Sofortige Genozid-Präventionsmaßnahmen Israels?

Nur ist das Völkerrecht ein recht zahnloser Tiger. Etwas, worauf man sich berufen kann, aber wenn es ein Staat bricht und entsprechend mächtig ist bzw mächtige Verbündete hat, dann passiert eigentlich nichts Negatives. Siehe Russland, siehe Israel, siehe die USA beim 2. Irakkrieg.

Warum sollte Besatzung = Vertreibung sein? Ist die Besatzung überhaupt rechtswidrig? Frieden haben ja nicht alle Länder mit Israel geschlossen.
Müsste man nicht eher sagen, dass der Versuch der Selbstverwaltung an denär Wahlentscheidung der Palästinenser letztendlich gescheitert ist?

Der „gute Grund“ ist bei den derzeitigen potentiellen Flüchtlingen die „Einsicht“, dass man Menschen ihr Menschrecht auf Flucht vor Krieg verweigern kann, wenn ihr leiden und ihre Gefährdung einem politisch nutzt. Eine Haltung, die ich von linken Kreisen eigentlich nur kenne, wenn es gegen Israel geht.

Aber @AlvySinger ging es ja auch um die „Flüchtlinge“, die in zweiter Generation außerhalb Palästinas leben. Auch hier hört man von Links selten das vergleichbare Argument „Syrische Flüchtlinge? Am Besten in Lagern leben lassen, nicht intergieren und auf keinen Fall die deutsche Staatsbürgerschaft geben; wir wollen ja den Druck auf Assad aufrechterhalten, dass er die Leute die er vertrieben hat wieder zurücknimmt!“

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Das ist in der Tat so, dennoch (oder gerade deshalb!) muss international immer auf das Völkerrecht gepocht werden. Es gibt zwar in der Tat keine Instanz, die das Völkerrecht mit unmittelbarem Zwang durchsetzen kann, aber den meisten Staaten ist dennoch etwas an ihrem Ruf gelegen. Gerade für Israel ist es extrem wichtig, dass der Westen auf seiner Seite steht…

Naja, es sind die Worte „Eroberungskrieg“ und „Annexion“ gefallen und Israel wurde auf eine Stufe mit der Hamas gestellt, in diesem Sinne ist zu erwarten, dass das gleiche gemeint ist, was auf den Golan-Höhen tatsächlich passiert ist: Die gesamte arabische Bevölkerung wurde vertrieben und israelische Siedler haben das Land besetzt. In diesem Sinne kann ich @Matder hier nur so verstehen, dass er von einer gezielten Vertreibung ausgeht.

Das Problem mit dieser Logik ist eben, dass die Palästinenser ihr Land nicht aufgeben wollen. Auch die dauerhafte Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ist problematisch, so lange in der Ukraine noch gekämpft wird (und ist auch nicht im Interesse der ukrainischen Regierung im Hinblick auf den Brain Drain). Es ist immer eine schwierige Diskussion, ob Kriegsflüchtlinge nur temporär oder dauerhaft aufgenommen werden sollten.

Die territorialen Rechte der palästinensischen Autonomiegebiete hängen aber nicht an dem Verhalten der anderen arabischen Staaten. Und der Gedanke, der in diesem Statement steckt, ist nicht weit weg von dem kolonialistischen Denken, dass den ganzen Palästina-Israel-Konflikt erst möglich gemacht hat.

Und nebenbei, die europäischen Länder haben es in der Vergangenheit (speziell im 19. und 20. Jahrhundert) auch nicht geschafft, die jüdische Bevölkerung, die sogar schon lange in den jeweiligen Ländern lebte, so zu integrieren, dass die Juden sich dort akzeptiert und ausreichend sicher fühlten. Stattdessen wurden, trotz all des Reichtums z.B. im damaligen Deutschland, die Juden verfolgt und stigmatisiert, sodass die Juden quasi nach Israel vertrieben wurden.
Damit will ich aber natürlich die Einwanderungs- und Arbeitskräfte-Politik einiger arabischer Staaten keineswegs gut heißen, aber das ist ein anderes Thema.

