Ich denke, dass der Einfluss solcher Mails hier in dieser Diskussion (und von Ulf und Philip in der Lage) maßlos überschätzt werden.
Den dort erwähnten Twitter-Thread von Anke Domscheit-Berg hatte ich vorher schon gelesen (und kommentiert),…
… und ich halte den weniger für eine allgemeine Darstellung von Entscheidungsprozessen im Bundestag, als vielmehr für eine Beschreibung der desolaten Verfassung, in der sich die Fraktion der Linken im Bundestag befindet, die anscheinend entweder niemanden hat, der sich Expertise im wohl wichtigsten politischen Themenbereich der vergangenen zwei Jahre erarbeiten konnte/wollte, oder es gibt zwar solche Personen, aber die fachfremden Fraktionskollegen vertrauen lieber Demagogen und Scharlatanen.
Dass es sich bei der Abstimmung im Bundestag um eine „Gewissensentscheidung“ unabhängig von Parteilinien gehandelt haben soll, ist natürlich völliger Quatsch. Scholz hatte keine Mehrheit für die Impfpflicht in seiner Regierung, weil die FDP sich auf kindische Art und Weise verweigert hat, und laut Koalitionsvertrag hätte es daher keine Impfpflicht geben können, außer eben über diesen Trick mit der „offenen Abstimmung“, wobei er davon ausging, dass die CDU auf Linie mit ihren eigenen Ministerpräsidenten mehrheitlich dafür stimmen würden.
Die Impfpflicht-Gegner haben es allerdings geschafft, das Thema so lange in der Schwebe zu halten und hinauszuzögern, bis die befürwortenden Statements der Ministerpräsidenten so lange zurück lagen, dass es zumindest nicht mehr auf den ersten Blick völlig peinlich wirkte, was Friedrich Merz jetzt mit seiner Fraktion abgezogen hat.
Jedenfalls war das doch keine echte „offene / Gewissensabstimmung“, sondern es wurde im wesentlichen klar nach Parteilinien abgestimmt: SPD+Grüne dafür, Union+FDP+AfD dagegen. Der Großteil der Linken ebenso, aber die wären in realistischen Szenarien kaum mehrheitsentscheidend gewesen.
Die These, dass Querdenker-Massen-Spam-Aktionen eine relevante Wirkung auf die Abstimmung gehabt haben – außer vielleicht in der Linksfraktion, die ja auch immer sehr gerne besonders offen für in Ostdeutschland besonders verbreitete Ansichten ist – halte ich daher für eher unwahrscheinlich.
Ich will jetzt niemanden davon abhalten, demnächst Emails, Briefe und Faxe an Abgeordnete zu schreiben, aber versprecht euch am besten wenig bis nichts davon. Wer in der Vergangenheit bspw. in netzpolitischen Debatten solche Möglichkeiten genutzt hat, der wird wissen, dass ein einziger Anruf von Döpfner im Kanzleramt viel mehr bewirkt als Tausende Emails und Briefe von irgendwelchen namenlosen Wählern. Es gab afair bei mindestens einer Gelegenheit sogar Berichte von Insidern, dass im Europaparlament die Spamfilter darauf trainiert wurden, die nervigen Mails aus der Netzcommunity auszufiltern, weil die Abgeordneten sich in ihrer Arbeit gestört fühlten
Solche Aktionen bringen im Zweifelsfall höchstens dann etwas, wenn sie die sowieso vorhandene Tendenz des Abgeordneten unterstützen. Dann kann man als Abgeordneter die „zahlreichen Bürgermeinungen“ natürlich nutzen um seine Position zu legitimieren. Aber dass nennenswert Unions- oder FDP-Mitglieder für die Impfpflicht gestimmt hätten, wenn sie nur haufenweise entsprechende Post bekommen hätten, sollte sich imho nicht zur Legende entwickeln. (Dann sind nämlich am Ende gar nicht die verantwortlichen Abgeordneten schuld, sondern die dummen Wähler, die zwar in Umfragen nahezu eine Zweidrittelmehrheit pro Impfpflicht angeben, aber zu faul/blöd sind ihren Feierabend sinnvoll für Briefe an Abgeordnete zu nutzen.)