Ich verstehe die Mehrheit der Wähler’innen einfach nicht.
Über die Hälfte wollen ein Tempolimit, wählen aber Parteien, die kein Tempolimit wollen. 80% sind für die Abschaffung des §218, CDU und AfD hätten zusammen daher nicht mehr als 20% der Stimmen bekommen dürfen. CDU, AfD und FDP hatten im Wahlprogramm deutliche Entlastung für die reichsten 10% versprochen bei größerer Belastung für den Rest. Noch ein Grund für 90% der Wähler’innen, diese Parteien NICHT zu wählen. Warum machen es so viele trotzdem?
Alle starren auf die Migration, obwohl die nicht das Problem ist, sondern die einzige Lösung für den Arbeitskräftemangel. Denn selbst wenn wir jetzt alle ganz schnell ganz viele Kinder bekommen, sind diese erst Kleinkinder, wenn die Boomer in Rente gehen und ersetzt werden müssen. Und dann bräuchten wir für diese zusätzlichen Kinder ja noch zusätzliche Fachkräfte für Schwangerschaft, Geburt, Kinderarztpraxen, Kitas und Schulen.
Wollen die Wähler’innen, dass reale Probleme sinnvoll gelöst werden oder wollen sie einen Sündenbock haben?
Ich vermute, dass es verschiedene Gründe dafür gibt - hier eine Auswahl davon:
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Parteien und persönliche Interessen passen nie 100%ig übereinander, also muss man priorisieren, welche Themen einem wichtiger sind. Und nach allem, was ich verstehe, gibt es eine gewisse Mehrheit für Tempolimits, aber wo sie genau liegen sollen, ist unterschiedlich, und außerdem
gehört das Thema nicht zu den wichtigsten / dringlichsten selbst für viele Wähler, die dem
Thema gegenüber offen sind. Es ist teilweise einfach “nice to have”. -
Ebenso wichtig ist das Vertrauen in Parteien und ob sie die Maßnahmen, die einem wichtig sind, wirklich umsetzen werden / wollen.
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Als Nächstes steht sicherlich die Frage auf dem Zettel, ob sie die für einen wichtigen Maßnahmen auch umsetzen werden können (mögliche Regierungsbeteiligung? Mögliche Koalitionen?).
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Dann beschäftigt Wählerinnen und Wähler sicherlich auch die Frage, ob die handelnden Personen als sympathisch und kompetent wahrgenommen werden. Oder als Gegenstück, ob man jemanden oder etwas verhindern möchte.
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Des Weiteren ist es neben rationalen Erwägungen auch eine sehr emotionale Sache, was man wählt: Die Entscheidung wird auch beeinflusst davon, welchen Personen und welchen Werten man sich verbunden fühlt, welche Art Weltbild / Menschenbild man hat und verbreiten will und wie man selbst sein möchte - eine Selbstoffenbarung / ein Wunsch.
Für rund die Hälfte wurde die Antwort doch an Wahlurnen im ganzen Land gegeben. Alles auf keinen Fall Rassisten oder gar Rechtsextremisten (wollen wir uns einreden) aber wenn erstmal die Ausländer-Frage möglichst endgültig gelöst ist, dann wird schon alles besser. Das waren die Hauptthemen von Union und AfD und dafür wurden die gewählt und das ist auch das Thema, was die Union jetzt bis zum Rechtsbruch in Verhandlungen durchsetzen will.
Wir wollen es beide nicht wahrhaben, aber die meisten Wähler:innen wählen genau das, was sie wollen.
Wenn man diesen Artikel liest, lautet meine Zusammenfassung: “Es ist kompliziert”.
Eine in großen Teilen differenzierte Diskussion – wenn auch mit Fokussierung auf die Frage der AfD-Erfolge – findet sich im Thread LdN 420 | Alternative Erklärung der Erfolge der AfD. Da werden Mechanismen herausgearbeitet, die auf die gesamte Wählerschaft übertragbar ist, nicht nur auf die AfD.
Ich finde viele deiner Fragen lassen sich mit Hilfe der alt bekannten Bedürfnispyramide¹ von Maslow erklären. Was ich auch bei @Christian_B1 rauslese.
Die wirkt sich sicher auf jeden Menschen etwas unterschiedlich aus - aber im Schnitt auf die Bevölkerung ist es relativ zuverlässig.
Deshalb ist es auch so wichtig Störgefühle der unteren Stufen ernst zu nehmen und prioritär zu behandeln / lösen. Psychologische Bedürfnisse (bspw. Essen - Inflation) und Sicherheitsbedürfnisse ( Stichworte: Wohnraummangel , Arbeitsplatzsicherheit - Deindustrialisierung)
¹
Also Essen ist z.B. ein physiologisches Bedürfnis. Ohne Migranten fehlen uns die Erntehelfer und wir haben weniger bzw. deutlich teurere Lebensmittel.