Ja, formal gesehen ist das eine Unterstellung. Aber mal ehrlich, wenn man sich die Rhetorik der israelischen Regierung anhört, das Strategiepapier oben und diverse andere Berichte und Quellen liest, dann ist diese Unterstellung doch wohl alles andere als aus der Luft gegriffen.

Es geht hier, meiner Meinung nach, aber eben nicht um eine Besatzung des Gazastreifens. Die gab es ja schon mal für lange Zeit und sie hat, aus israelischer Sicht, nichts gebracht. Das ist auch gerade einer der Gründe, weshalb es naheliegend ist, dass Israel diesmal erst große Teile der Palästinenser vertreiben will, bevor es den Gazastreifen besetzt.

Ja, das ist eine schwierige Abwägung und man kann hier eigentlich nur das kleinere Übel wählen. Aber Tatsache ist, dass Israel in der Vergangenheit in großen Umfang den geflüchteten Palästinensern die Rückkehr verweigert hat. Israel hat Kriegsflucht also im Nachhinein als Mittel der Vertreibung eingesetzt.

Und Schuld an dem aktuell großen Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung trägt immer noch Israel mit seinem unverhältnismäßigem Militäreinsatz und nicht Ägypten oder andere, arabische Staaten die sich weigern, die Palästinenser als Flüchtlinge aufzunehmen.

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Bis zu diesem Satz gebe ich dir Recht, aber hier muss man klar sagen, dass die Hauptschuld (im Sinne einer moralischen Bewertung!) tatsächlich die Hamas trägt, die durch den (völkerrechtswidrigen) Terrorangriff vom 07.10.23 diesen Krieg erst ermöglicht hat und durch ihre (auch völkerrechtswidrige!) Strategie, sich gezielt hinter der Zivilbevölkerung zu verstecken, derart hohe Verluste in der Zivilbevölkerung quasi erzwingt.

Trotz aller berechtigten Ablehnung des Verhaltens der israelischen Regierung sollte man die unglaublichen, tatsächlich genozidal gedachten Terroranschläge vom 07.10.23 nicht unter den Tisch kehren, denn ohne diese Terroranschläge hätte die israelische Regierung keinerlei Rechtfertigung für diesen massiven Krieg im Gaza-Streifen. Es war der bisher größte Terrorangriff, der zum bisher größten und verlustreichsten Kriegseinsatz im Gaza-Streifen geführt hat.

Dennoch darf und muss man Israel jetzt zur Mäßigung aufrufen, aber stets unter der Beachtung des Selbstverteidigungsrechts Israels. Den Auslöser des Krieges sollte man moralisch dennoch in jedem Fall bei der Hamas (und den Palästinensern, die sie unterstützen) sehen, denn auch wenn das Leid der Palästinenser schon vor dem 07.10.23 groß war sind wir uns hoffentlich einig, dass das Massakrieren von Kindern keine in irgendeinem Sinne angemessene oder verhältnismäßige Widerstandshandlung war.

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Nein, aber jede Form von palästinensischer Staatlichkeit - wie auch immer man die Frage bewertet, wie weit die schon besteht - ist genau so an das Völkerrecht gebunden wie jeder andere Staat. Und wenn Israel aus dem von der Hamas regierten Gazastreifen militärisch angegriffen wird, hat es das Recht, diese Angriffe militärisch zu unterbinden - auch vom Gazastreifen aus. Sollte Israel den Gazastreifen über diese militärische Verteidigung hinaus dauerhaft besetzen, wäre das in der Tat völkerrechtswidrig. Aber zwischen „kann passieren“ und „ist passiert“ gibt es (nicht nur rechtlich gesehen) einen riesigen Unterschied. Wenn es um Israel geht, scheint dieser Unterschied aber für viele kaum eine Rolle zu spielen…
Zum Vergleich mit der Ukraine wurde ja schon gesagt, dass es nicht mal Äpfel und Birnen sind, sondern eher Äpfel und Tomaten. Es gibt keine religiös-fanatischen ukrainischen Terrorbanden, die sich die Vernichtung Russlands auf die Fahne geschrieben haben. Folglich kontrollieren diese Terrorbanden auch nicht den ukrainischen Staat, und sie setzen auch nicht den Großteil ihrer Ressourcen dafür ein, Russland maximal zu schaden und so viele Russen wie möglich zu ermorden - inklusive Frauen und Kindern, pro-ukrainischen oder Friedensaktivisten.
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen beim Blick auf diesen Konflikt ausschließlich Israel als Akteur wahrnehmen.

