Ich persönlich könnte mir - allerdings ohne spezielle militärische Expertise - eine Reihe von Szenarien vorstellen, beispielsweise, wenn man die Ukraine mit einer schlagkräftigen Luftwaffe ausstatten würde, die ihr die Lufthoheit über dem eigenen Staatsgebiet sichert.
Die Äußerungen von Scholz in den letzten 48h deuten in eine etwas andere Richtung:
Es geht ihm weniger darum, dass Taurus nicht ohne Mitwirkung deutscher Soldaten funktionieren würde (Südkorea schafft das ja auch ohne), sondern dass er einen Einsatz deutscher Tauri ohne Kontrolle der Ziele durch deutsche Soldaten ablehnt – offenbar, weil er der Ukraine misstraut, dass sie sich an die vereinbarten Bedingungen halten wird (die sie im Fall der Raketen aus Frankreich und Großbritannien offenbar zufriedenstellend einhalten).
Dieses Narrativ passt dann wieder ganz gut in Ulfs Hypothese.
Das habe ich genauso wahrgenommen, und auch das ist ein echter Scholz: Wenn das eine vorgeschobene Argument abgeräumt ist, dann liefert er eben ein anderes nach, dass ebenso unplausibel ist wie das erste. Auch dieses Muster, das wir nun seit zwei Jahren beobachten können, spricht sehr dafür, dass es in Wirklichkeit um einen ganz anderes Reasoning geht. Welches, habe ich oben schon zur Diskussion gestellt.
Ich denke auch, das sich Scholz bzw Teile der SPD die Tür nach Russland für später offenhalten wollen. Bissl in nostalgischem Rückblick auf die guten alten Zeiten vor 2014.
Also den Russen nicht zu sehr vors Knie treten…
Ich kann natürlich nicht in die Zukunft sehen und niemand weiß wohl wirklich, wie es um die jeweiligen Truppen steht. Taurus kann nur strategisch etwas helfen. Das Problem, dass man noch irgendwie ca. 300.000 Russen in der Ukraine umbringen muss, löst die Rakete nicht.
Angenommen es gäbe eine Waffe, deren Lieferung den Krieg entscheidet, würde sie geliefert. Vllt nicht von Scholz aber von Biden. Niemals würde sich doch der Westen die Chance nehmen lassen, Russland so vorzuführen. Zu Recht!
Daher kann man sich schon ableiten, dass es keine Wunderwaffe gibt. Ich fürchte wir haben uns eine kleine Scheindebatte gebastelt, in der wir uns allzu wohl fühlen.
Ja, aber was bedeutet eine „schlagkräftige Luftwaffe“ in diesem Zusammenhang? Wenn die Ukraine tatsächlich eine dreistellige Anzahl moderner Kampfflugzeuge und erheblich mehr Luftabwehrsysteme für mittlere und lange Reichweiten bekommt, dazu die tausenden für den Einsatz dieser Geräte notwendigen Soldaten ausbildet und dauerhaft mit der nötigen Munition und Ersatzteilen beliefert wird, dann kann ich mir auch eine Lufthoheit vorstellen. Dann reden wir aber über den Transfer eines erheblichen Teils des Luftwaffenarsenals westlicher Staaten an die Ukraine und einen deutlichen Ausbau bei der Munitionsherstellung.
Und selbst das dürfte nicht reichen. Die USA hatten in Afghanistan absolute Lufthoheit, konnten aber trotzdem nie die komplette Kontrolle über das Land erreichen.
Neben einer massiv gestärkten Luftwaffe müsste die Ukraine also auch Artilleriemunition in einem deutlich größerem Umfang als den aktuellen Zielen zur Verfügung gestellt werden, dazu zusätzliche gepanzerte Fahrzeuge usw. Wenn das alles vor Ort ist, dann könnte Lufthoheit erreicht werden, Landkorridore würden freigebombt werden und die Bodentruppen würde unter großen Schwierigkeiten durch Minengürtel hindurch die befestigten Verteidigungslinien der russischen Streitkräfte durchbrechen.
Ich würde einen solchen Ausbau der Hilfe an die Ukraine durchaus unterstützen. Aber da geht es nicht um ein paar Taurus-Raketen, sondern dem Transfer eines erheblichen Teils westlicher Rüstungsgüter für den Krieg gegen Russland. Was Sinn macht, denn auch im kalten Krieg war die Idee hinter der NATO ja, dass auf einen Angriff der Sowjetunion nur eine totale Mobilmachung mehrerer Staaten als Antwort ausreichend wäre.