Frauen ist es ein körperliches Bedürfnis, kein Opfer eines Femizids zu werden. Sie wollen auch nicht bei einer Fehlgeburt verbluten, weil ihnen im Krankenhaus die nötige Versorgung verwehrt wird.
Ebenso wollen wir alle nicht im Straßenverkehr sterben oder durch Feinstaub krank werden.
Das würde ich alles in die unterste Stufe einordnen. Wie erklärt das nun, dass so viele Menschen CDU und AfD wählen?
So einfach funktioniert die Kausalitätskette nicht. Erzeugerpreise für Lebensmittel hängen an den Kosten füe Arbeitskrafte ja, aber vor allem auch stark an den Energiepreisen.
Das ist auf jeden Fall ein starkes Sicherheitsbedürfnis nicht Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, für viele aber eine eher abstrakte Gefahr. Darüber hinaus werden bei der inneren Sicherheit über die letzten Jahrzehnte in der Bevölkerung (im Schnitt) die Kompetenzen eher der Union zugeschrieben. Zumindest in den Wählerbefragungen die ich kenne.
Auch hier sind Ursache und Wirkung nicht unmittelbar zu erleben. Ich persönlich genieße mein Elektroauto und die Vorzüge und Wirkungen die das mitbringt, aber viele andere teilen nicht das selbe Erleben.
Beispiel - wenn ich eine Tafel Schokolade esse fühle ich mich Währenddessen in der Regel nicht schlecht weil es mein Diabetes Risiko erhöht.
Die Reflektionsfähigkeit der Menschen wird immer im Schnitt stärker je mehr der Grundbedürfnisse ausreichend erfüllt sind.
Umgekehrt, wenn die Grundbedürfnisse der Wahrnehmung nach nicht ausreichend erfüllt sind wendet sich ein Teil eher Parteien zu, die das zumindest adressieren und reflektiert weniger ob die Lösungen auch zielführend sind.
Ich vermute mal, weil den allermeisten die Logikkette CDU/AfD => teurere Lebensmittel nicht bewusst ist. (Bzw. würde ich ehrlich gesagt bezweifeln, dass es eine so einfache Logikkette überhaupt gibt.)
Auch bei den Energiepreisen bieten CDU und AfD keine wirklich günstigen Lösungen. Öl, Gas und radioaktives Material müssen teuer importiert werden aus Ländern, die von Autokraten regiert werden und z.B. wie Russland durch den Ukraine-Krieg zusätzlich hohe indirekte Kosten verursachen. Erneuerbare Energien hingegen liefert uns die Natur kostenlos. Ist das wirklich für die Mehrheit der Wähler’innen zu kompliziert?
Das kommt ganz darauf an, ob es um Femizide geht oder um gewalttätige Migranten.
Das Problem ist, dass viele Leute - also auch Männer - glauben, sie könnten durchaus Opfer eines gewalttätigen Migranten werden. Denn es kann ja gefühlt jeden in der Öffentlichkeit treffen: auf dem Weihnachtsmarkt, beim Karneval usw.
Opfer eines Femizids können aber nur Frauen werden. Männer fühlen sich davon nicht bedroht. Und die Frauen denken vermutlich: „Mein Mann würde das nie tun.“
Und dass das Risiko für Frauen viel höher ist, vom eigenen (Ex-)Partner ermordet zu werden als von einem fremden Migranten, stört ja die Männer nicht. Denn die sind entweder Täter oder die eigene Frau hat von ihnen nichts zu befürchten. Die drohende Gefahr durch ihren Ex macht den neuen Mann zu ihrem Beschützer, in dieser Rolle gefallen sich ja sogar viele Männer (notallmen, ich weiß). Tatsache ist, dass es deutlich mehr Femizide gibt als Morde durch Migranten. Die Medien stellen es nur anders dar.
Auch wieder so ein abstraktes Thema. Wenn mit „innerer Sicherheit“ Polizeipräsenz auf linken Demos gemeint ist oder Überwachungskameras, da ist die Union klar vorn. Aber was ist mit Sicherheit innerhalb der Familie? Eine finanziell unabhängige Frau, die nicht bei einem gewalttätigen Mann bleiben muss, ist sicherer als eine abhängige. Aber das ist halt politisch nicht gewollt, solange alte weiße Männer die Politik machen. Genauso wie Frauen, die allein entscheiden dürfen, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen oder nicht. Für Frauen würde das definitiv „innere Sicherheit“ bedeuten, aber die Union hat da leider keine Kompetenz.
Müsste man das wirklich, um es zu begreifen? Unterstellst Du dem Großteil der Wähler etwa, dass sie nur die Intelligenz eines Kleinkinds besitzen?
Warum tut die Union dann nichts, um diese Grundbedürfnisse zu erfüllen? Merz will der Kanzler der Mehrheit sein, aber sein Wahlprogramm zeigt das Gegenteil. Die Union will angeblich die AfD schwächen, aber zu diesem Zweck die Grundbedürfnisse des Volkes zu erfüllen, ist sie nicht bereit?