Daher noch eine Bemerkung zur Rolle der arabischen Staaten: Natürlich ist die Vorstellung zu kritisieren, alle arabischen Staaten seien eigentlich eins, weil arabisch. Allerdings sollte man schon berücksichtigen, dass die Idee des Panarabismus keine koloniale ist, sondern jahrzehntelang eine der stärksten politischen Ideen in arabischen Ländern war. Das ist auch ein Grund, weshalb die Idee eine palästinensischen Staates unter den Arabern aus dem ehemaligen britschen Mandatsgebiet Palästina erst lange nach der Staatsgründung Israels hegemonial wurde. Und man kann durchaus mal fragen, wie die arabischen Staaten, die sich medial immer sehr lautstark für die Interessen ihrer „palästinensischen Brüder“ einsetzen, denn de facto ihre vorhandenen Ressourcen nutzen, um diesen tatsächlich zu helfen.

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Und die Idee der „westlichen Wertegemeinschaft“ ist seit Jahrzehnten eine Idee, die von westlichen Staaten vorangetrieben wurde, trotzdem wäre es doch sehr kritisch, im Falle einer Vertreibung durch ein Anti-Westliches System (egal ob Russland in der Ukraine oder China in Taiwan) dem Westen eine Schuld zu geben, wenn er die Flüchtlinge nur temporär aus humanitären Gründen aufnimmt, aber eben nicht dauerhaft. Das ist auch eine Art der Täter-Opfer-Umkehr.

Das Kernproblem ist aber weiterhin, dass Israel im Westjordanland und den Golanhöhen gezeigt hat, dass es „Eroberung durch Vertreibung und - ganz klar illegalen - Siedlungsbau“ in der Vergangenheit erfolgreich als Strategie eingesetzt hat. So erfolgreich, dass die meisten westlichen Staaten nun eine Zwei-Staaten-Lösung für undurchführbar halten, weil dafür die illegalen Siedlungen geräumt werden müssten. Aus unrechtem Landraub ist so plötzlich ein Rechtsanspruch auf Landerhalt geworden und es ist doch wirklich aus Sicht der arabischen Welt extrem nachvollziehbar, dass sie diese Entwicklung im Gaza-Streifen mit allen Mitteln verhindern will.

Angenommen Ägypten öffnet Rafah und lässt alle Palästinenser ausreisen, glaubst du wirklich, dass dann keine israelischen Siedler in den Gaza-Streifen drängen würden? Erst ohne Zustimmung der Regierung, aber wenn die erstmal da sind, werden die Siedlungen - wie permanent in der Vergangenheit bis zum heutigen Tage immer wieder gesehen - im Nachhinein anerkannt und unter israelischen Schutz gestellt. Diese Siedlungen werden zudem an strategisch wichtigen Punkten errichtet, sodass eine Rückkehr der Palästinenser nahezu ausgeschlossen werden kann, weil diese „die Siedlungen gefährden“ würde. Diese Dinge, die da passieren, sind kein Zufall, die Siedlerorganisationen planen das extrem penibel.

Hier ein Podcast vom Deutschlandfunk zum Vorgehen im Westjordanland:

Im Gaza-Streifen würde man ähnlich strategisch vorgehen und jede Unabhängigkeit des Gaza-Streifens langfristig verunmöglichen. Man kann den arabischen Staaten beim besten Willen nicht vorwerfen, das verhindern zu wollen.

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Ich weiß bei dieser Formulierung leider nicht, ob du meinen Hinweis zur Berücksichtigung bestimmter historischer Tatsachen als einen Versuch liest, irgendjemandem für irgendetwas die Schuld zu geben. Daher zur Klarstellung: Mein Hinweis ist ein Hinweis und keine Schuldzuschreibung.

