Töten anderer Verkehrsteilnehmer als Bagatelldelikt

Es werden doch allgemein auch indirekte Folgen von Taten beim Strafmaß berücksichtigt. Warum sollte man ausgerechnet beim Führerschein davon absehen?

Kleine Abschweifung:
Otto Wiesheu war u.a von 1993 bis Ende 2005 Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie.
Zuvor hatte er:
Am 29. Oktober 1983 verursachte Wiesheu auf der Autobahn München–Nürnberg mit seinem Wagen unter Alkoholeinfluss (1,99 Promille) einen Verkehrsunfall, bei dem ein anderer Verkehrsteilnehmer in seinem Auto getötet und dessen Begleiter schwer verletzt wurde.

Ok es ist lange her. Aber hat sich so viel geändert? In Bayern konnte man danach noch Minister für Verkehr werden…

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Wenn der Rentner im Zuge des Unfalles mit dem Radfahrer das Augenlicht verloren hätte, würden wir doch auch nicht darüber diskutieren, ob der Führerseinentzug nun eine Strafe ist. Ohne funktionierende Augen, würde er einfach die Voraussetzungen zum Führen eines PKWs nicht mehr erfüllen, auch wenn das nicht im Strafgesetzbuch steht.
Der Führerscheinentzug ist also keine Strafe, sondern folgt nunmal der Tatsache, dass die Person offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, ein Auto sicher zu führen.

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Das haben wir doch auch, zusätzlich zur strafrechtlichen Debatte, im Ordnungswidrigkeitenrecht (und noch spezieller im Fahreignungsregister in Flensburg). Der Fehler ist doch eher, dass hier im Thread viel zu sehr der Blick auf das Strafrecht verengt wird und andere Aspekte (Ordnungsrecht, MPU, zivilrechtliche Schadenersatzansprüche) in solchen Diskussionen immer übergangen wird. Nach dem Motto: „Wenn es keine starken strafrechtlichen Sanktionen gibt, gibt es keine Konsequenzen“ - aber das ist eben falsch. Es gibt Konsequenzen auf vielen verschiedenen Ebenen, nicht nur auf der Strafrechtlichen.

Und auch in anderen Ländern gibt es neben Strafen für „zu schnell fahren“ natürlich auch Strafen für fahrlässige Tötungen. Also ich sehe hier den Unterschied zu anderen Ländern nicht, außer eben dem ganz generellen Unterschied, dass wir Dinge, die in anderen Ländern unter das Strafrecht fallen würden, ganz grundsätzlich in Deutschland mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht etwas anders behandeln. Das trifft aber wie gesagt auf alle Arten von Taten zu.

Ja, solche Fälle zeigen, dass hier mindestens das nötige Fingerspitzengefühl fehlt.

Aber gut, wir hatten ja auch schon eine Bildungsministerin, die wegen Plagiatsvorwürfen zurücktreten musste… wobei ich schätze, dass man sie nie zur Bildungsministerin gemacht hätte, wenn sie zuvor ihren Doktortitel verloren hätte. Also ja, solche Fälle sind definitiv erschütternd, wundert mich bei der CSU dann aber wiederum nicht… (es trägt dazu bei, dass sich mein negativer Eindruck bezüglich der CSU verfestigt)

In diesem Fall würde aber - erneut - nicht das Gericht den Füherscheinentzug aussprechen, sondern die Fahrerlaubnisbehörde - gerade weil die Unterscheidung zwischen repressiver „Strafe“ und ordnungsrechtlicher „Prävention“ durchaus wichtig ist.

Systematisch ist § 44 StGB, der den Führerscheinentzug regelt, aber eben leider im Kapitel „Nebenstrafe“ angesiedelt. Ein Führerscheinentzug durch ein Gericht ist dadurch per Definition eine „Strafe“ - und das kann man auch nicht wegdiskutieren. Und eine Strafe muss sich stets nach dem Ausmaß der Schuld richten und gerade nicht nach körperlichen Aspekten.

Für die Einschätzung, ob ein Mensch körperlich oder psychisch in der Lage ist, ein KFZ zu führen, ist nicht das Gericht verantwortlich. Das Gericht ist lediglich für die Frage verantwortlich, ob der Mensch auf Grund der konkreten Straftat für eine i.d.R. begrenzte Zeit als Strafe auferlegt bekommen soll, kein KFZ zu führen (obwohl er körperlich und mental in der Lage wäre, dies zu tun!). Deshalb würde das Gericht gerade in dem von dir genannten Fall (Täter erblindet während der Tat) auch kein Fahrverbot verhängen, weil es obsolet wäre.

Man würde darüber diskutieren, dass das Gericht den Verlust des Augenlichts beim Strafmaß mit berücksichtigt.

Die Frage muss doch wirklich sein was wir erreichen wollen.

Wie kriegen wir eine konsistente Argumentation hin bei bestimmten Vergehen (z.B. Schwarzfahren) weniger Gefängnis zu fordern, bei anderen aber mehr?

Wenn das Argument Prävention ist, dann müsste das ja in allen Fällen gelten.

