Rassismus/Diskriminierung in der deutschen Rechtswissenschaft

Hallo Leudz,

hier ist ein kleiner Themenvorschlag.

Dieses Thema ist gerade die letzten Tage auch auf Twitter mal wieder aufgekommen, denn ein Verfassungsrechtler hatte in einer juristischen Fachzeitschrift einen ziemlich rassistischen Aufsatz veröffentlich. Der Beck Verlag (Herausgeber der Fachzeitschrift) hat sich nun entschuldigt, dieses jedoch sehr knapp und ohne irgendwelche wirkliche Konsequenzen draus zu ziehen.
→ Artikel dazu: Zuck-Kommentar in NZA: Beck Verlag entschuldigt sich

Zudem gibt es schon eine sehr lange Diskussion über den Namen des wohl bekanntesten Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Denn dieser trägt den Namen eines nationalsozialistischen Juristen.
→ Artikel dazu: Wegen NS-Geschichte: "Palandt" umbenennen?
→ Weiteres Beispiel zum sehr problematischen Umgang mit der NS-Vergangenheit:
Ahnengalerie mit falschem Glanz | Jüdische Allgemeine

Oder rechtsradikale und rassistische Professoren in einigen Universitäten.
→ Beispiel von einem Professor an der Uni Leipzig: ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.

Aber auch sexistische Sprache und Fallbeispiele.
→ eine sehr interessante Herausgabe der Uni Hamburg: https://www.jura.uni-hamburg.de/media/ueber-die-fakultaet/gremien-und-beauftragte/broschuere-gleichstellung.pdf

Ich studiere selber Jura und bekomme einige Sachen davon selber hin und wieder mit. Unter den Studierenden gibt es nun zum Glück immer mehr Widerstand gegen solche diskriminierende Aktionen. Ich denke jedoch, dass das Problem sehr stark in der deutschen Rechtswissenschaft verankert ist. Es gibt meiner Meinung nach viel zu wenig Wille von Politik und der Rechtswissenschaft diese Probleme zu bekämpfen.

Würde mich über eure Gedanken und Beiträge zu diesem Thema sehr freuen. :slight_smile:

Sonnige Grüße
Linuuzzzz

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Haha… Hatte den Themenvorschlag auch im Kopf, aber da war wohl jemand schneller :slight_smile:

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Ich würde den Themenvorschlag gerne nochmal aufgreifen und ergänzen:

Vor wenigen Tagen ist eine Rezension einer Habilitationsschrift einer Professorin in einer juristischen Zeitung veröffentlich worden, die mE in eine Reihe von misogynen Beurteilungen von (wissenschaftlichen) Werken von Frauen passt: http://www.zis-online.com/dat/artikel/2021_4_1432.pdf

Die „Rezension“ ist eher ein persönlicher Angriff (Hintergrund: Rezensent hatte sich auf dieselbe Professur beworben und unterlag der Professorin) als eine sachliche Beurteilung der Arbeit, wirft aber auch die Frage auf, ob Arbeiten von Frauen generell mit einem anderen Maßstab beurteilt werden. Passen hierzu ist auch dieser Thread auf Twitter: https://twitter.com/MNDRSpodcast/status/1383483684389462022?s=20

Letztes Jahr wurde in derselben Zeitschrift eine Dissertation einer Juristin verrissen: http://www.zis-online.com/dat/artikel/2020_7-8_1375.pdf , in der der Verfasser über das sachliche hinaus Anmerkungen vornahm, bei denen ich bezweifle, dass sie auch in Rezension von Werken von Männern auftauchen. Dazu steht auch was in dem Twitter-Thread. Der Verriss hatte zur Folge, dass sich ein Professor in der besagten Zeitschrift zu Wort meldete und die Frage in dem Raum stellte, ob es eine „heimliche Frauenquote (…) dergestalt gibt, dass die Arbeiten von weiblichen Doktoranden etc. bei der Vergabe von Noten, Preisen, Stipendien, Drittmitteln, Habilitationsstellen und Berufungen einen ähnlichen Bonus erhalten wie etwa die Magisterarbeiten von Studenten aus exotischen Ländern?“.

Mich würden eure Gedanken dazu interessieren.