Das ist eine Interpretation. Eine andere sieht das Kernproblem wie schon 1948 in der Tatsache, dass diverse arabische und islamische Staaten und De-Facto-Regierungen die Existenz Israels nicht anerkennen und das Land immer wieder militärisch angreifen (oder dies durch ihre Unterstützung ermöglichen) - egal ob Israel Gebiete räumt oder nicht. Dazu gehört auch, dass sich eine strategische Besetzung bestimmter Gebiete - egal wie man die jetzt bewertet - schon mehrfach als effektivster Schutz vor diesen Angriffen erwiesen hat.
Die Sichtweise, dass der florierende Islamismus in der Region hauptsächlich eine Reaktion auf die Besatzung oder gar „die Siedlungspolitik“ sei oder dass es bei einem vollständigen Ende jeglicher israelischer Besatzung von palästinensischem (und meinetwegen auch syrischen) Gebieten keinen arabisch-israelischen Konflikt mehr gäbe, ist zwar weitverbreitet, aber aus meiner Sicht nicht sehr plausibel.

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Kaum jemand protestiert gegen die militärische Besetzung der Golan-Höhen. Auch die militärische Besetzung des Gaza-Streifens wäre durchaus für eine Übergangszeit akzeptabel. Was kritisiert wird, ist der damit verbundene Siedlungsbau. Eine vorübergehende Besetzung des Territoriums des Angreifers, um weitere Angriffe abzuwehren, ist völkerrechtlich legitim, aber in dem Moment, in dem Siedlungen in diesem Territorium errichtet werden, ist es völkerrechtlich unter absolut keinen Umständen mehr akzeptabel.

Wie gesagt, man kann lange darüber diskutieren, ob die israelische Regierung hier der Treiber hinter dem Siedlungsbau ist (dh. es explizite Anweisungen gibt, Siedlungen zu bauen) oder ob es einfach nur ein paar extremistische Israelis sind, die diese Siedlungen bauen und der israelische Staat diese Siedlungen, statt sie zu räumen, anerkennt: Die Schuld daran liegt beim Staat Israel. Von einem Staat muss erwartet werden, dass er im Zweifel gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht, wenn diese das Völkerrecht massiv und nachhaltig bricht. Die Argumentation „Die Siedler hatten Waffen und wir wollen ein Blutvergießen zwischen israelischem Militär und Siedlern vermeiden“ darf keine Rechtfertigung für nachträglich legitimierten Landraub sein.

Wenn ich hier von dem „Kernproblem“ rede, beziehe ich das nicht auf den ganzen Nahost-Konflikt, wie du es hier tust, sondern einzig auf die Diskussion darum, ob die arabischen Staaten die Palästinenser einfach dauerhaft aufnehmen sollten. Dabei ist das Kernproblem in der Tat, dass die arabischen Staaten das nicht tun wollen, weil Israel in der Vergangenheit die Vertreibung der Palästinenser genutzt hat, um Land illegal zu besiedeln. Das ist einfach ein historischer Fakt, von dem die arabischen Staaten keine Wiederholung sehen wollen.

Oder anders ausgedrückt: Die arabischen Staaten haben - aus gutem Grund - absolut Null Vertrauen darin, dass ein Mensch, der es einmal als Flüchtling zu ihnen schafft, jemals wieder nach Palästina kommen wird. Und sie wissen genau, dass das Leid dieser Menschen nötig ist, damit die Weltöffentlichkeit Druck auf Israel macht - leider. Jetzt von diesen Staaten zu verlangen, das Leid der Menschen zu reduzieren und damit den internationalen Druck auf Israel zu senken, ist offensichtlich etwas, was für die arabischen Länder inakzeptabel ist.

