Territoriale Integrität von Staaten – Kosovo, Krim, Taiwan

Ich würde gerne mal von Leuten mit Kenntnissen in Völkerrecht – vorzugsweise weder „Transatlantiker“ noch Putin-Freunde – erklärt bekommen, wie sich die Fälle Kosovo, Krim/Ostukraine und Taiwan eigentlich unterscheiden. So richtig hab ich das nämlich noch nirgendwo gefunden, wieso das Argument, die NATO hat mit dem Eingreifen im Kosovo einen Präzedenzfall für Fälle wie die Krim geschaffen, falsch sein soll.

Für mich, als jemanden, der das nicht studiert hat, stellt sich das nämlich so dar, dass zumindest nach hiesiger Interpretation komischerweise immer die Seite Recht hat, die mit dem Westen verbündet ist.

Insbesondere bei Kosovo/Krim fällt es mir echt schwer, eine Unterscheidung zu treffen. Da ist ein Landesteil mit einer ethnischen Mehrheit, die landesweit aber einer Minderheit angehört und sich von der Zentralregierung unterdrückt fühlt. Hinzu kommt, dass das Gebiet historisch nicht immer zum derzeitigen Staat gehörte. Es gründen sich dann Widerstandsgruppen, die teilweise terroristisch agieren und die Unabhängigkeit erzwingen wollen, der Zentralstaat geht dagegen vor, und am Ende kommt eine fremde Schutzmacht und setzt die gewünschte Abspaltung militärisch durch. Warum war das also im Kosovo völkerrechtlich ok, aber auf der Krim nicht?

In Taiwan, wo es ja derzeit auch etwas kriselt, ist die Lage etwas anders, aber auch dort geht es um einen abtrünnigen Landesteil. Taiwan ist dabei der letzte Rest der „Republik China“, wohin sich nach dem Verlust des Bürgerkriegs gegen die Kommunisten 1949 die verbliebenen Getreuen der „Nationalpartei“ Koumintang zurückgezogen haben. Diese haben dort auch nicht etwa demokratisch regiert, sondern bis in die 90er Jahre hinein eine Einparteiendiktatur unter Kriegsrecht aufrechterhalten. (Offizielle Begründung war afair, dass man ja gerade temporär in Gesamt-China keine Wahlen durchführen könnte, und ein nur in Taiwan gewähltes Parlament würde den Anspruch verlieren, den Rest von China zu vertreten. Deswegen wählt man lieber erstmal gar nicht.)

Mittlerweile haben allerdings bis auf den Vatikan und einige karibische Inselstaaten weltweit alle das Pekinger Regime der Volksrepublik China als offiziellen chinesischen Staat anerkannt. Natürlich großteils aus wirtschaftlichen Gründen, weil China diplomatische Beziehungen zu Staaten verweigert, die Taiwan als eigenen Staat anerkennen, aber das ist eben die Lage. Wieso ist dann also die Ansicht Pekings, Taiwan würde eigentlich zu China gehören, und die Regierung Taiwans wäre illegitim, falsch?

Man könnte natürlich argumentieren, dass Peking keine effektive Kontrolle über Taiwan hat, aber das hat die Ukraine über die Krim eben auch nicht mehr. Also wo ist da der Unterschied, und wenn es auf die Zeit ankommt, wann wäre der Zeitpunkt, wo gesagt wird, faktisch ist die Krim Teil von Russland, und das wird sich auch nicht mehr ändern?

Oder bedeutet Völkerrecht im Endeffekt eigentlich nur, dass Recht hat, wer am Ende die Macht hat es durchzusetzen, notfalls mit militärischen Mitteln?

Beim Kosovo haben wir den Unterschied, dass gerade eine ethnische Säuberung von serbischer Seite begonnen hatte.
Auch Leute, die den Krieg verurteilen, erkennen an, dass es ohne das Eingreifen heute im Kosovo keine Albaner mehr gäbe.

Taiwan ist ein anderes Thema. China beruft sich auf interne Angelegenheiten und der Rest der Welt knickt ein. Derweil machten sich die Kabarettisten 16 Jahre lang nach jeder China-Reise der Bundesregierung lustig darüber, wie die Bundeskanzlerin sagte „Ja, die Menschenrechte wurden auch angesprochen.“
Der entscheidende Unterschied zwischen China und Russland ist wahrscheinlich, dass China wirtschaftlich relevant ist.

Hast Du eine vertrauenswürdige Quelle, nach der die Bevölkerung auf der Krim die Mehrheit gegen die Zugehörigkeit zur Ukraine war, historisch nicht zur Region …. Bitte verweise jetzt nicht auf die Volksabstimmung nach der Annexion …

Diese m.E. sehr vertrauenswürdige Quelle erzählt da eine ganz andere Geschichte:

Würdest Du die Revidierbarkeit von Grenzen übrigens auch noch so sehen, wenn Teile der Bevölkerung z.B. in Bayern und Ost-Baden-Würrtemberg gegen die Zugehörigkeit zu Deutschland und für einen Zusammenschluss Teilen von West-Österreich und Nord-Italien wäre und sich abspalten möchte (sooo unrealistisch ist das gar nicht)? Und dann Österreich un/oder Italien dort einmarschieren würden.

Oder wie siehst Du die Lage in Katalanien, wo eine klare Mehrheit für die Unabhängigkeit von Spanien ist? Soll sich ein Landesteil tatsächlich abspalten dürfen, weil eine Generation gerne die Unabhängigkeit hätte …

Landesgrenzen sind häufig rein historisch bedingt, Länder zerfasern oft an den Grenzen, die „Volkszugehörigkeit“ verschwimmt dort. Wenn man da jedesmal eine Revision der Grenzen fordern würde, hätten wir viel mehr Kriege.