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Diese beiden Rezensionen haben in der Strafrechtswissenschaft tatsächlich für sehr viel Aufregung gesorgt. Die Diskussion lebt dabei aber auch von Thesen, die eher Vermutungen sind:

Dass es sich um einen persönlichen Angriff des Rezensenten Stuckenberg gegen die Kollegin Rostalski wegen einer Niederlage bei einer Bewerbung handelt, wird gemunkelt. Wirklich beurteilen kann das aber wohl nur der Rezensent selbst.

Eine „Reihe von misogynen Beurteilungen von (wissenschaftlichen) Werken von Frauen“ kann ich bei zwei Rezensionen (noch) nicht erkennen. Das liegt aber vielleicht daran, dass ich überhaupt nur wenige Buchbesprechungen kenne, die in dieser Weise scharf formuliert waren (vgl. aber http://zis-online.com/dat/artikel/2009_4_308.pdf). Da wäre ich für einen Hinweis dankbar, ob es weitere gibt.

Worauf sich die Vermutung stützt, dass der zweite Rezensent mit der Arbeit eines Mannes nicht so umgegangen wäre, verstehe ich nicht. Auch der Twitter Thread hält sich mit Belegen für den erhobenen Vorwurf der Frauenfeindlichkeit vornehm zurück.

Dass Qualifikationsarbeiten von Frauen anders bewertet würden, entspricht nicht meiner Erfahrung.

Bei der Vergabe von Stellen, Stipendien ergeben sich für Frauen durchaus Vorteile durch Frauenförderungsprogramme. Ob sie anderweitige Nachteile für Frauen in der Wissenschaft kompensieren oder überkompensieren, kann ich auch nach mehrjähriger Befassung mit dem Thema in der akademischen Selbsverwaltung nicht abschließend sagen.

In Berufungskommissionen kommt es aber durchaus gelegentlich zur Sprache, ob man nicht eine Frau berufen könne, weil man dann in der Außendarstellung Vorteile habe und besser an Drittmittel kommen könne. Dass es auch in Gremien, die Stipendien vergeben eine Rolle spielt, dass eine bestimmte Frauenquote erreicht wird, konnte ich bei meiner Tätigkeit in solchen Gremien noch nicht beobachten.

Sorge macht mir als Strafrechtswissenschaftler vor allem der rauhe Umgangston auf „beiden Seiten“. Der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit der Rezensionen erscheint mir derzeit ebenso unangebracht wie der Ton der Kritik an der kürzlich rezensierten Arbeit. Eine Rezension sollte Stärken und Schwächen einer Arbeit benennen, darf aber nicht persönlich werden. Diese Grenze scheint mir überschritten, wenn der Lebenslauf einer Person in die Rezension mit einfließt, mag man sich auch über einen „aufgeblasenen“ CV mit Abitur- und Examensnoten oder Platzziffern ärgern.

Ich hoffe, dass die Rezensionen die Auseinandersetzung mit der Bewertung und Betreuung von wissenschaftlichen Arbeiten fördert. Dass man zu diesem Zweck aber an spezifischen Arbeiten ein „Exempel statuieren“ muss, bezweifle ich doch sehr. Der Ton führt wohl eher zu unnötigem Streit.

Bitte genau lesen. Da steht eine Reihe von misogynen Beurteilungen von (wissenschaftlichen) Werken von Frauen und nicht, dass das eine abschließende Darstellung anhand dieser zwei genannten Fälle ist. Wissenschaftlich steht da bewusst in Klammern, da das ganze sich auch außerhalb der Wissenschaft abspielt, siehe allgemein Literaturkritik. Dazu vielleicht interessant:https://www.rbb-online.de/rbbkultur/radio/programm/schema/sendungen/der_morgen/archiv/20210208_0600/kultur_aktuell_0810.html

Wenn man den Blick dafür geschärft hat, dann fallen einem diese vielen Bemerkungen (sogar in den Fußnoten) in den genannten Rezensionen auf, die die Person verächtlichen wollen. Mir ist im rechtswissenschaftlichen Bereich keinerlei Rezension bekannt, in der das Werk eines Mannes beispielsweise wie folgt rezensiert wird:
Dem Rezensenten hat sich bereits an dieser Stelle die Vermutung aufgedrängt, dass es dort in Wahrheit nicht um einen Beitrag zur Klärung oder Lösung des Problems der Auslandsbestechung, sondern darum geht, durch besonders anspruchsvolle Ausführungen und Zitate juristische Leser zu beeindrucken. Und tatsächlich lässt sich vieles in dieser Arbeit nur so erklären.“

Ganz unabhängig von der Bewertung der Arbeiten, ist es kein Geheimnis, dass sexistische Sprache und Denkmuster in juristischen Fallbeispielen Gang und Gäbe sind. Dazu passend der Link bei dem Kollegen, der den Themenvorschlag gemacht hat, aber da gibt es unzählige Beispiele. Wem sowas nicht begegnet ist, der scheint sowas auch gerne zu übersehen.

