Selbstbestimmungsgesetz

Zugegeben ist das Thema an sich schon ein paar Monate alt, aber für einige Menschen noch immer durchaus relevant.

Hintergrund: Im Mai hat der BGH entschieden, dass Menschen, die sich als Nicht-Binär identifizieren, ihren Personenstand nicht nach dem PStG ändern lassen können, sondern stattdessen ihr Geschlecht nach dem TSG umtragen lassen müssen, sofern sie das denn wollen. Im Verfassungsblog gibt es dazu einen schönen Artikel. (Der biologische Essentialismus hinter „lediglich empfundener Inter­sexualität“ – Verfassungsblog)
Gleichzeitig hat nun die GFF angekündigt zum BVerfG zu ziehen und die Fraktionen von FDP und Grüne haben jeweils einen Gesetzesantrag für ein Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt, was das alte und in Teilen verfassungswidrigen Transsexuellengesetz ablösen soll. Dieses sollte auch 2019 reformiert werden, aber der Vorschlag wurde nach großen Protesten von Betroffenenverbänden wieder zurückgezogen.

Kritik an einem Selbstbestimmungsgesetz kommt aus der CDU und es wird ein Missbrauch befürchtet, den ein solches Gesetz ermöglich könnte.

Ich halte das Thema für die Lage relevant, weil es durchaus ein wichtiges Thema für viele Menschen ist und bisher kaum Beachtung außerhalb der entsprechenden Communities fand. Auch ist es ein gutes Beispiel zwischen dem Konflikt mit dem Recht auf selbstbestimmtes Leben auf der einen Seite und Interessen des Staates auf Rechtskraft geschlechtsspezifischer Gesetzgebung auf der anderen Seite.
Ebenso ist hier auch die Rolle der Gerichte interessant.

Vielleicht wollt ihr das Thema irgendwann mal aufgreifen. Ich würde mich jedenfalls freuen. Und wenn ich schon dabei bin, noch ein großes Danke für die wunderbaren Podcasts, die ich jetzt seit noch nicht ganz 2 Jahren hören darf.

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Ich würde das Thema gerne mal pushen, weil es mittlerweile hochaktuell ist (der Bundestag wird wohl am kommenden Mittwoch, den 19. Mai darüber abstimmen) und es mich wundert, dass es hier gar nicht so viel Beachtung findet.

Ich denke, ich muss nicht erklären wie wichtig das Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen in Deutschland wäre.
So wie es aussieht, wird es aber leider an der SPD scheitern weil man es sich nicht mit der CDU verscherzen will:

Links zur weiterführenden Recherche folgen in der nächsten Antwort, weil das System mir nicht erlaubt mehr zu posten.

Ein paar weitere Links:

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Es scheitert wohl vor allem an der ermöglichung von permanenten operativen Veränderungen bei Minderjährigen auch ohne Einwilligung der Eltern. Finde ich auch sehr heikel.

Sorry, aber das stimmt einfach überhaupt nicht – les dir vielleicht §3 (und den Abschnitt A. Allgemeiner Teil der Begründung) im Gesetzentwurf nochmal durch. Inbesondere möchte das Gesetz neben Rechten für trans Menschen auch unnötige genitalverstümmelnde Operation an intergeschlechtlichen Kindern verbieten, was dringend überfällig ist.

Update:
Mittlerweile hat Katja Mast, die stellv. Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, auf Twitter zu dem Thema Stellung bezogen: (ich kann hier leider keine Links mehr zu Twitter posten…)

Weiterhin wird die Verhinderung des Selbstbestimmungsgesetzes also nicht ideologisch oder inhaltlich begründet, sondern damit dass der SPD durch den Koalitionszwang die Hände gebunden seien.

Die im Screenshot auch sichtbare Antwort hebelt dieses Argument aber ganz gut aus, denke ich.

Parallel dazu hat eine Eilpetition an die SPD innerhalb eines Tages über 10.000 Unterschriften sammeln können: Petition · #Selbstbestimmung2022 – TSG abschaffen · Change.org. Deren Begründungstext ist evtl. auch nochmal sehr aufschlussreich, was die Wichtigkeit dieses Gesetzes angeht.

(2) Ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, kann abweichend von Absatz 1 Satz 1 in einen operati- ven Eingriff an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen einwilligen. Die Einwilligung nach Satz 1 bedarf zusätzlich der Einwilligung der sorgeberechtigten Person oder der Genehmigung des Familiengerichts. Das Fa- miliengericht erteilt die Genehmigung, wenn das Kind einwilligungsfähig ist und der Eingriff dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Der Eingriff widerspricht in der Regel dem Wohl des Kindes, wenn keine Beratung des Kindes stattgefunden hat.

Das ist aus §11 der Vorlage zum Selbstbestimmungsgesetz was die FDP vorgelegt hat. Das der Grünen kenne ich im einzelnen nicht, vermute aber das es eher noch darüber hinaus geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Familiengericht einen solchen Fall immer mit der nötigen Objektivität verhandeln würde, gerade wenn man bedenkt, was für ein enormer öffentlicher Druck entstehen kann. Man stelle sich die Headline vor „Deutsches Gericht untersagt Hilfe für Transperson“. Ich fänd es im Übrigen auch mit Einstimmung der Eltern fragwürdig, Minderjährigen einen solchen Schritt zu gestatten.

(2) Ein genitalverändernder chirurgischer Eingriff an einem Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, ist nur mit seiner Einwilligung zulässig. In solchen Fällen bedarf es zusätzlich der Einwilligung der sorgeberechtigten Person. Verweigern die sorgeberechtigten Personen derer Einwilligung, so ersetzt das Familiengericht die Ein- willigung, wenn:

  1. eine Beratung des Kindes stattgefunden hat,
  2. das Kind einwilligungsfähig ist,
  3. der Eingriff dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.
    Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes ist stets erforderlich.

Und das hier ist aus §3 des von den Grünen vorgelegten Entwurfs. Also ziemlich ähnlich zu dem der FDP, ich habe hier dieselben bedenken. Ich bezweifle, dass die Folgen von eventuellen Falschbehandlungen durch ein solches Gesetz dadurch aufgewogen werden, dass Menschen, die tatsächlich auf solche Eingriffe angewiesen sind, damit nicht mehr bis zu ihrer Volljährigkeit warten müssen.

Das Selbstbestimmungsgesetz wurde nun im FAZ Einspruch Podcast beleuchtet. Prof. Dr. Boris Schinkels kritisiert dort, dass durch das geplante Gesetz die Eintragung zum Geschlecht „verunklart“ wird. Statt das Geschlecht zu verunklaren, schlägt er vor, zusätzlich zum biologischen Geschlecht zukünftig auch die frei gewählte Genderidentität amtlich zu erfassen.

Ein konkreter Problemfall: Das Arbeitsschutzgesetz bzgl. ionisierender Strahlung unterscheidet faktisch, ob die Person Eizellen trägt oder nicht (d.h. ob sie biologisch weiblich oder männlich ist - intersexuelle Personen mal außen vor gelassen). Die Eintragung des biologischen Geschlechts in den Personalausweis zu behalten (sowie eine Meldung des biologischen Geschlechts an den Arbeitgeber), wäre in diesem Fall also äußerst sinnvoll.