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Da du deinen Post als Antwort auf meinen verfasst hast, muss ich wohl mal wieder klarstellen, dass ich nichts von irgendeinem arabischen Staat „verlangt“ habe. Es wäre m. E. hilfreich für die Diskussion, wenn Du deutlicher machtest, auf wen bzw. auf welche Aussagen du deine Ausführungen beziehst. So wirkt es zumindest auf mich so, als unterstelltest du mir Aussagen, die ich nie getroffen habe.
Und entschuldige bitte, dass ich beim Wort „Kernproblem“ fälschlich annahm, du meintest den Kern des Konflikts :wink:

Mir ist trotzdem völlig unverständlich wie Nachfahren von Flüchtlinge aus den 1940er Jahren teilweise bis heute keine Staatsbürgerschaft in den jeweiligen Fluchtländern haben. Auch in Deutschland gibt es Kinder und Jugendliche die als staatenlos gelten aber hier natürlich fest verwurzelt sind. Wieso gibt man denen nicht einfach die deutsche Staatsbürgerschaft und fertig? (Proteste aus Richtung AfD wären mir dabei herzlich egal). Die Vererbung eines Flüchtlingsstatus über mehrere Generationen ist armselig und für die Integration kontraproduktiv.

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In Deutschland können palästinensische Flüchtlinge auch die Staatsangehörigkeit erwerben, weil Deutschland nicht die gleichen Interessen hat wie die arabischen Nachbarn. Deutschland schaut auf das Individuum, nicht auf das Kollektiv. Die arabischen Staaten hingegen haben das Interesse, dass die illegale Landnahme Israels sich nicht verfestigt - sie wollen, dass die Menschen eines Tages in ihre Heimat zurückkehren können. Es sind einfach unterschiedliche Betrachtungen und unterschiedliche Zielsetzungen.

Ich sage auch nicht, dass es korrekt ist, was die arabischen Staaten tun, und Deutschland es genau so tun sollte, ich sage lediglich, dass deren Zielsetzung absolut nachvollziehbar ist - ich gehe dabei sogar so weit, zu sagen, dass ich glaube, dass Deutschland sich nicht anders verhalten würde, wenn es in der Position dieser arabischen Staaten wäre. Die israelische Landnahme und Vertreibung der Palästinenser ist eben strikt und eindeutig illegal und die arabischen Nachbarländer sehen das noch sehr viel kritischer als Deutschland aus der Distanz. Den Flüchtlingen aus der Region eine Staatsbürgerschaft zu geben würde heißen, anzuerkennen, dass diese Menschen nicht nach Palästina zurückkehren können, was wiederum heißen würde, dass Israel mit seiner illegalen Landnahme Erfolg hätte. Das will man nicht - und das ist absolut nachvollziehbar, auch wenn es - wie du richtig sagst - für die betroffenen Individuen extrem problematisch ist.

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Die jüdische Bevölkerung hat ihren „Status“ als vertriebenes Volk über Jahrhunderte bewahrt und zwar ohne irgendwelche formelle Anerkennung. Das man diesen Status den Palästinenser nun nach vergleichsweise kurzer Zeit absprechen möchte, zeigt ein weiteres Mal, das die pro-israelische Seite mit genau dem Mittel arbeitet, dass sie immer ihren Kritikern vorwirft, nämlich doppelten Standards.

Danke, das sehe ich genauso.

Ich finde, man muss an dieser Stelle sogar noch weiter gehen und überlegen ob es nicht sogar Teil der israelischen Strategie ist, den Terror der Hamas z.B. als Reaktion auf Übergriffe im Westjordanland, billigend in Kauf zu nehmen um darüber weiteres militärisches Vorgehen, mit entsprechenden Landgewinnen, zu rechtfertigen.

Das ist so falsch wie es nur sein kann. Zur Zeit der ersten Pogrome im Mittelalter gab es schon seit Jahrhunderten jüdisches Leben hierzulande. Auch in der Neuzeit hat jüdisches Leben nicht als „vertriebenes Volk“ stattgefunden, sondern war so integriert wie es nur sein konnte in Kultur, Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und allgemein im öffentlichem Leben. Nur durch Druck, Ausgrenzung und Verfolgung und von Außen kam dieses Bild von der Andersartigkeit zu stande, welches du hier weiter propagierst.

