- Ja, das kann man vermutlich in irgendwelchen Broschüren der Bundeszentrale für politische Bildung so nachlesen, oder hat es mal in der Schule in einer der wenigen Stunden Politikunterricht gelernt. Mit der Realität hat das aber nichts zu tun.
Wer „beauftragt“ denn tatsächlich bewusst „eine konkrete Person mit der stellvertretenden Ausübung ihrer Staatsmacht“, und wer kreuzt stattdessen einfach seine bevorzugte Partei an? Wer von durchschnittlich 300.000 Wahlberechtigten kennt überhaupt die örtlichen Wahlkreiskandidaten und bildet sich seine Entscheidung zumindest überwiegend anhand der Personen? Wem ist überhaupt bewusst, dass ein Direktkandidat in Wahrheit effektiv nur sekundär gegen die Kandidaten der anderen Parteien antritt, und hauptsächlich gegen die eigenen Parteikollegen auf der Landesliste?
Ich behaupte einfach mal, die absolute Mehrheit der Wähler ist sich überhaupt nicht bewusst, wie dieses Wahlsystem im Detail so funktioniert. Die meisten machen einfach beide Kreuze bei der selben Partei, egal wer da antritt. Einige wissen gar nichts und wählen dann „Koalitionen“, wobei sie ihrer präferierten Partei am besten noch die unwichtigere Erststimme zuweisen. Und dann gibt es noch die „schlauen“, „taktischen“ Wähler, die wissen, dass der Kandidat ihrer bevorzugten Partei in ihrem Wahlkreis keine Chance hat, und wählen daher mit der Erststimme einen „aussichtsreichen“ Kandidaten einer Kleineres-Übel-Partei, aber auch ohne sich irgendwie damit beschäftigt zu haben, wer dieser Kandidat nun ist, und ob er vielleicht ein Idiot ist, der dann einem vernünftigeren Parteifreund das Listenmandat wegnimmt.
Und dann gibt es da noch die zahlreichen Kandidaten, die „über die Liste abgesichert“ sind. Bei mir z.B. ist der CDU-Wahlkreiskandidat gleichzeitig der Spitzenkandidat auf der Landesliste gewesen. D.h. es ist vor der Wahl zu 99,99999999% klar, dass dieser Kandidat in den Bundestag kommt. (Wenn er nicht vorher stirbt o.ä.) Im Grunde war es also für jeden CDU-Wähler eine völlig verschenkte Stimme, den mit der Erststimme zu wählen, und stattdessen hätten die damit vielleicht etwas anderes anstellen können. (Was natürlich die Mehrheitsverhältnisse auch nicht angetastet hätte, aber vielleicht ist ein anderer Kandidat ja bekannt dafür, sich mit der Union besonders gut oder schlecht zu verstehen.)
Für mich hat das mit Legitimation nicht viel zu tun. Eigentlich ist niemand so unlegitimiert wie ein Wahlkreiskandidat, der von einer Handvoll Hanseln auf einer medial meist null rezipierten Parteiversammlung in einem „sicheren Wahlkreis“ meist ohne Gegenkandidat aufgestellt wurde, weil er das Mandat von irgendwem „geerbt“ hat.
- Wenn der Wahlkreis dagegen hart umkämpft ist, und der Gewinner am Ende wie hier im Extremfall nicht einmal 20% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt, ihn also über 80% nicht gewählt haben, ist das imho ebenfalls in keiner Weise irgendwie besonders legitimiert, schon gar nicht mehr als jemand von der Landesliste.
Klugscheißmodus: Was du meinst, ist die Personenstimme. Kumulieren/Panaschieren bedeutet, dass man mehrere Stimmen hat und diese auch entweder häufen oder verteilen kann. Kann man so machen. Man könnte aber auch ein Wahlsystem mit nur einer Personenstimme haben. Ich fänd’s interessant, als Ersatz für das Wahlkreisgedöns mit der Erststimme vielleicht einfach zwei Stimmen zu erlauben, die aber nicht kumuliert werden dürfen auf den Spitzenkandidaten, so dass man damit dann vielleicht den örtlichen Kümmerer-Politiker wählen kann, wenn man möchte, aber wenn der ein Depp ist, wählt man eben den aus dem Nachbarkreis, oder irgendeinen Fachpolitiker, der sich für Themen einsetzt, die einem wichtig sind o.ä.