehr als halb so vielen Abgeordneten vertreten wie alle anderen Bundesländer. Das halte ich verfassungsrechtlich tatsächlich für ein Problem.

Um die CSU wäre es dagegen nicht schade. Die waren immer absolut gegen eine Absenkung der 5%-Hürde, weil’s sie ja nicht betroffen hat, und jetzt jammern sie eben rum. Ich sehe aber eigentlich keinen Grund, warum eine Partei, deren Stimmen sich auf eine bestimmte Gegend konzentrieren, in den Bundestag dürfen soll, aber eine andere Partei mit exakt genauso vielen Stimmen gleichmäßig über das Land verteilt nicht. Das ist natürlich eine politische Entscheidung, derartigen Regionalismus zu unterstützen, aber unverzichtbar ist das ganz bestimmt nicht.

Ich denke aber eh, am Ende wird das Verfassungsgericht das neue Wahlrecht im Großen und Ganzen akzeptieren, aber für Fälle wie die CSU Sonderregeln verlangen, und dann werden sich alle auf eine Wiedereinführung der Grundmandatsklausel einigen, aber nicht mit 3, sondern mit 10 oder 20 Mandaten, damit die CSU safe ist, aber Parteien wie die Linke davon nicht mehr profitieren können.

Das Zustandekommen war eh eine Art Unfall, denke ich. Meiner Meinung nach hatte die Ampel die Grundmandatsklausel nur als Verhandlungsmaterial gestrichen, um dann mit der Union in einem Kompromiss die doch wieder aufzunehmen, aber im Gegenzug deren Zustimmung zu dem Gesetz zu bekommen und das dann am Ende im überparteilichen Einvernehmen verabschieden zu können. Die Union hat sich bloß nicht drauf eingelassen, weil ein Wahlrecht, dass sie nicht einseitig bevorteilt für sie inakzeptabel ist.

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Wenn es einseitig nur bestimmte Kreise betrifft wäre mir das nicht so schnuppe. Wenn man sich einig ist, dass diese Wahlkreise ohnehin nutzlos sind wäre eine komplette Abschaffung der Erststimme der einzig konsequente Weg.

Sie haben halt einen Nutzen – für die großen Parteien. Zum einen kann man in sogenannten „sicheren Wahlkreisen“ irgendwelche Apparatschiks aufstellen, die auf jeden Fall in den Bundestag kommen, egal wie korrupt und/oder unbeliebt sie sind, und zum anderen hat man in den eher umkämpften Wahlkreisen motivierte Kandidaten, die im Wahlkampf vor Ort Dampf machen.

Für die Wähler hat das alles überhaupt keinen Nutzen. Im Gegenteil trägt das als Teil des Systems mit dazu bei, dass ein Großteil der zukünftigen Abgeordneten bereits vor der Wahl feststeht und faktisch nicht abgewählt werden kann.

Die Direktkandidaten sind für die meisten Menschen der einzige Kontaktpunkt zu Bundespolitikern. Ich bin sowieso ein Freund von mehr direkter Demokratie wie in der Schweiz gelebt. Wenn man nur noch alle vier (manche fordern fünf) Jahre eine Liste wählt, deren Besetzung durch irgendwelche parteiinternen Klüngeleien entsteht, verlieren noch mehr Menschen das Interesse sich einzubringen.

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In Bayern kommt ein Direktkandidat übrigens nicht in den Landtag wenn seine Partei an der 5%-Hürde scheitert.

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Wie gesagt, mein Hauptargument ist folgendes:
Die CSU ist eine Partei, welche explizit „Politik für Bayern“ macht. Deshalb ist sie in Bayern auch auf Bundesebene so stark, deshalb stellt sie permanent die Regierung. Denn die „CDU Bayern“, die „GRÜNEN Bayern“, die „SPD Bayern“ und die „FDP Bayern“ können eben nicht so rücksichtslos die Interessen Bayerns durchsetzen, wie es die CSU kann (und in der Vergangenheit immer wieder getan hat). Es gibt doch wohl wirklich keinen Zweifel daran, dass Bayern in der Bundespolitik immer eine Extrawurst bekommt, dass die Interessen Bayern auf Bundesebene stärker durchgesetzt werden als die Interessen aller anderen Bundesländer. Das liegt an der CSU, das liegt an der besonderen Konstellation von CDU und CSU. Wer in Bayern lebt und wem es wichtig ist, dass die Interessen Bayerns besonders stark vertreten werden, wählt teilweise die CSU, obwohl ihm andere Parteien politisch deutlich näher stehen. Das ist der starke Vorteil, von dem ich spreche.