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Das würde ich nicht auf ganz Israel beziehen wollen, aber selbstverständlich sind israelische Rechtsextremisten nicht besser als deutsche Rechtsextremisten (siehe AfD-Zitate alá „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“). Dass einige Vertreter rechtsextremer Siedlergruppierungen eine Eskalation des Konfliktes wollen, mit dem Ziel, als Sieger aus diesem Konflikt zu gehen, sollte von niemanden bestritten werden. Gerade wenn einem das Wohl Israels am Herzen liegt sollte man nicht die Augen vor den Fanatikern verschließen.

Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Religion war eben das maßgebliche gesellschaftliche Kriterium für gesellschaftliche Zugehörigkeit zu Zeiten, als 99,99% der Bevölkerung strikt religiös waren. Eine Gruppe, die sich über eine andere Religion definiert, war dadurch zwangsläufig immer ein Stück Außenseiter, vor allem eben, weil Heirat strikt von der Religion abhing, weshalb es nur selten zu „Vermischung“ kam. Dazu kommt, dass jede Gruppe in einer Diaspora dazu neigt, dass sich deren Gruppenmitglieder stärker vernetzen und gegenseitig unterstützen, auch natürlich, um gegen den Druck und die Verfolgung durch Andere bestehen zu können.

Wir müssen uns hier vor Augen führen, dass wir, wenn wir über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit sprechen, wir nicht mit unserem Erfahrungswert von „Integration“ an die Sache herangehen können. Es waren einfach noch sehr andere Zeiten, Zeiten, in denen religiöse Abweichung (nicht nur im Falle von Juden!) und generell „Andersartigkeit“ noch viel stärker stigmatisiert wurden als heute.

Selbst innerhalb der jüdischen Diaspora gab es vermutlich regional sehr unterschiedlich starke Integration, sowohl weil die Integration von Außen unterschiedlich stark zugelassen wurde, als auch, weil unterschiedliche Gruppen sich auch abgrenzen wollten („ultra-orthodoxe“ Juden mit sehr strengen Regeln, wer „dazu gehören kann“, gab es auch früher schon!).

Wie alles in Geschichte und menschlichen Gesellschaften ist auch dieses Thema bei weitem nicht so schwarz-weiß, wie es oft dargestellt wird.

Keine Ahnung was du damit genau meinst. Die kulturelle und religiöse jüdische Identität ist doch eine Tatsache und auch völlig in Ordnung, falls du darauf abgezielt hast.

Und ja, der Zionismus ist wohl (Ich bin da ja auch kein Experte) vorrangig durch gesellschaftlichen Druck auf die jüdischen Gemeinschaften in Europa entstanden.

Aber die Wahl, wo die neue Heimat liegen sollte fiel bei der zionistischen Bewegung eben recht schnell auf Israel und das auch aus historischen Gründen, weil die Juden sich eben als Volk sehen, das aus diesem Gebiet einst vertrieben wurde. Und der Staat Israel formulierte ja auch von Anfang an seinen historischen Anspruch auf dieses Land:

„Im Lande Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen.“

Ja das sehe ich ein. Aber es ist eben die gewählte israelische Regierung, die also zumindest von einem großen Teil der israelischen Bevölkerung getragen wird.

Und wenn man sich den Beitrag vom Auslandsjournal oben ansieht, dann entsteht schon der Eindruck, dass viele Israelis mit einer Art „Augen zu und durch“-Mentalität auf den aktuellen Krieg im Gazastreifen schauen und eventuell sogar insgeheim hoffen, das Netanjahus Regierung tatsächlich die Palästinenser vertreibt und danach etwas mehr „Ruhe“ einkehrt. Aber das halte ich für Wunschdenken und eben auch für völkerrechtswidrig.

So sehr ich diese Sichtweise auch für falsch halte, so sehr kann ich sie im Hinblick auf die unglaublichen Massaker vom 07.10.23 auch nachvollziehen. Fast jeder Israeli hat bei diesen Massaker einen Bekannten verloren, jeder hat die Videos von Tötungen von Babies und Vergewaltigungen vor Augen, und jetzt im Krieg verlieren weitere Israelis ihre Angehörigen. Dieses Leid auf Seiten Israels muss man auch berücksichtigen, wenn man die israelische Politik verstehen will.

