Smartvoting gegen Maaßen VS Kemmerich-Wahl: Double Standard?

Anlässig eures Kommentars in einer der letzten Episoden, dass die demokratischen Parteien neben der CDU sich durch Smartvoting zusammentun könnten, um Maaßen bei den Bundestagswahlen zu verhindern, möchte ich folgende Frage in den Raum stellen:
Inwiefern ist Smartvoting mit dem Kemmerich-Move der Afd vergleichbar?
Wie weit ist das eine demokratisch sauber und das andere hart zu verurteilen, wenn beides „taktisches Verhinderungswählen“ ist?

Liebe Grüße!

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Mal die damaligen medialen Geschütze ausgeklammert: wer behauptet denn, dass die Kemmerich-Wahl nicht demokratisch sauber war? Der thüringischen CDU und FDP wurde doch nicht der Vorwurf im Formalen gemacht, sondern in der Sache:
Die Kemmerich-Wahl (inklusive Annahme der Wahl) dokumentierte, dass die thüringische CDU und FDP lieber mit der AfD koalieren, als eine links-geführte Minderheitenregierung zu tolerieren. Oder noch drastischer: lieber mit dem Faschisten Björn Höcke als mit dem „bürgerlichen“ Bodo Ramelow.

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Hallo LukasMue,
ich weiß nicht genau, welchen Teil des „Kemmerich-Move“ Du meinst, aber ich versuche mal zu antworten:
in einem Fall wählen Bürger so, dass das Ergebnis am besten Ihren Vorstelungen entspricht, im anderen Fall sind es Abgeordnete.
Wenn ein Bürger etwas wählt, was er für richtig hält, auch wenn es nicht eigentlich sein Wunschkandidat ist, kann ihm niemand daraus einen Vorwurf machen. Es kann richtig oder dumm sein. Es gibt viel Wähler, die nicht ihr liebste Splitterpartei wählen, da diese Stimmen ohnehin verloren wären. Es gab viele Zweitstimmenkampagnen, damit eine kleine Partei, die 5-Prozent-Hürde schafft oder hält.
Wenn ein Abgeordneter im Wahlkampf etwas verspricht, aber hinterher etwas anderes wählt, kann das gute Gründe haben oder auch nicht. Als Abgeordneter ist er nur seinem Gewissen verpflichtet. Er muss aber mit einem entsprechenden Echo rechnen, sei es ein kurzer Shitstorm, oder aber ein Wahlschlappe bei der nächsten Gelegenheit. Wenn er es seinen Wählern gut verkaufen kann, kommt er damit durch, wenn nicht, geht er unter.
Und zu guter Letzt ist es für den einzelnen ein einfacher moralischer, aber auch rationaler Unterschied, ob eine formal erlaubte Aktion dazu dienen soll, einen Antidemokraten zu verhindern oder einer antidemokratischen Partei (wenn auch als Nebeneffekt) in die Hände zu spielen.

Selbst diese Darstellung ist falsch, weder FDP noch CDU haben mit der AFD in Thüringen koaliert, es gab nämlich keinen Koalitionsvertrag. Sie haben lediglich für den für sie geeignetsten Kandidaten gestimmt.

Fast richtig - Herr Kemmerich war wahrscheinlich der Kandidat, den die CDU-Abgeordneten als den geeignetsten kandidaten gehalten, der noch übrig war, nachdem die CDU ihren eigenen Kandidaten zurückgezogen hatten, weil der nur hätte gewählt werden können, wenn die AfD-Abgeordneten für ihn stimmen. Das Dilemma war aber das gleiche - Herr Kemmerich hatte eine Chance zu gewinnen, wenn neben (fast) allen FDP- und CDU-Abgeordneten auch die AfD-Abgeordneten für ihn stimmen. Das ist auch ohne Absprachen eine Wahl, bei der man die Duldung durch die AfD in Kauf nimmt. Herr Kemmerich hatte direkt nach der Wahl noch die Chance, die Wahl nicht anzunehmen, als ihm klar sein muste, dass er nur durch Duldung durch die AfD gewählt worden ist.
Da er das nicht getan hat - oder auch schon durch die Aufstellung und die Unterstützung durch die CDU-Abgeordneten führten dazu, dass nicht nur das ganze rot-grüne „gesinde“ im Sturm-Modus war, sondern auch die Bundesparteien von CDU und FDP extrem überrascht und entsetzt reagiert hatten.

Die FDP hätte auf Jahre ihre Glaubwürdigkeit gesichert und rückblickend ihren Slogan „lieber nicht regieren als falsch regieren“ veredelt.
Stattdessen hat die Annahme der Wahl von Kemmerich - wohl mit Billigung von Herrn Lindner - diesen Spruch als Heuchelei entlarvt. Die Einsicht, dass es keine gute Idee war, die fehlende Mehrheit nur über rechtsradikale Stimmen zu sichern, kam sehr sehr spät.