Das ist schon sehr ironisch. Die typische Doppelmoral…

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Das ist die Erzählung, weswegen Politiker dieses System weiterhin aufrechterhalten. Ich halte das aber für totalen Bullshit. Frag mal auf der Straße nach, wieviele Leute überhaupt den Namen ihres aktuellen Wahlkreisabgeordneten kennen. Das ist denen doch vollkommen egal, … (edit Mod.)

Insbesondere in der heutigen Parteienlandschaft mit Direktmandaten ab 20% der Stimmen ist das doch absurd. Wenn ich in einem Wahlkreis wohne, in dem zufällig ein AfD- oder CDU-Kandidat knapp das Direktmandat gewonnen hat, macht das den doch nicht zu einem geeigneten Ansprechpartner für mich, wenn ich z.B. erwarte dass etwas gegen Mietwucher unternommen wird.

Die Wahlkreiskandidaten werden doch mindestens im selben Maß durch Klüngelei bestimmt. Da treffen sich eine zweistellige Anzahl Deligierter, die dann meist auf Vorschlag des örtlichen Kreisvorstands den Kandidaten küren, der das Mandat oft seit Ewigkeiten sowieso innehat, und wenn das ein „sicherer“ Wahlkreis für die Partei ist, dann haben diese paar Dutzend Leute bestimmt, wer als „Vertreter des ganzen Volkes“ Abgeordneter wird.

Ich hab das an anderer Stelle auch schon geschrieben. Ich wäre dafür, die Wahlkreisstimme abzuschaffen, aber nicht ersatzlos, sondern im Gegenzug mehrere Personenstimmen auf der Liste einzuführen. Wenn jeder bspw. 2 Stimmen hat, die auch nicht auf eine Person konzentriert werden dürfen, dann kann jeder der möchte immer noch den Spitzenkandidaten und den örtlichen Kandidaten des Kreisverbands wählen, wenn der gute Arbeit macht und nicht nur Diäten kassiert, reihenweise lukrative Nebenjobs hat und sich bloß im Wahlkampf widerwillig blicken lässt.

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Die Regierung stellen sie, weil es Bayern seit der Nachkriegszeit relativ konstant besser geht als dem Rest des Landes (nicht unbedingt wegen der CSU) und weil lange die Kirche und das C in CSU hier auch viel zusammen geschafft haben, was gerade am Land noch heute einiges ausmacht. In den Städten war die CSU schon lange nicht so unumstritten vor der SPD. Ich habe weniger das Gefühl, dass das mit der Rolle im Bund zu tun hat.

Ganz ehrlich habe ich das noch von keinem gehört. In meinem Umfeld wählt man entweder das was einem gerade inhaltlich am nächsten steht oder hat eine ziemlich feste Präferenz, teils mit Mitgliedschaft (in verschiedenen Parteien). Dass jemand CSU wählt obwohl er z.B. der SPD näher steht habe ich bei uns noch nie gehört. Wenn, dann dürfte das nur Einzelfälle betreffen.

Und wie gesagt. Ich glaube eine bundesweit antretende CSU würde den Einfluss Bayerns deutlich erhöhen und nicht im geringsten schmälern.
Und auch eine Partei aus CDU und CSU würde es zumindest für alle außerhalb Bayerns weniger offensichtlich machen was jetzt eigentlich bayerische Interessen sind und was die Interessen der restlichen Union. Aktuell kommt das ja zumindest in Debatten zwischen CSU und CDU meist ziemlich klar raus.

Dem Subsidiaritätsgedanken folgend könnte man auch die Listen abschaffen und nur noch Direktwahl der Abgeordneten zulassen. Das wäre tatsächlich direktere Demokratie und verbindlicher als ominöse Parteilisten.

Natürlich ist mir klar, dass das auch unerwünschte Nebeneffekte hat wie mangelnde Repräsentanz, mangelnde Verbindlichkeit, mangelnden lokalen Bezug, etc - deshalb empfinde ich den aktuellen Weg als vernünftigen Kompromiss.