Soziale Kosten von CO2 und Fairnessprinzipien zur Lastenverteilung des Umweltschutzes

Ich schreibe gerade eine Seminararbeit zu Klimaökonomik und fand dementsprechend zwei Punkte in der aktuellen Lage sehr spannend und wollte zwei Quellen als Ergänzung beisteuern:

  1. CO2-Bepreisung

Zu einem angemessenen CO2-Preis findet sich sehr viel Literatur, das meiste unter dem Schlagwort „Social Cost of Carbon“ (SCC). Dabei geht es genau um den Punkt, der auch in der aktuellen Folge besprochen wurde: Ziel der Paper ist die Quantifizierung der entstehenden Schäden pro Tonne CO2, die in das Preissystem des Marktes integriert werden sollten, damit Preise von Gütern die tatsächlichen Kosten der Produktion abbilden.

Die Schätzungen der SCC gehen sehr stark auseinander. Ein guter Artikel zur Übersicht und Einordnung der verschiedenen Schätzungen ist „The Economic Impacts of Climate Change“ von Richard Tol (2018). Er stellt unter anderem verschiedene Schätzungen der Literatur gegenüber. Eine wichtige Rolle bei der Schätzung spielt immer die Zeitpräferenzrate, die einfach gesagt angibt, wie stark man zukünftige Schäden gewichtet (0% = Schäden in der Zukunft wiegen so hoch wie Schäden heute). Bestimmt könnte diese Frage auch in der politisch-wissenschaftlich Diskussion zentraler Dreh und Angelpunkt sein, da sich die Schätzungen der SCC hier stark unterscheiden

Bei einer Zeitpräferenzrate von 0% ist die Wahrscheinlichkeitsdichte der SCC auf Grundlage der untersuchten Studien zwar bei $220 pro Tonne CO2 am höchsten (was ungefähr der genannten Schätzung aus der Folge entspricht), allerdings ist die Standardabweichung aufgrund der Unsicherheiten sehr hoch, weshalb das arithmetische Mittel auch deutlich höher bei $677 pro Tonne CO2 liegt. Tol betont zudem, dass das 95%-Konfidenzintervall der verursachten Schäden durch globale Klimaerwärmung vermutlich größer ist, da Expert:innen dazu tendieren ‚overconfident‘ zu sein. Somit könnte der tatsächliche Preis auch höher als 180€ pro Tonne CO2 liegen; auch hier ist letztlich wahrscheinlich eine politische Diskussion nötig, um zu entscheiden, wie man mit dieser Unsicherheit umgeht. Verlässt man sich darauf, dass 180€ reichen werden, oder geht man auf Nummer sicher und setzt einen höheren Preis an?

  1. Fairnessprinzipien in der internationalen Klimapolitik

Zweiter sehr spannender Punkt und eigentliches Thema meiner Seminararbeit sind Fairnessprinzipien in internationalen Klimaverhandlungen, also die Frage nach einer angemessen Lastenverteilung. Die meisten Prinzipien wurden in der Lage auch angerissen.

Man kann grob in drei Prinzipien unterscheiden, die in Verhandlungen und wissenschaftlicher Literatur herangezogen werden und selten grundsätzlich hinterfragt werden: responsibility, capability und needs (rights). Responsibility meint, dass die Parteien am meisten Anstrengungen aufbringen müssen, die für den Klimawandle verantwortlich sind; hier wird aber manchmal darüber gestritten, ob es um historische oder aktuelle Emissionen geht. Das capability-Prinzip sagt dagegen, dass sich alle entsprechend der Leistungsfähigkeit beteiligen (also beispielsweise dieselben relativen Kosten gemessen am BIP aufbringen müssen). Bei needs (rights) geht es am Ende darum, dass alle Menschen die gleichen Rechte auf Entwicklung haben (needs) oder das gleiche Recht auf denselben Treibhausgasausstoß (rights).

Ein interessanter Artikel dazu ist „Fairness in the climate negotiations: what explains variation in parties’ expressed conceptions?“ von Vegard Tørstad und Håkon Sælen (2018); sie untersuchen, welche Fairnessprinzipien von Staaten bei internationalen Verhandlungen unterstützt werden und warum. Länder des Globalen Südens (und die Schweiz als Ausnahme) beziehen sich am häufigsten auf die Fairnessprinzipien, viele Staaten haben aber insgesamt moderate Positionen und beziehen sich auf verschiedene Prinzipien.