Mein Eindruck ist, dass Scholz sich selbst einredet, dass eine „Politik des Ausgleichs“ im Interesse Deutschlands ist. Eigentlich schützt er sich damit aber nur vor der Selbsterkenntnis, dass er gar nicht die nötigen politischen und kommunikativen Fähigkeiten mitbringt, eine ambitioniertere Vision eines ukrainischen Siegs und der darauf folgenden europäischen Integration zu entwickeln und zu gestalten.
Oder um es anders zu sagen: Scholz vertritt die Politik, die er im Rahmen seiner politischen und menschlichen Fähigkeiten auch glaubt umsetzen zu können.
Oder er hat einfach keine Lust sehr teure Waffen herzuschenken, die letztlich nur einen Krieg verlängern.
Ich glaube Scholz weiß mehr als wir. Ich glaube, dass für ihn klar ist, dass nur ein Nato-Einsatz wirklich ausreicht und den will er nicht. Das ist auch in Ordnung. Die Mehrheit der Bevölkerung will das nicht. Ich denke auch so. Da ich nicht selbst kämpfen würde, werde ich auch niemals von anderen verlangen, das zu tun.
Daher will Scholz wohl, dass schnell das kleinere Übel eintritt. Land gegen Frieden/Sicherheit. Das fällt ihm sicher nicht leicht. Man sollte ihm keine bösen Absichten unterstellen, wenn man nicht auf seinem Informationslevel steht. Ist natürlich blöd aus medialer Sicht, da niemand auf seinem Informationslevel steht.
Versteht mich nicht falsch. Scholz ist ein Loser. Aber ich glaube nicht, dass fehlgeleitete Russlandvernarrtheit oder Sowejtromantik ihn leiten.
Danke für das Aufzeigen dessen, was militärisch notwendig wäre. Leider zeigt die klaffende Lücke zu dem was wir tatsächlich haben (mediokres politisches Personal) und wollen (eine vermeintliche Vermittlerrolle, die m. E. vor allem auf krasser Selbstüberschätzung basiert), dass das Erforderliche wohl leider nie passieren wird.
Ben Wallece, der ehemalige britische Verteidigungsminister (der übrigens durch sein entschlossenes Handeln im Februar 2022 mit dazu beigetragen hat, dass die Ukraine den russischen Angriff auf Kyjiw abwehren konnte) nannte Scholz kürzlich „The wrong man in the wrong job at the wrong time“
Der Artikel beschäftigt sich vor allem mit der tatsächlichen Situation heute. Zur Frage, was ausreichende Waffenlieferungen an die Ukraine ausrichten könnten, sagt er aber nicht wirklich viel. Im Grunde ist es zwei Mal der Satz, dass das „schwierig vorzustellen“ sei. Das finde ich als Beleg für diese These etwas ehrlich gesagt dünn.
Es macht natürlich Sinn, zu fragen, wie realistisch solche ausreichenden Waffenlieferungen überhaupt sind, aber das ist eben eine andere Frage als die, ob die Ukraine den Krieg mit ausreichend Waffen gewinnen könnte. Und darum, dass ein einzelnes Waffensystem den Krieg entscheidet, geht es sowieso nicht - die „Wunderwaffen“-Polemik kommt meist eh von Leuten, die der Ukraine am liebsten überhaupt nichts liefern würden.
Exakt. Hier mal eine kleine (vermutlich unvollständige) Liste der bisherigen Argumente gegen eine Taurus-Lieferung:
Es wurde gesagt, die Bundeswehr könne ihre Taurus nicht entbehren und die Industrie könne keine nachliefern. Dem hat der Taurus-Hersteller unmittelbar widersprochen.
Angeblich hätte die Ukraine gar kein Trägersystem, um die Taurus abzuschießen. Das können allerdings die F16, die u. a. Dänemark und die Niederlande zugesagt haben und die demnächst in der Ukraine einsatzbereit sein sollen. Und auch für die alten sowjetischen MiG haben die Ukrainer das mit den anderen Flugkörpern auf kreative Weise hinbekommen.
Drittens gab es schon mal das Argument, dass für den Einsatz des Taurus geheime Daten erforderlich seien, die eine Mitwirkung Deutschlands erforderlich machten. Dann stellte sich heraus, dass es eigentlich nur um Geodaten (Geländekonturen etc.) geht, die als Open Source frei verfügbar sind.
Dann kam das Argument mit der Reichweite: Die Dinger fliegen ja bis Moskau! Ja, aber die Ukraine hat auch die bisher gelieferten Waffen nicht dazu genutzt, russisches Territorium anzugreifen, sondern sich immer strikt an die Verträge mit Deutschland gehalten. Täte sie das nicht, würde sie die Unterstützung insgesamt aufs Spiel setzen – warum sollte sie also?
Die ganzen Argumente mit dem Tenor „wir wollen nicht die einzigen sein“ lasse ich mal weg, weil sie sich spätestens mit der Lieferung von Scalp/Storm Shadow erledigt haben.