(Exakt das gleiche gilt aber eben auch für die Palästinenser, aber sogar noch extremer. Man wird kaum einen Palästinenser finden, der nicht schon einen oder mehrere enge Angehörigen verloren hat… es ist einfach sehr schwer, in solchen Situationen rationales Verhalten dieser Menschen zu erwarten. Und auch wenn einige das Wort „Gewaltspirale“ ablehnen: Es ist genau das. Jeder tote Israeli führt zu mehr Hass in der israelischen Zivilgesellschaft und eine Zunahme an Bereitschaft zur militärischen Lösung „um jeden Preis“, jeder tote Palästinenser zu mehr Hass in der arabischen Zivilgesellschaft und eine Zunahme an Terrorismus… dieser Zyklus muss durchbrochen werden, dazu müssen mMn sowohl die Hamas als auch die rechtsextremen Parteien sowie radikale Siedlerorganisationen in Israel bekämpft werden…)

Wir als nicht unmittelbar Betroffenen müssen aber gerade deshalb rational auf diesen Konflikt blicken und auch Israel immer wieder zur Mäßigung aufrufen und im Zweifel auch sanktionieren. Gerade weil wir die Möglichkeit haben, das ganze aus der Ferne halbwegs rational zu betrachten, gerade weil wir nicht von - extrem nachvollziehbaren - Hass auf die Täter der jeweiligen Gegenseite geblendet sind.

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Die Staatsgründung Israel geht halt nicht auf einen wie auch immer gearteten angeblichen „Vertriebenenstatus“ zurück, sondern auf einen Beschluss der UN-Generalversammlung. Wenn das für Dich keine „formelle Anerkennung“ ist, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht weiter. Dass Staaten sich auf gewissen Gründungsmythen berufen, ist keine Besonderheit Israels und dass die Gründe für die Existenz bzw. Souveränität eines Staates sehr viel vielfältiger sind und mehr mit realen Machtverhältnissen zu tun haben als mit solchen Gründungsmythen, ist ebenfalls nicht nur bei Israel so, sondern bei so ziemlich jedem Staat. Mal ganz abgesehen davon existiert das Judentum im Unterschied zu der Idee einer palästinensischen Nation schon ein paar Tausend Jahre - dementsprechen leben in Israel in bestimmten Städten auch seit ca. 2000 Jahren durchgängig Juden, die sich als solche bezeichnen. Wie gesagt, das ist nicht der alleinige Grund dafür, warum es den Staat Israel gibt, aber wenn man von „doppelten Standards“ redet, sollte man halt auch Gleiches mit Gleichem vergleichen und nicht Äpfel mit Birnen.

Die Behauptung, dass man solch eine Überlegung anstellen „muss“ (warum eigentlich?) finde ich schon ziemlich krass. Das klingt für mich schon arg nach - egal was passiert: am Ende ist eigentlich immer Israel Schuld. Allein schon, dass du bezogen auf diesen Konflikt immer wieder undifferenziert von „Israel“ bzw. „der israelischen Strategie“ sprichst und damit so tust als hätten sämtliche Menschen in Israel - Araber, Juden, Christen, Religiöse, Säkulare, Liberale, Orthodoxe, Linke, Rechte, Friedensbewegte, Militärs, Konservative, Rechtsradikale - exakt ein und dieselbe Position dazu, zeigt aus meiner Sicht, dass es hier eher zum ein Zerrbild geht und damit letztlich um die Bestätigung der eigenen Vorannahmen geht, als darum, wirklich zu beschreiben, was in Israel passiert.