Ganz fundamental gegenüber stehen sich zum einen die USA, Australien, Kanada und Russland, die sich vor allem auf capabilities beziehen und Brasilien, China, Indien und Saudi-Arabien zum anderen, die sich vor allem auf responsibility und oft auch rights (needs) beziehen. Laut der Studie lässt sich das vor allem durch das Eigeninteresse der Parteien erklären, die Annex I-Unterscheidung des UNFCCC aufrecht zu erhalten, die Länder des Globalen Nordes deutlich stärker in die Pflicht nimmt und Staaten wie China mit anderen Ländern des Globalen Südens gleichsetzt.

Um Verhandlungen nicht zu blockieren, schlagen Tørstad & Sælen deshalb vor, zu flexibleren Fairnessverständnissen überzugehen, also kein einheitliches Verständnis vorzuschreiben, sondern letztendlich unterschiedliche Verständnisse zuzulassen und pragmatische Lösungen zu finden.

So traurig ich es auch finde, aus einer ganz realistischen Perspektive scheint es insbesondere aufgrund der Verhandlungsmacht der Länder des Globalen Südens nicht wahrscheinlich, dass Aspekte wie die historische Verantwortung oder das Recht auf Entwicklung in den internationalen Abkommen angemessen beachtet werden. Selbst wenn man sich nur auf den capability-Ansatz beziehen würde (= alle tragen dieselbe Last), was der Mindestansatz für Fairness wäre, sind die Kompensationszahlungen für den Globalen Süden aktuell unter dem Niveau, das 2009 in Kopenhagen vereinbart wurde, was wiederum unter dem Niveau liegt, dass nach Modellrechnungen eigentlich nötig wäre, um Staaten des Globalen Südens so zu kompensieren, dass sie relativ gesehen die gleichen Lasten tragen wie der Globale Norden (s. Bowen et al. „An ‘equal effort’ approach to assessing the North-South climate finance gap“ (2017)). Selbst wenn die Aussichten in Bezug auf negative Auswirkungen des Klimawandels und -schutzes im Globalen Norden optimistisch wären, gibt es genügend Anlass für andere Staaten pessimistisch zu sein, bspw. auch aufgrund der deutlich höheren Betroffenheit und Vulnerabilität (s. bspw. Hallegatte/Rozenberg „Climate change through a poverty lens“ (2017)).

5 „Gefällt mir“

Danke Oskar, sehr spannende Aspekte!

Erstmal danke für die Infos! Das ist sehr interessant!

Man könnte den Preis statt von der Kostenseite ja auch von der Steuerungsseite angehen: wenn die Emissionen schnell genug sinken, ist er hoch genug. Heiner Flassbeck argumentiert z.B., dass er vor allem verlässlich langfristig steigen müsse: #102 “Am deutschen Wesen wird das Klima nicht genesen” — Dissens — Overcast

2 „Gefällt mir“

Aktuell dazu:

Ja, das ist ein guter Punkt! Soweit ich mitbekommen habe, gibt es generell auch einen sehr großen Konsens, dass der Preis in jedem Fall schrittweise gesteigert werden muss, die Frage ist dann eher, bis zu welchem Punkt. Im Hinblick darauf ist die angesprochene Steuerungsseite vielleicht sogar vor allem aus der Fairnessperspektive deutlich relevanter. Wenn der CO2-Preis berechnet wird als der Schaden der pro Tonne entsteht, beinhaltet dies ja die Annahme, dass jede einzelne Tonne exakt gleich bepreist wird, was bei einer Perspektive auf die unterschiedlichen Voraussetzungen und Verantwortungen des Globalen Nordens und Südens durchaus problematisch erscheinen könnte.

Wenn man den Preis dagegen eher als Steuerungsinstrument zur Verminderung der Emissionen begreift, kann er nicht nur bis zu der Höhe der tatsächlichen externen Kosten einer Tonne CO2 angehoben werden, sondern auf das Niveau, durch das ein bestimmtes Emissionsreduktionsziel erreicht wird. Dieses Ziel könnte dann theoretisch entsprechend eines fair verteilten CO2-Budgets gesetzt werden; so wäre der Preis flexibler bezüglich einer bewussten ungleichen Lastenverteilung, welche Staaten des Globalen Südens bevorzugt.

Für alle Leser dieses Themas vielleicht interessant: der Artikel, den ich hier gepostet habe: