Staatsversagen - die Möglichkeit zur Veränderung?

Hallo liebe Lage Hörer, liebes Lage Team,

So nun zu meinem Thema. Wie in der letzten Lage erwähnt, sind viele Menschen mit dem Umgang der Corona Pandemie zurecht frustriert. Aber nicht nur der Umgang mit Corona macht viele wütend/emotional/frustriert, sondern auch die mangelnde digitale Infrastruktur, Klimaschutz etc. sind Punkte, in denen die Regierung zu langsam und kurzsichtig agiert. Wie Sascha Lobo und Philipp es bezeichnet haben, zähle auch ich mich zu den „Groll Bürgern“, die nach und nach das Vertrauen in die deutsche Regierung verlieren.

Vor allem jetzt in Pandemie Zeiten, zeigt sich für mich, dass anscheinend nicht das Wohlsein und die Gesundheit der Menschen im Vordergrund steht, sondern die Wirtschaft. Und dass, obwohl die Mehrheit der Menschen gegen Öffnungen sind bzw. für striktere Maßnahmen. Anscheinend werden nicht die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt, sondern die, derer Geldbeutel am meisten zahlt. (Polemisch ausgedrückt, siehe aber Lobbybeitrag in der letzten Lage).

Mit meiner Wahlstimme kann ich zwar zu Veränderung beitragen, allerdings nicht in bestimmten Themen meine Meinung direkt abgeben. Ich kann nicht dafür stimmen, welchen Weg wir z.B. genau in der Klimakrise nehmen sollen. Volksentscheide sind selten. Ich kann eine Partei gründen, aber dann muss ich erstmal soweit kommen, dass ich direkt mitentscheiden kann.

Was ich also zur Diskussion stellen will, ist: aufgrund des „Staatsversagen“ der deutschen Regierung, wie könnte die deutsche Politik aussehen, um mehr Mitspracherecht für Alle in wichtigen Themen zu ermöglichen. Ist das nicht nur die Zeit von Versagen, sondern auch die Chance auf Veränderung? Oder seht ihr vielleicht gar kein „Versagen“ oder Notwendigkeit zu Veränderung?
Könnte man beispielsweise Gesetztes Entwürfe oder die „grobe“ Richtung in Themen nicht öffentlich zur Abstimmung mithilfe von elektronischem Ausweisen, wie es sie in Österreich bereits gibt, bereitstellen? Zusätzlich bräuchte man eine Regierungseinheit, die sicherstellt, dass diese Entscheidungen durchgesetzt werden.

Das sind alles nur Ideen und mein Wissen um deutsche Politik ist mäßig gut, aber ich finde das ist ein interessanter Denkanstoß.

Mich interessiert eure Meinung dazu,
Vielen Dank und LG

Ich habe mir sehr häufig Gedanken über diese Themen gemacht. Da ich in der Schweiz lebe und mit einer Schweizerin verheiratet bin, erlebe ich die direkte Demokratie im Alltag mit. Anfangs mochte ich die Idee. Leider zweifle ich immer mehr darüber.

Die Schweiz hat in den 12 Jahren, die ich bereits hier lebe, schon unzählige Entscheidungen des Volkes erlebt. Einige davon waren reif und gut. Andere jedoch, wie gerade die letzten Tage geschehen, lassen mich immer mehr mit Kopfschütteln zurück. Die Bevölkerung ist leider in ganz vielen Fällen nicht in der Lage einfachste Zusammenhänge richtig einzuschätzen.

Ich mache mal ein Beispiel.
Die SVP (Rechtspopulisten) schlägt seit Jahren immer mal wieder vor, die Beziehungen zur EU zu beenden, eine Ausländer Obergrenze zu machen und wirbt damit teils mit rassistischen Plakaten. Weiter gab oder gibt es Bestrebungen das „Landesrecht“ über das Völkerrecht zu stellen. Das bedeutet, dass die Entscheidung der Schweizer Stimmbürger über internationalem Recht stehen soll.

Es ist hier leider völlig normal, dass Anhänger eines Vaterschaftsurlaubs im Alltag verspottet und beschimpft werden, während Leute die für Milliardenbeträge neue Kampfflugzeuge beschaffen wollen, die allerdings von der Schweizer Armee nur zu Bürozeiten benutzt werden (Schweiz - Schweizer Luftwaffe fliegt nur zu Bürozeiten - News - SRF / wurde aber bereits verändert) und die nichtmal den Gashebel aufmachen können, weil sie dann bereits nicht mehr im Luftraum sind sich fast geschlossen einig sein können.
Jedes Jahr müssen tausende Männer ins Militär, wofür der Steuerzahler aufkommt, aber zweimal im Leben zwei oder vier Wochen Vaterschaftsurlaub, um die Frau im Wochenbett zu unterstützen ist Populismus und Kommunismus. Man Stelle sich vor: Schweizer Männer haben im beruf Anrecht auf 1 Tag (!) Vaterschaftsurlaub. Schweizer Frauen müssen nach 16 Wochen wieder arbeiten. Und das ist leider die Realität. Wir als Gesellschaft sind zu divers und zu anföllig für leichte Antworten, als dass wir mit unserem Bildungsstand wirklich etwas positives gestalten könnten.

Im Zweifel gewinnen leider Populisten. Ich würde mir ein „Jugendparlament“ wünschen. Eine Art zweite Instanz, die einen Kurs für die Zukunft angeben kann, die jungen Menschen ein stärkeres Gewicht gibt. Ich denke auch, dass es ab und an wirklich punktuell Online Umfragen braucht, damit die Politik wirklich die Basis versteht. Das scheint ja trotz der Wahlkreise nicht zu funktionieren. Ansonsten aber sehe ich die direkte Partizipation als eher kritisch, weil sie einfach viel zu anfällig ist.

Direkte Demokratie ist eine interessante Sache, wenn man Pech hat öffnet man damit aber nur dem Populismus und der noch stärkeren Einflussnahme der wirtschaftlich mächtigen Tür und Tor. Woher kommt denn zum Beispiel dann das Geld, um für große Volksentscheide zu werben, wenn nicht von Großkonzernen? Was ist mit den wirtschaftlich oder sozial abgehängten, die tendenziell seltener/weniger an politischen Entscheidungsprozessen partizipieren? Wer tritt für diese Menschen ein?
Das muss man alles mitbedenken.

Also ich habe meist das Gefühl in den Diskussionen, dass Volksentscheide in Deutschland hauptsächlich von denen gefordert werden die gerade irgendeine populistische Agenda durchsetzen wollen die politisch keine Mehrheit bekommt.

Vielfach stellt es sich dann heraus, dass die lautesten Rufe von jenen kommen die dank ihrer Selbstgeschäften Echokammer keinen Eindruck mehr von den Mehrheiten in der Gesellschaft haben.

Und wenn ich dann (wie jetzt erst) der Berichterstattung über die Schweiz und deren Volksentscheide verfolge beschleichen mich auch ernsthafte Zweifel über die „Schwarmintelligenz“

Sie (die Schweizer) haben ja jetzt per Volksentscheid ein Burka-Verbot durchgesetzt.
Ist sicherlich populär aber es kam dann heraus, dass es gerade einmal 23 dauerhaft in der Schweiz lebende treffen wird, der Rest sind Touristinnen.

Und da fragt man sich dann bei einer Betrachtung von außen wirklich ob es nicht wichtigere Probleme gibt.

Auch die anderen Volksentscheide die es in die internationale Berichterstattung schaffen sind auf diesem Niveau und daher dann der Eindruck, dass dieses Instrument nicht wirklich tauglich ist.

Erst Recht nicht in der Tagespolitik, allein schon aufgrund der Teilnehmer und der Dauer.

Ein weiterer Punkt ist auch, dass man ja schon bei der Kommunalpolitik sieht wie schwierig es ist aktive Teilnehmer zu gewinnen die sich wirklich einbringen wollen.

Volksentscheide auf Bundesebene führen dann nur dazu, dass die Entscheidung fast immer zu Gunsten der finanziell besser ausgestatteten und dadurch lauteren Seite ausfallen wird und eher selten zugunsten der besseren Argumentation, schlicht weil die Mehrheit derer die noch zur Urne stiefeln sich dann eben doch nicht tiefgründig mit ihrer Entscheidung und den Argumenten auseinandersetzen.