Tarifverhandlungen Erzieher*innen/ Öffentlicher Dienst

Guten Morgen,
ich schreibe jetzt hier, da ich nicht mehr weiter weiß. Momentan laufen sie Tarifverhandlungen des Öffentlichen Dienstes und Erzieherinnen sind u.a. eine betroffene Berufsgruppe. Doch habe ich oft das Gefühl, es wird in den Medien schnell abgespeist.
Konkret geht es um eine Lohnerhöhung von min. 500€. Dabei spielen die Rahmenbedingungen der Arbeit auch eine wichtige Rolle. Nun arbeite ich in dem Beruf und verstehe nicht, wie die Arbeitgeber
innen diesen Beruf so unrealistisch sehen und gar nicht erkennen, dass wir alle so sehr am Limit sind. In vielen Einrichtungen wird nichtmal mehr die Aufsichtspflicht bewahrt, da schlichtweg zu wenig Personal da ist. In meinem Bundesland wurde auch letztes Jahr schon gestreikt und am Ende bekommt man sogar von den Eltern einen auf den Deckel, was oberflächlich gesehen, verständlich ist…aber, dass wir aktiv für ihre Kinder und Jugendlichen auf die Straße gehen, ist vielen dabei nicht bewusst. Um mal kurz die Gesamtsituation in einer konkreten Situation zu beschreiben: Manchmal können wir nichtmal aufs Klo gehen, weil sonst niemand in der Gruppe ist!

Ich habe viele Kolleg*innen mit Burnout und Berufswechseln. Viele arbeiten nur noch, weil sie für den Job brennen. Ich empfehle diesen Beruf niemandem weiter. Die Vergütung in der Ausbildung ist so lachhaft und für die Verantwortung und den Stress danach, ist das Gehalt auch nicht angemessen. Wir bekommen kein Geld für Lärmschutz, dürfen schauen wie wir mit dem eigenen Budget irgendwie Haushalten und dann auch noch mit dem „neuen“ „Gute-Kita-Gesetz“ umgehen. Ich arbeite in einer Gruppe mit u.a. Zweijährigen. Vor über zwei Jahren gab es dafür noch einen anderen Stellenschlüssel und wir hatten mehr Personal. Jetzt gelten Zweijährige für Dreijährige und wir haben für eine Gruppe, die zur Hälfte aus Zweijährigen bestehen weniger Personal. Kinder wickeln und schlafen legen ist laut Politik also genauso anspruchsvoll, wie mit drei-, vier-, fünf- und sechsjährigen den Alltag bewältigen?!

Bitte unterstützt uns! Bitte sorgt mit für Transparenz unserer Arbeit und kämpft mit uns, um mehr Kindeswohl und pädagogische Arbeit in den Kindertagesstätten.

Ich weiß nicht mehr wohin das noch führen soll…

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Mal etwas unfein ausgedrückt (von einem Pädagogen):
Ihr erwirtschaftet leider keinen direkten Gewinn, daher wird eure Leistung nicht wahrgenommen.
Leider ein grosses Manko unserer sehr umsatzorientierten Form der Marktwirtschaft.
Zudem wird den in sozialen und gesundheitlichen Berufen Tätigen immer ihr Idealismus vorgeworfen, „die machen das ja freiwillig, weil sie spass daran haben, also sollen sie sich nicht so anstellen“.
Meine Schwester ist Erzieherin und hat einen männlichen Kollegen, der ob seiner Berufswahl immer dumm angemacht wird, ob er denn nix Richtiges lernen wolle.
Soviel zur Wertschätzung, wenn man für und mit Menschen arbeitet

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Leider sehr wahr, kann ich als Diplom-Sozialarbeiter nur bestätigen.

Hier wird das Problem sehr gut sichtbar, dass wir zwei Problemlagen im sozialen Bereich haben (das betrifft auch Sozialarbeiter, Altenpfleger und viele andere soziale Berufe). Diese Berufe bekommen im Vergleich zu ähnlich hoch qualifizierten Berufsbildern der freien Wirtschaft signifikant weniger Lohn bei gleichzeitig mehr Stress durch Personalmangel (wobei man der Fairness halber sagen muss, dass das auch für alle Menschen im öffentlichen Dienst gilt… daher: der Bachelor-Sozialarbeiter verdient im öffentlichen Dienst schlicht ähnlich viel wie andere Bachelor-Absolventen - der ausgebildete Erzieher ähnlich viel wie andere Ausbildungsberufe).

Das Problem ist deshalb eher ein Problem von „Öffentlicher Dienst“ vs. „freie Wirtschaft“. Das Ziel einer sinnvollen Steuerpolitik wäre es nun, die Gewinne der gewinnorientierten Unternehmen so weit umzuverteilen, dass im öffentlichen Dienst, zu dem der gesamte soziale Bereich gehört, ähnlich hohe Löhne gezahlt werden können wie in der freien Wirtschaft.