Einen rauen Ton auf der Seite, die solche Rezensionen zurecht kritisiert und auch herausstellt, dass davon (junge) Wissenschaftlerinnen oder Autorinnen betroffen sind, erkenne ich nicht. Missstände beim Namen zu nennen finde ich extrem wichtig, vor allem als Juristin.

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Was die beiden Rezensionen angeht, um die es hier geht, sehe ich keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, dass das Geschlecht der Verf. eine Rolle gespielt hätte.

Aus der Rezension von Holm Putzke:
„Das hier Geschilderte macht eines deutlich: Diese Dissertation erfüllt nicht einmal im Ansatz die Standards, denen eine wissenschaftliche Arbeit genügen muss. Neben den formalen Fehlern und Merkwürdigkeiten fehlt es ihr über weite Strecken an Plausibilität und flächendeckend an wissenschaftlicher Akribie – von rhetorischem Schwung ganz zu schweigen. Wohlgemerkt: Niemand ist gefeit davor, Fehler zu machen – sie finden sich nahezu in jeder Arbeit. Und kein redlicher Rezensent wird sich an verstreuten Formatierungs- oder Rechtschreibfehlern ergötzen. Aber Schneider hat die Toleranzgrenze allzu weit überschritten.“
Er rezensiert die Arbeit von Jochen Schneider.

Für Beispiele sexistischer Sprache und Denkmuster wäre ich dankbar, mir fehlt da wohl die Sensibilität. Allein daraus, dass die Mehrheit der handelnden Personen in Strafrechtsfällen männlich sind, kann man m.E. nicht viel ableiten. Das Verhältnis in der Kriminalstatistik ist ca. 75/25, so dass es naheliegt auch in Sachverhalten so zu verfahren.

Mein Hinweis auf den rauhen Ton bezog sich darauf, dass im Kontext beider Rezensionen mit nicht valide begründeten Vermutungen agiert wird (Racheakt, Sexismus etc.). Der Vorwurf einer misogynen Reihe ist aus meiner Sicht ziemlich massiv und müsste für jede einzelne Rezension sauber belegt werden, bevor man ihn äußert.

Diese Studie zu (Geschlechter)Rollenstereotypen in juristischen Ausbildungsfällen ist vielleicht ein guter Anfangspunkt.

Ansonsten kann ich auch diesen Blog vom Deutschen Juristinnenbund empfehlen: Deutscher Juristinnenbund e.V.: Blog „Juristenausbildung – üble Nachlese“

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Nicht der Vorwurf misogynen bzw. sexistischen Verhaltens ist „massiv“, sondern dieses Verhalten an sich, da es grundlegenden Menschenrechten widerspricht. Wer entsprechende sozialwissenschaftliche Studien, aber auch Romane, Sachbücher oder einfach nur Alltagserfahrungen Betroffener zur Kenntnis nimmt, weiß, wie verbreitet misogynes bzw. sexistisches Verhalten in der Gesellschaft ist. Und ausgerechnet die Rechtswissenschaft soll davon ausgenommen sein? Im gesellschaftlichen Sinne - nicht im juristischen - braucht es an diesem Punkt dringend eine Art Beweislastumkehr.

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Richtig, weil eine Diskriminierung wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung ein schwerer Vorwurf ist, darf er nicht ohne valide Basis erhoben werden. Eine „gesellschaftliche“ Beweislastumkehr wäre hier ausgesprochen gefährlich für ein friedliches Zusammenleben.

Was die Fälle in der juristischen Ausbildung angeht, sind die große Zahl der Fälle Entscheidungen der Rechtsprechung nachgebildet, auch mit Blick auf die Geschlechter der betroffenen Personen. Es ist schlicht unterkomplex einfach zu zählen, wie viele Täter oder Täterinnen auftauchen, wie viele Verletzte männlich, weiblich oder divers sind. Man müsste diese Zahlen an der PKS abgleichen. Daher sind die Studien zumindest für das Strafrecht wenig aussagekräftig.