Diese Quelle ist auch sehr gut, aber leider hinter paywall.
Zusammenfassung: selbst geplante F16 Lieferung führt maximal zu einer Entlastung. Mehrheit der Sicherheitsexperten sehen Russlang selbst bei Lieferung aller diskutieren Systeme im Vorteil.
Wenn Deutschland Waffen mit Bedienmannschaft an die Ukraine liefert, ist das gleichbedeutend mit: Deutschland schickt Truppen an die Russisch-Ukrainische Front. Sich an Kampfhandlungen gegen einen anderen Staat zu beteiligen wird seit Narmers und Sargons Zeiten als Kriegserklärung gegen diesen Staat gewertet. Ich bezweifle, dass das Gutachten mit „Unterstützung“ genau diesen Fall meint.
In Artikel 51 ist das Selbstverteidigungsrecht inklusive der Möglichkeit, Verbündete um aktives militärisches Eingreifen zu bitten, geregelt. Da steht nichts davon, dass diese Verbündeten dann nicht das Ziel von Gegenangriffen werden dürfen.
Auch dieser - übrigens sehr ausführliche und wirklich zu empfehlende - Artikel belegt m. E. nicht die These, dass ein Sieg der Ukraine theoretisch überhaupt nicht mehr möglich wäre. Vielmehr beschreibt er sehr viele unterschiedliche Szenarien und Einschätzungen. Eine davon ist nicht so weit entfernt von dem, was @ped beschrieben hat. Zudem zitiert der Text auch einen Vorschlag von Michael Kofman, Rob Lee und Dara Massicot - drei renomierten Militärexperten - wie die Ukraine wieder die Oberhand gewinnen kann.
Diese Interpretation des Textes kann ich nicht nachvollziehen. Auf S. 10 des Gutachtens steht ziemlich eindeutig:
Die Teilnahme eines NATO-Staates an dem russisch-ukrainischen Konflikt zugunsten der Ukraine wäre völkerrechtlich zulässig – Art. 51 VN-Charta erlaubt die kollektive Nothilfe/Selbstverteidigung zugunsten des angegriffenen Staates. […]
Für den Aggressor Russland bedeutet die Konfliktteilnahme eines Drittstaates dagegen: Jeder potentielle russische Angriff gegen Drittintervenienten […] wäre unstreitig ein (erneuter) Verstoß gegen das Gewaltverbot und damit völkerrechtswidrig.
In der Informatik nennt man das wohl „Vererbung“. Weil der Angriff auf die Ukraine völkerrechtswiedrig ist, ist es ein Angriff auf ihre Verbündeten auch. Die Meinung Russlands zu dem Thema wird allerdings mitvererbt - es hält den Angriff auf die Ukraine für legitim, also wird es auch den Angriff auf ihre Verbündeten für legitim halten.
Nein der Angriff auf Verbündete der Ukraine ist völkerrechtswidrig, weil ein Angriffskrieg generell völkerrechtswidrig ist. Die Unterstützung der Ukraine - auch durch Drittstaaten ist dagegen nach Art. 51 der UN-Charta völkerrechtlich zulässig.
Was Russland meint tun zu dürfen, hat nun alllerdings mit internationalem Recht herzlich wenig zu tun. Der stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates und ehemalige Präsident der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, hat zum Beispiel gestern mal wieder verkündet: „Die Ukraine ist Russland, Verhandlungen mit Kiew sind unmöglich.“ Da vertraue ich schon eher darauf, dass sich Russland ein NATO-Land anzugreifen einfach nicht traut.
Bis hierhin käme ich zu dem Schluss, das ein Völkerrecht bei der Frage, ob wir von Russland als Kriegspartei angesehen werden, keine Rolle spielt.
Scholz Verweis darauf, das Deutschland nicht Kriegspartei werden soll, also keine völkerrechtliche Begründung hat bzw benötigt, sondern eher eine persönliche oder parteipolitische „Rote Linie“ ist, also ein eher subjektives Motiv.
Die Intention von Scholz kennen wir nicht, die verrät er uns nicht, also bleibt in dem Punkt alles Spekulation.
Was wir tatsächlich mengenmäßig und auch technisch (Ausbildung, Ersatzteile) liefern können, scheint auch nicht ganz sicher.
Viel haben wir aktuell offenbar nicht, was da ist wird nur teilweise einsatzfähig sein, die Produktion neuer Rüstungsgüter läuft erst langsam an.
Also viele Fragezeichen, welche die Zuversicht in der Ukraine nicht erhöhen wird,
Ich denke auch, das weder Scholz und auch sonst niemand aus Regierung und Opposition einen mittel- bis langfristigen Plan hat, der sich zugunsten der Ukraine auswirken würde.