Ich bin ja durchaus dafür, dass Führerscheine in solchen fällen leichter und länger entzogen werden können und die Eignung grundsätzlich bei Verschulden geprüft werden sollte (muss ja nicht immer gleich eine MPU sein, sondern je nach Situation auch spezifischer). Härtere Strafen bei Fahrlässigkeit dagegen helfen gar nichts.
Bei vorsätzlichem Handeln welches zu einem Unfall geführt hat, z.B. Raserei, dagegen sehe ich eher einen Nutzen von höheren Strafen als Abschreckung, auch wenn es zu Unfällen ohne Todesfolge kommt.

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Darum würde ich für den vorliegenden Fall auch nie eine Gefängnisstrafe fordern, aber sehr wohl einen Entzug des Führerscheins.

Und das würde ich tatsächlich nicht als Strafe begründen, sondern als präventive Maßnahme zur Sicherheit im Straßenverkehr, weil der Unfallverursacher seine fehlende Eignung zum Führen eines Kfz durch die Art und Weise, wie er den Unfall verursacht hat, unter Beweis gestellt hat.

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Das sehe ich anders, denn der Wortlaut des § 44 StGB sagt:

Wird jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe verurteilt, so kann ihm das Gericht für die Dauer von einem Monat bis zu sechs Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. Auch wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, kommt die Anordnung eines Fahrverbots namentlich in Betracht, wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann. Ein Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn in den Fällen einer Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Abs. 3 oder § 316 e die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 unterbleibt.

Der Paragraph ist mMn eher ein Hilfsparagraf um Täter mit Führerscheinentzug zu belegen, die sich gerade nicht als fahruntauglich bewiesen haben.

Ansonsten wirkt es zumindest für mich so, dass man zuerst § 69 anwendet.

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Durchaus korrekt, aber das ändert am Ergebnis nichts.
§ 69 StGB regelt erstmal nur den Entzug des Führerscheins. Ja, der ist permanent - aber der Betroffene kann den Führerschein eben neu machen. Das wird über eine Sperre verhindert, diese soll aber i.d.R. nur für bis zu fünf Jahre angeordnet werden. Der Sonderfall der dauerhaften Sperre ist nur in Ausnahmefällen anzuwenden (daher bei Fällen wie dem Kudamm-Raser, also Leuten, die mit 180 Sachen durch die Innenstadt rasen und dabei jemanden töten…).

Was hier von einigen gefordert wird, ist, diese dauerhafte Sperre auf reine Gefährdungsdelikte anzuwenden (dh. auf den Raser, der - zum Glück - niemanden getötet hat) oder gar auf Fahrlässigkeitsdelikte. Und das würde definitiv in den höheren Instanzen gekippt werden.

Nochmal:
Ich argumentiere nicht dagegen, dass Menschen unter bestimmten Voraussetzungen auch langfristig ein Führerschein versagt werden sollte. Ich sage nur, dass zum Einen das gleiche gilt, wie bei der „lebenslangen Freiheitsstrafe“ (dh. es muss regelmäßige Überprüfungen geben, ob die Sperre noch aufrecht erhalten werden kann) und zum Anderen, dass die Entscheidung über langfristige Maßnahmen hier nicht das Gericht trifft, sondern eine andere, fachlich versiertere Stelle, die vor allem die Entwicklung der betroffenen Person langfristig im Blick hat, also nicht nur zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung, sondern in regelmäßigen Abständen danach eine Beurteilung vollzieht.

So gesehen ist es eine Parallele zur Frage der Freilassung von psychisch kranken Tätern aus dem Maßregelvollzug. Das Strafgericht entscheidet, dass die Person bis zu ihrer Heilung in den Maßregelvollzug kommt und setzt eine Mindestzeit fest, aber darüber, ob die Person irgendwann „geheilt“ ist und die Maßregelung aufgehoben werden kann, entscheidet nicht das Strafgericht, sondern das Vollstreckungsgericht, also eine andere Stelle, auf Grundlage von psychiatrischen Gutachten.

Ähnlich ist es hier gelagert: Das Strafgericht entscheidet erstmal nur, dass der Führerschein weg kommt und legt eine Mindestzeit fest, für die - als Strafe oder Maßregel - kein neuer Führerschein gemacht werden darf. Alles darüber hinaus entscheidet eine andere Stelle mit mehr fachlicher Kompetenz, dann aber nicht als repressive Strafe, sondern als präventive Maßnahme. Dafür haben wir u.a. das Konzept von MPU.

Ich verstehe nicht, warum es einigen so wichtig ist, diese Entscheidung auf das Strafgericht zu verlegen. Damit ist doch niemanden geholfen. Das Strafgericht kann immer nur einen Zeitpunkt (die Verhandlung) konkret und die Zeit vor der Verhandlung auf Aktenlage bewerten. Das Strafgericht kann nicht bewerten, wie die Person 5 oder 10 Jahre später sein wird. Deshalb ist die Sperre durch das Strafgericht i.d.R. auf 5 Jahre beschränkt und alles darüber entscheidet nicht das Strafgericht, sondern eine Stelle, die sich zum gegebenen Zeitpunkt erneut mit der Person befassen wird. Das ist doch offensichtlich die bessere Lösung, also warum der Widerstand dagegen, warum das Beharren auf eine rein strafrechtliche Lösung?!?