Die „valide Basis“ bildet die gesellschaftliche Realität. Gesellschaftliche Beweislastumkehr meint nicht mehr und nicht weniger als diese zur Kenntnis zu nehmen. Nochmal: nicht der „Vorwurf“ gefährdet das friedliche Zusammenleben, sondern dieses menschenverachtende Verhalten.

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Ich denke, es täte der Diskussion gut, ein bisschen von diesen Extremvokabeln runter zu kommen. Es klingt bei dir so, als würde jedem Menschen der oder die sich diskriminierend verhält, durch das Ansprechen dieses Verhaltens direkt ein schwerer persönlicher Vorwurf gemacht. Dem ist aber nicht so!

Diskriminierung ist etwas, was sich nicht nur durch „krasse“ „schuldhafte“ Einzelaktionen „schlechter Menschen“ ergibt, sondern was in der gesellschaftlichen Struktur verankert ist. Es gibt diskriminierende Verhaltensweisen, die für sich genommen nicht schön aber auch nicht extrem schlimm sind. In der Summe dieser Verhaltensweisen durch viele Menschen liegt dann der Schaden für die Betroffenen. Jeder Mensch handelt manchmal unbewusst diskriminierend, so wie auch jeder Mensch mal Fehler auf der Arbeit macht oder mal was verletzendes zu Freund:innen sagt.

Es gehört zu einer guten Fehlerkultur, solche eher kleineren Diskriminierungs-Verhaltensweisen anzusprechen, wenn sie auftreten und dann etwas dagegen zu unternehmen, damit in Zukunft die Menschen von weniger Diskrinierung betroffen sind. Und es gehört auch zu einer guten Fehlerkultur sich dann nicht direkt persönlich angegriffen zu fühlen, wenn man auf einen Fehler angesprochen wird.

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Wie wäre es mit folgendem Vorschlag?

  • Wenn man auf sich auf Diskriminierung durch ein Individuum bezieht, sollte man sie individuell nachweisen.
  • Wenn man sich auf etwas Größeres bezieht (das System, die Gesellschaft, die Professorenschaft, etc.), sollte man strukturelle Diskriminierung nachweisen.

Gerade wenn es um internalisierte Denkmuster und Sichtweisen des Individuums geht, sind diskriminierende Einflüsse idR unbewusst. Insoweit würde ich folgern: Da gibt es keinen Vorwurf (im Sinne von (individueller) Schuld), aber Verbesserungsbedarf. Vorwerfen kann man, wenn Leute (v. a. solche mit Macht) sich Verbesserungen in den Weg stellen. Umso mehr, wenn es um strukturelle Verbesserung (z. B. vielleicht Rezensionsregeln von Verlagsseite?) geht.

Bevor man Verbesserungsvorschläge diskutiert, sollte festgestellt werden, ob und was für ein Problem es gibt. Insofern ist eine Diskussion über Rezensionsregeln u. ä. wohl zu früh. Aber ich finde es gut, dass die Diskussion geführt wird, ob, wo, welche Diskriminierung es gibt.

Wenn jemand mit Rezensionsregeln u. ä. ankommt, wird wahrscheinlich jemand anders mit der Meinungsfreiheit kommen. Was haltet ihr davon?

Mal zur Examensbenotung:

  1. https://www.towfigh.net/de/veroeffentlichungen/zur-benotung-in-der-examensvorbereitung-und-im-ersten-examen-eine-empirische-analyse.html

  2. https://www.mohrsiebeck.com/artikel/geschlechterunterschiede-in-der-ersten-juristischen-pruefung-befunde-und-hypothesen-101628002268816x14556107009478?no_cache=1

  3. Geschlechts- und Herkunftseffekte bei der Benotung juristischer Staatsprüfungen – Prof. Dr. iur. Emanuel V. Towfigh


Eine Quelle von sachfremden Einflüssen auf die Benotung im schriftlichen Teil könnte (vielleicht sogar insbesondere?) sein, dass die Klausuren mit der Hand geschrieben werden. Da gibt es vermutlich keine Untersuchung zu, aber mir erscheint eine unbewusste Diskriminierung plausibel. Denn die Handschrift ist höchst individuell und auch schwierig zu verändern.
Es ist auch überprüfenswert,

  • ob es Handschrift-Eigenschaften gibt, die mit Bevölkerungsgruppen korrelieren,
  • und ob es strukturelle Diskriminierungen auf Grundlage der Handschrift gibt.