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Smartvoting ist doch nur die Idee, eine Stichwahl in einem Wahlgang zu simulieren.
Wenn die absolute Mehrheit nötig wäre, um einDirektmandat zu erringen, sähe die Welt auch schon anders aus.
Es gibt in den USA in einigen wenigen Bundesstaaten, die Möglichkeit einer Gewichtung: Bekommt mein/e Wunschkandidat/in nicht die wenigsten Stimmen und ist die bestplatzierte Person unter 50%, dann wird die schlechteste Person weggestrichen und es wird meine Zweitwahl gewertet. Solange, bis eine die absolute Mehrheit hat.

Danke an alle für die Antworten und die Beteiligung!

Vielleicht noch ein paar Einordnungen zu meiner Frage:
Ich habe Smartvoting nicht als undemokratisch angesehen, sondern verstehe es als völlig legitime Taktik von Parteien, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, bzw. einen gemeinsamen parteiübergreifenden Kandidaten (oder natürlich Kandidatin) zu unterstützen.
Wenn das von Parteien geplant ist, gegenüber den Wähler:innen aber nicht offen kommuniziert wird, wäre das allerdings schon problematischer - wobei das nur bei indirekten Wahlen ein Thema ist.
Innerhalb der medialen Aufbereitung der Kemmerich Wahl, schien mir jedoch nicht ganz klar zu sein, in wie fern sich die Kritik gegen die Afd wegen ihrer taktischen Wahlentscheidung gerichtet hat (Dass die Afd antidemokratische Strömungen einschließt und dass (vor allem) FDP sich auf Kuschelkurs damit begeben hat, sind andere Themen…) - mit Kemmerich-Move waren also nur die Afd Stimmen für Kemmerich gemeint. In diesem Zusammenhang mein Diskussionsanstoß.

LG

In den meisten Fällen bleibt Smartvoting m. E. eh nur eine Idee. Es gab auch in UK bei den Unterhauswahlen 2019 Initiativen, die ausgerechnet haben, ob nun die jeweiligen Kandidat:innen von Labour- oder Liberal Democrats mehr Chancen haben, die Tories in einem Wahlkreis zu schlagen - was draus geworden ist, wissen wir ja…

Du hast Recht, Elly.
So ein System wäre so gut, dass man fast keine Gedanken auf Smartvoting verschwenden muss, außer dass man den WählerInnen klar machen muss, dass sie bis zum Ende durchhalten müssen und sich nicht zurückziehen sollen, wenn es ihr(e) WunschkandidatIn ohnehin nicht geschafft hat.
Dieses System der Wahl ist aber auch langwierig und teuer. Meist wird bei einer Lokalwahl (z.B. Bürgermeister) so durchgeführt, dass nach dem ersten Wahlgang nur die beiden KandidatInnen mit den relativ meisten Stimmen in eine einzige Stichwahl kommen. bei Abgeordnetenwahlen (unseren Direktkandidaten, britische Abgeordnete) wird einfach die Person mit den relativ meisten Stimmen ins Parlament geschickt, oft mit nur 30% der gültigen abgegebenen Stimmen, in Extremfällen auch mit deutlich weniger.
Und in (semi-)autoritären Strukturen muss man wirklich versuchen, im ersten Wahlgang den Kandidaten der herrschenden Partei auszuschalten, weil sonst die erfolgversprechensten GegenkandidatInnen massiv Steine in den Weg gelegt werden.

Ich habe noch mal nachgekuckt.
Das System heißt Ranked Choice Voting:

Es ersetzt eine Stichwahl. Auf dem Originalwahlschein gibt jede/r die persönliche Rangfolge an.
Ein weiterer Wahlgang ist dabei nicht erforderlich.

Würde man das einführen, könnte man so auch die vielen Überhangmandate verringern und den Bundestag verkleinern, ohne die Anzahl der Wahlkreise zu verringern.

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Hast du es denn so in Erinnerung, dass die AfD dafür kritisiert wurde? Ich meine, dass das im Prinzip mehr oder weniger zähneknirschend als smarter, taktischer Move gesehen wurde und sich die Kritik zunächst auf CDU und FDP richtete, dass sie durchschaubar drauf reingefallen sind und dann eben auf Kemmerich wegen der Annahme der Wahl.

Aber auch davon abgesehen sehe ich die Parallelen der Fälle nicht wirklich, vielleicht kannst du noch etwas konkreter ausführen was dich stört oder wo du einen Doppelstandard vermutest (falls dem so ist)?