Mir geht es in diesem threat (wohl ehrlicherweise einmal mehr) darum zu verstehen, was - und vor allem wen! - die FDP mit ihrer Politik erreichen will, exemplifiziert am jüngsten Beispiel.
Die Landtagswahlen im Osten haben ja eigentlich gezeigt, dass insbesondere die FDP für ihre derzeitige Politik in der Bevölkerung keinerlei Rückendeckung findet. Ich war also sehr gespannt, wie die FDP da jetzt drauf reagieren würde.
Und der erste (zumindest medial zu mir durchgedrungene) Vorschlag von Lindner ist jetzt: Die telefonische Krankschreibung soll abgeschafft werden: "Er wolle niemandem vorwerfen, die Regelung auszunutzen, so Lindner. Es gebe aber leider „eine Korrelation zwischen dem jährlichen Krankenstand in Deutschland und der Einführung der Maßnahme, die als guter Bürokratieabbau gedacht war“.(Telefonische Krankschreibung: Wird die Regelung missbraucht? - ZDFheute) Aha, er will niemandem Vorwerfen das auszunutzen, aber er tut es einfach trotzdem.
Inhaltlich ist seine Aussage in dem zdf-link oben eigentlich schon ziemlich gut debunked worden. Der Anstieg der Krankschreibungen beruht vor allem auf der lückenloseren, elektronischen Erfassung der Krankschreibungen seit der Reform. Darüber hinaus gibt das RKI an, dass es nach der Coronapandemie einfach immer noch „Aufholerkrankungen“ gibt, da die Immunsysteme einfach einige Erreger länger nicht gesehen haben. Also die aus dem FDP Weltbild herrührende Vorstellung, die allen Menschen unter einem Vermögen von 1 Millionen Euro erstmal das schlechtestmögliche unterstellt, ist ganz offensichlich mal nicht angebracht. Mit anderen Worten: Die von Lindner ausgemachte Korrelation scheint auf keiner Kausalität zu beruhren.
Was mich daran besonders ärgert: Es ist halt wieder so ein aus Lindners Arbeitgeberbubble in Berlin stammender Vorschlag, der einfach an der Lebenswirklichkeit einer ganzen Reihe von Menschen in Deutschland absolut vorbei geht (#LustaufdieÜberstunde). Zum Beispiel jener der Ärzte, deren Interessensverbände ziemlich unisono sagen: "Verbandschef [des Hausärtinnen- und Hausärzteverbands] Beier warnte dagegen vor der Gefährdung einer Regelung, „die unsere Praxen wie auch unsere Patientinnen und Patienten gerade in den extremen Infektmonaten entlastet und eine der wenigen politischen Maßnahmen ist, die aktuell wirklich Bürokratie reduziert.“ (Telefonische Krankschreibung: Hausärzte üben Kritik an Christian Lindner)
Es hat Bürokratie reduziert, müsste da Lindner nicht mit den anderen FDPler ums goldene Kalb tanzen? Natürlich nicht, denn Bürokratie muss immer nur dann reduziert werden, wenn sie droht, Besserverdienern etwas wegzunehmen, oder - igitt - Geringverdienern etwas zu geben.
Vor allem im ländlichen Raum, wo die Versorgung mit Arztpraxen (aber auf Post, ÖPNV etc.) sowieso schon aufs Limit reduziert ist, erscheint die Wiedereinführung dieser Mehrbelastung einfach nur verrückt. Ganz ohne Witz, im ländlichen Niedersachsen sieht die Realtiät bei einigen Hausärzten so aus:
Wichtiger Hinweis: Aufnahmestopp!! Wir nehmen wegen Überlastung keine neuen Patienten mehr auf und bitten Sie dringend, von Nachfragen, abzusehen! Bitte blockieren sie nicht unsere ohnehin schon überlasteten Telefonleitungen, und kommen Sie auch nicht persönlich in die Praxis: wir haben keine Plätze für Neupatienten! (https://www.praxis-ahlwes.de/) Das ist keine Parodie, sondern Realität.
Wie genau stellt sich denn der Herr Lindner vor, dass die Praxen jetzt wieder noch mehr Leute im Wartezimmer unterbringen sollen? Der Mangel an Landarztpraxen ist ja nun auch seit bestimmt knapp 10 Jahren ein bekanntes Phänomen und ich bin ganz froh, dass der niedersächsische Gesundheitsminister Lindners Forderung auch sofort als fehlgeleitet verurteilt hat. (Niedersachsen gegen Abschaffung telefonischer Krankschreibung | NOZ)
Ich frage mich wirkllich: Was genau bezweckt die FDP mit diesem Vorstoß? Klar adressiert dies das Bedürfnis der arbeitgebenden Klientel, dass das faule Pack ins Büro kommt und dann bestenfalls steuerfreie Überstunden schiebt. Aber der ganze Rest kann doch nur mit dem Kopf schütteln. Die FDP steht bei den Umfragen zur Bundestagswahl gerade bei 4%. Wie genau sollen solche Vorstöße den Einzug in den nächsten Bundestag sichern? Oder übersehe ich hier irgendeine Mastermindstrategie von Lindner?