Ohne eine solche Umverteilung wird immer das Problem bleiben, dass der öffentliche Dienst nicht annähernd konkurrenzfähig zahlen kann und im öffentlichen Dienst, vor allem im sozialen Bereich, massiv an den Stellen gespart wird, sodass die Mitarbeiter permanent vor dem Kollaps stehen.

Das Problem sind nun wieder die Zwänge der globalisierten Wirtschaft. Konservative und Wirtschaftsliberale werden argumentieren, dass wenn wir die Unternehmen so stark besteuern, dass wir die sozialen Berufe angemessen finanzieren können, Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei und dadurch der Wohlstand der Gesellschaft insgesamt sinke, eine hohe Besteuerung daher nicht zu mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen für den sozialen Bereich führen würde, sondern zu weniger Lohn und schlechtere Arbeitsbedingungen in der freien Wirtschaft. Ich teile diese Argumentation in dieser Schärfe nicht, erkenne aber an, dass diese Aspekte zumindest bedacht werden sollten. Letztlich denke ich, dass ein starkes Sozialsystem und eine gerechte Lohnstruktur auch wieder ein Standortvorteil für Deutschland sind - inwiefern das den Standortnachteil durch höhere Unternehmenssteuern ausgleicht müssen Experten beurteilen :wink:

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Ich bin zwar kein Experte auf diesem Gebiet, aber ich halte das für ein vorgeschobenes Argument. Nach allem was ich weiß, ist der Anteil von Unternehmen am Steueraufkommen in den letzten 30 Jahren kontinuierlich gesunken. Belegen kann ich das aber nicht. Ich denke es sagt vor allem etwas über das Menschenbild einer Gesellschaft aus, wenn sie Leuten in sozialen und pflegerischen Berufen Arbeitsbedingungen zumutet, die Leute systematisch vergraulen und buchstäblich krank machen. Passt auch dazu, dass es in einer Pandemie wichtiger zu sein scheint, eine Fleischfabrik am Laufen zu halten als einen Kindergarten.

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Ich denke, von unseren Wertungen her sind wir uns einig. Wie gesagt, ich halte das Argument auch nicht für besonders gut, denke aber, dass es in solchen Diskussionen wichtig ist, alle Argumente auf den Tisch zu legen. Andernfalls führen wir halt eine typische Bubble-Diskussion, bei der wir uns alle gegenseitig auf die Schulter klopfen und in unseren Meinungen bestärken, ohne das Thema von allen Seiten zu durchdringen.

Zu den Unternehmenssteuern muss man sagen, dass es zwar wahr ist, dass die Unternehmenssteuern zwischen 1999 und 2011 von 52,3% auf 29,4% gesunken sind und damit stärker gesunken sind als im europäischen Vergleich, gleichzeitig muss man aber auch anmerken, dass Deutschland immer noch weltweit zu den Ländern mit den höchsten Unternehmessteuern zählt, in Europa z.B. nur Portugal höhere Körperschaftssteuern hat. Diese Situation kommt letztlich dadurch zu Stande, dass Deutschland bis 1999 ungewöhnlich hohe Unternehmenssteuern hatte, durch die stärkere globale und europäische Vernetzung des Internetzeitalters diese extrem hohen Unternehmenssteuern aber tatsächlich problematisch wurden - die Wirtschaft ist um die Jahrtausendwende leider in der Tat sehr viel mobiler geworden, die Bereitschaft der Standortverlagerung maßgeblich gewachsen.

Wie gesagt, ich denke auch, dass ein gutes Sozialsystem (und damit auch eine höhere öffentliche Sicherheit) sowie eine gute öffentliche Infrastruktur (sowohl die Verkehrsanbindung, als auch die Schul- und Berufsausbildung betreffend) ein maßgeblicher Standortvorteil ist, der von konservativen und wirtschaftsliberalen Kräften oft vernachlässigt wird.

Die Aufgabe der Politik ist es nun, diese Abwägungen zu treffen. Und ich bin da absolut bei dir: Wie ich oben schon schrieb bin ich absolut dafür, mehr Vermögen aus der Privatwirtschaft auf den öffentlichen Sektor umzuverteilen, um vergleichbare Löhne und Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst zu erzeugen. Aber ich sage auch ganz offen, dass ich nicht in der Tiefe einschätzen kann, ob das im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit nicht auch große Nachteile haben könnte…

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Was mich immer etwas stört, ist der Umstand, das ein Studium in einem MINT-Fach deutlich höher angesehen wird und vergütet wird (in der Regel zumindest) als ein Studienabschluß in einem Sozialwissenschaftlichen Fach, wo meines Erachtens neben den fachlichen Inhalten besonders soziale Kompetenzen wichtig sind, die man nicht einfach „lernen“ kann.

Eine gleichwertige Anerkennung wäre nur angemessen.

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