Towfigh et al. (2018) sagen zu Handschrift in Fn. 6:

Mit Blick auf die Frage, inwiefern man bei handschriftlichen Klausuren davon ausgehen kann, dass sie Rückschlüsse etwa auf Geschlecht und Herkunft nicht zulassen (wie Hinz und Röhl vertreten), verweisen wir auf unsere Ausführungen in der vorangegangenen Studie. Wir sind nach wie vor der Auffassung (und fühlen uns aus zahllosen Gesprächen mit Kollegen in unserer Auffassung bestätigt), dass die Handschrift in gewissem Umfang Rückschlüsse auf Geschlecht und Herkunft zulässt. Unser Vorschlag, auch diese Frage wissenschaftlich zu untersuchen, wurde vom Ministerium der Justiz NRW leider nicht aufgegriffen, so dass hier belastbare Evidenz nach wie vor fehlt.

Und am Ende:

VI. Zukünftige Forschungsansätze

Im Interesse eines objektiven Prüfungsverfahrens und des Erreichens größtmöglicher Chancengleichheit liegt es nahe, den Ursachen einer (bewussten oder unbewussten) Diskriminierung auf den Grund zu gehen und zu ergründen, inwieweit unerwünschte Einflüsse auf die Benotung wirken. Dies könnte zum Beispiel dadurch erreicht werden, dass Stichproben von Prüferinnen und Prüfern „virtuelle Prüflinge“ auf der Basis der realen Anforderungen beurteilen (z.B. durch Korrektur einer identischen Klausur in unterschiedlichen Handschriften). Ein solches Verfahren könnte Aufschluss geben über die Reliabilität der Messung der Leistung durch Prüfungsnoten, aber auch helfen, die Frage der Kausalität von Diskriminierung zu beantworten.

Die „Ausführungen in der vorangegangenen Studie“, d. h. in Towfigh et al. (2014), sind:

Zwar werden die Klausuren unter einer Kennziffer geschrieben, so dass die Prüfer nicht über die Namen auf das Geschlecht der Kandidaten schließen können; allerdings könnte etwa die Handschrift entsprechende Hinweise liefern und unterbewusst wirken.

Vielen Dank erstmal für die Studie, die ich als Prüfer im ersten Exmane mit einem Satz Klausuren auf meinem Schreibtisch jetzt erst einmal vor der Korrektur lesen werde.

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Das ist ein wichtiger und richtiger Hinweis. Das habe ich nicht bedacht. Es wäre wirklich ein guter Schritt aus dem Vorwurfs- und Verteidigungsmodus heraus in eine sachlichere Diskussion zu kommen. Ich denke aber, dass eine „Beweislastumkehr“ sie hier gefordert wurde da nicht hilfreich ist, sondern nur eine Forschung nach Ursachen und Wirkungen.

Ich fürchte, die geforderte „Sachlichkeit“ stößt hier schnell an ihre Grenzen, weil es bei sexistischem und misogynem Verhalten meist um zwischenmenschliche Beziehungen und sehr häufig und Machtverhältnisse und -Strukturen geht. In der Praxis läuft der Verweis auf vermeintliche Sachlichkeit häufig darauf hinaus, dass von Betroffenen dieses Verhaltens gefordert wird, Beweise vorzulegen und zudem die vermeintliche Entwürdigung durch die Kritik an einem solchen Verhalten mit der des Verhaltens selbst auf eine Stufe gestellt wird. Sprich: Die Entscheidung, was sachlich ist und was nicht, ist in der Praxis häufig alles andere als objektiv. Die Forschung nach Ursachen und Wirkungen ist auf jeden Fall unterstützenswert, aber auch die erfordert ja das Eingeständnis aller, dass sexistisches und misogynes Verhalten eine verbreitete gesellschaftliche Praxis ist und eben nicht nur „Ausnahmen“ oder „Einzelfälle“. Nichts anderes meinte ich mit einer gesellschaftlichen Beweislastumkehr.

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