Na wer erntet denn den Spargel? Wer fährt die Lebensmittel im LKW durch die Republik? Das haben wir doch spätestens in der Pandemie gesehen, als die Grenzen geschlossen wurden.
Ob man etwas so Komplexes wie die globale Nahrungsmittelversorgung so einfach herunterbrechen kann, bezweifle ich stark.
Vielleicht misst der Großteil der Wähler seiner Stimme nicht die entsprechende Wichtigkeit zu.
Und so meint mancher Protestwähler, er kann ja problemlos seine Stimme der AFD geben und mit dem Gefühl nach Hause gehen, jetzt hätte er es allen gezeigt, solange er davon überzeugt ist, dass genug der anderen die Stimme den richtigen Parteien geben.
Wenn dann 10% so denken und 10% gesichert rechts sind, bekommt man solche Ergebnisse.
Wieso herunterbrechen?
Das Essen wächst auf dem Feld oder im Stall. Es muss geerntet oder geschlachtet, verarbeitet und transportiert werden. Diese Arbeit erledigen größtenteils Migranten/Saisonarbeiter. Deutschen sind diese Arbeiten oft zu anstrengend und zu schlecht bezahlt. In der Pflege ist es übrigens ähnlich: den Deutschen zu anstrengend und zu schlecht bezahlt. Ohne Altenpflegerinnen aus Polen, ohne Erntehelfer aus Bulgarien wird das alles teurer. Das ist doch keine Raketenwissenschaft.
Ich stimme dir im wesentlichen zu, würde aber darauf achten die Union und die AfD sauber zu trennen. Unabhängig wie man weltanschaulich zur Union steht, sehe ich den wesentlichen Unterschied, dass die AfD auf Chaos und Störung fokussiert und die Union auf Stabilität.
Das ist genau was Maslow sagen möchte mit seiner Pyramide. Wenn bei niedrigen Bedürfnissen ein Störgefühl Auftritt dann wird das rationale Denken zurückgestellt.
Das Beispiel: Wenn ich versuche mit 100€ Wochenbudget die Familie satt zu kriegen mache ich mir weniger Sorgen um Pestizide, oder die Ausbeutung von Menschen & Natur, die bei der Produktion der Lebensmittel entstehen.
Ich glaube da müssen wir abwarten wie der Koalitionsvertrag aussieht - aber ich verstehe dich im Hinblick auf das Wahlkampf Gerede.
Die maslowsche Pyramide ist allerdings auch eine gute Erklärung, warum ärmere Bürger eher gar nicht wählen - wer sich sein Essen kaum leisten kann, stellt Demokratie erst mal hinten an.
Also erst auf Stufe 2 oder 3 (vielleicht sogar Stufe 4) wird Politik überhaupt erst interessant.
Das stimmt oft, für diese Bundestagswahl gilt allerdings, dass sowohl Arbeiter als auch Menschen mit schlechter wirtschaftlicher Situation deutlich AfD gewählt haben.
Ob es ein Hilferuf war oder ob sich die AfD als neue Arbeiterpartei gefestigt hat wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Viele glauben halt an die Geschichte, dass es ihnen viel besser ginge wenn erstmal die Zahlungen an Ausländer in Deutschland und an das Ausland (egal ob Entwicklungshilfe oder EU) wegfallen. Dass die AfD trotzdem Transferleistungen reduzieren will und generell ein Programm hat welches dieser Wählergruppe schadet ist dann schnell übersehen.
Ich glaube gerade wegen der Abstiegsängste vieler Wähler werden auch populistische Maßnahmen nötig sein um andere Parteien wieder interessant zu machen, da nur sowas wirklich von einer breiten Menge wahrgenommen wird. Beispiel wäre eine Reduzierung der MwSt. in der Gastro.
An sich nur wenig hilfreich, aber es wird gesehen.
Mit dem Malermeister Chrupalla hat die AFD einen stellvertretenden Parteivorsitzenden der genau für die Arbeiterklasse steht und das auch gezielt in den Vordergrund stellt. Er hätte als Kanzlerkandidat sicher in dem Milieu noch ein paar Prozent mehr rausholen können.
Wenn ich mir nicht mehr aussehe und tatsächlich zum wählen gehe, ist es auch durchaus naheliegend radikale Ränder zu wählen. Eine Mini-Reform wird mir nicht helfen, mich vermutlich nicht mal erreichen. Was ich dann brauche ist eine Revolution.
Der Spiegel berichtet über eine Analyse des Wahlverhaltens von Personen mit Migrationshintergrund. Interessanterweise gilt, dass je rechter auf der Karte der Ursprung ist (eurozentrische Karte), desto extremer das Wahlverhalten.
Aber auch interessant ist, welche Themen besonders von Wichtigkeit waren: Wirtschaft, Arbeit, Migration und wenig Klima / Umwelt.