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Man muss aber eben auch berücksichtigen, dass die Gründung Israels der - ich glaube sogar weltweit einzige - Fall ist, in dem ein neuer Staat von zum absolut größten Teil neu zugewanderten Menschen auf einem Territorium gegründet wurde, auf dem eben schon andere Menschen lebten, die nicht Teil dieses Staates sein wollten. Auch deshalb bleibe ich dabei, dass es sich beim Nahost-Konflikt in aller erster Linie um einen territorialen Konflikt handelt und Religion/Rasse (bzw. Antireligion/Rassismus in Form von Antisemitismus) nur eine - leider sehr effektive - Waffe in diesem Konflikt ist.

Das wiederum gibt dem Judentum keine Sonderrechte gegenüber den Palästinensern. Fakt ist nun einmal, dass 1918 die 56.000 Juden dort nur eine kleine Bevölkerungsgruppe (10%) waren, die bis 1939 (aus sehr nachvollziehbaren Gründen) auf 445.000 Menschen gewachsen ist (30%), im Zuge des zweiten Weltkrieges dann nochmal deutlich stärker. Das führte zu Spannungen, vor allem in Verbindung mit der Bestrebung, einen eigenen Staat gründen zu wollen. Stell dir vor, du bist Araber in Palästina 1939 und erlebst diese massive Zuwanderung von Juden und deren zionistische Proklamation, einen „jüdischen Staat“ dort gründen zu wollen, wo du aktuell lebst. Natürlich stellt sich sofort Angst ein - „Wie würde mein Leben als Moslem in einem jüdischen Staat wohl aussehen? Darf ich dort überhaupt leben? Bin ich dann Bürger zweiter Klasse?“. Dass es da massiven Widerstand gab kann doch wirklich nicht überraschen. Das kann man nicht einfach damit zur Seite wischen, zu sagen: „Aber Juden leben schon länger in dem Gebiet“.

Jeder, der über das Thema diskutiert, tut das. Wenn jemand von „israelischer Strategie“ spricht, ist das das gleiche, wie wenn jemand von der „deutschen Strategie“ bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine spricht. Es wird hier über das Handeln von Staaten und Vertretern von organisierten Bevölkerungsgruppen gesprochen. Dass nicht jeder Mensch einer Bevölkerungsgruppe und nicht jeder Bürger eines Staates hinter der Strategie des jeweiligen Staates steht, ist absolut offenkundig und bedarf keiner weiteren Klarstellung, sonst wird jeder Text zu dem Thema eine Ansammlung von Disclaimern.

Du legst daher die Worte der Diskussionsgegner hier zu negativ aus, du unterstellst Intentionen, die bei den meisten Schreibern vermutlich nicht vorhanden sind. Wir sollten uns hier auch wieder um eine wohlwollende Interpretation bemühen, daher dem Diskussionsgegner nicht jeden Halbsatz und jeden Term so negativ wie möglich auslegen.

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Meine erste Frage wäre, was du unter „neu zugewandert“ verstehst. Jüdische Emigration in die Gebiete, die heute Israel umfassen, gab es seit den 1880er Jahren, die Staatsgründung erfolgte 1948. Das sind nach damaligen Gepflogenheiten zwei bis drei Generationen. Dass es kurz vor oder kurz nach Staatsgründungen zu erheblichen Veränderungen der Demografie kommt, ist auf jedenfall keine Besonderheit Israels - so nahmen die neu gegründeten Staaten BRD und DDR je nach Schätzung zwischen 10 und 15 Millionen Menschen auf, die wenige Jahre zuvor noch nicht auf ihrem Territorium gelebt haben. Dabei bezog man sich - um es mit den Worten von Matder zu sagen - auf eine Jahrhunderte lang tradierte Vorstellung von Volk. Bei Staatsgründungen auf einem Territorium, auf dem zuvor andere Menschen gelebt haben: Da würden mir beispielsweise Kanada, die USA, Mexiko, Belize, Guatemala, Honduras, Costa Rica, Nicaragua, El Salvador, Kolumbien, Venezuela, Peru, Brasiilen, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Chile, Bolivien und Ecuador einfallen… Ich muss aber zugeben, dass ich keine Umfragen darüber, wie die Menschen in Nord- und Südamerika es fanden, von den Eroberern aus Europa ermordet und unterdrückt zu werden.

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