Prostitution in Deutschland und Hamburgs Rolle im internationalen Menschenhandel

Ich fände es super, wenn dieser Diskurs in Deutschland mal angeregt würde. Dieses Thema scheint mit EMMA Abonnentinnen vergraben worden zu sein und es ist wirklich ein riesengroßes Thema, direkt unter unserer Nase, und nur die ärmsten der Armen durchleiden die Konsequenzen.

Zu den Thema bin ich kürzlich über einen Artikel gestolpert (paywalled).
Eine ehemalige Prostituierte erzählt, wie das schwedische Gesetz, nachdem sie durch 10 Staaten gereicht worden war, ihr geholfen hat, aus der Spirale auszubrechen.
Eigentlich geht es mir aber darum:

Über Deutschland spricht sie im Ton der Verwunderung. „Ich habe nirgends sonst so viele Prostituierte gesehen. Und alle tun so, als sei das eine normale Tätigkeit, so was wie Wassertrinken.“ Sie erzählt von einem Düsseldorfer Bordell, in dem sie nonstop arbeiten musste, nur um die Zimmermiete wieder reinzubekommen. Von dem „ekligen Mann“, der dort triumphierend rief, er könne mit ihr machen, was er wolle, und der damit „leider recht hatte“. Von einem Swingerclub in Berlin, in dem sich sechzig Männer zwei Frauen teilten.
Prostitution in Schweden: Sex kaufen verboten - SZ.de

Meine persönliche Meinung zu dem Thema war immer, seitdem ich mich als Sozialarbeiter im Studium mit dem Thema beschäftigt habe, dass es sich um ein hoch-komplexes Problem handelt, dass nicht über das Strafrecht gelöst werden kann.

Die Frage nach der Strafbarkeit in’s Zentrum der Debatte zu stellen halte ich schlicht für falsch. Prostitution gibt es überall - selbst dort, wo es bei Todesstrafe verboten ist (siehe Iran). Die Prostitution ist eben wirklich so alt, wie die menschliche Zivilisation, sie deckt ein Bedürfnis (so sehr wir es auch ablehnen mögen) und dieses Bedürfnis wird im Zweifel immer gedeckt werden. Aus diesem Grunde halte ich die strafrechtliche Situation, wie sie in Deutschland ist (Prostitution legal für Prostituierte und Kunden), für sinnvoll, das nordische Modell für akzeptabel (Prostitution für Prostituierte legal, für Kunden illegal) und das konservative Modell (Prostitution für alle Beteiligten illegal, siehe viele US-Bundesstaaten) für absolut problematisch.

Das Problem wird immer sein, dass eine komplette Illegalität der Prostitution wie in den USA dazu führt, dass die Prostitution sich völlig staatlicher Kontrolle entzieht. Die Probleme mit Menschenhandel und Missbrauch sind in den konservativen US-Staaten nicht geringer als in Deutschland, obwohl es das gegengesetzte Modell ist. Schweden versucht darüber, dass die Prostitution für die Frauen legal ist, die Prostitution im Einflussbereich der staatlichen Kontrolle zu halten, aber wenn Prostituierte wissen, dass ihre Kunden illegal handeln, kann man sich denken, dass das auch nicht wirklich funktioniert, dass auch da viel im Dunkeln ablaufen wird.

Wenn wir den Prostituierten helfen wollen - das ist zumindest meine Überzeugung - können wir das nicht über Strafgesetze erreichen. Auch Strafgesetze gegen die Kunden treffen die Prostituierten. Gerade gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution würde es in erster Linie helfen, den davon betroffenen Hilfeleistungen zu gewähren, also eben Schutz, ein Bleiberecht und Sozialleistungen in Aussicht zu stellen, wenn sie sich an die Behörden wenden (und im Idealfall kooperieren, die Hintermänner strafrechtlich zu belangen). So lange diese Menschen befürchten müssen, abgeschoben zu werden, sobald man sie entdeckt, haben diese Menschen keine Chance, aus der Zwangsprostitution heraus zu kommen.

Zwangsprostitution und Menschenhandel sind auch jetzt schon illegal, das Argument, dass die Legalisierung der Prostitution diese illegalen Bereiche stärken würden, lenkt davon ab, dass wir einfach zu wenig gegen diese illegalen Bereiche tun, auch, weil wir den Opfern zu wenig Goodwill entgegen bringen…

5 „Gefällt mir“

Tatsächlich habe ich aus diesem Grund auch die Legalisierung begrüßt.
Mittlerweile bin ich aber skeptisch, gerade, weil man damit gegen den Menschenhandel keinen Hebel mehr hat.
Du siehst einer Prostituierten nicht an, ob sie das freiwillig macht. Dazu kommt, dass das meiste eben über Gatekeeper läuft und diese aus traditionellen Gründen in den Händen des organisierten Verbrechens liegen.
Der Staat müsste hier erst mal in Vorleistung gehen und eine Vertrauensstelle für kontrollierte Anbieter schaffen, um den nicht vertrauenswürdigen das Wasser abzugraben.
Aber da fürchtet man vermutlich, dem Thema das Etikett der Normalität zu geben, das es zwar verdient hat, aber dem die Bevölkerung das nicht so zugestehen möchte.

Ich kann vielem in deinem Beitrag zustimmen, aber diese Argumentation finde ich wenig überzeugend. Wenn ich im zitierten Text „Prostitution“ durch „Mord“ ersetze, ist er immer noch genauso richtig. Aber ich vermute mal, du würdest nicht dafür argumentieren, die Strafbarkeit von Mord abzuschaffen…

Der zentrale Unterschied ist, dass Mord sich immer gegen die Interessen des Ermordeten richtet. Abgrenzen davon kann man die Diskussion über Sterbehilfe (also „Tötung“ statt „Mord“), da wird das ganze auch wieder sehr viel differenzierter.

Auch wenn ich davon ausgehe, dass der absolute Großteil der Prostituierten der Prostitution eher aus
a) direkten Zwang (Menschenhandel, Zwangsprostitution)
b) indirekten Zwang (Mangel an Alternativen, Mangel an Ausbildung usw.)
der Prostitution nachgeht, muss ich akzeptieren, dass es Fälle gibt, in denen Prostituierte nachvollziehbar und glaubhaft argumentieren, dass sie diesen Job tatsächlich machen, weil es für sie ein einfacher, gut bezahlter Job ist. Das betrifft natürlich vor allem die „Edelprostitution“ und weniger die „Straßenprostitution“. In diesen Fällen fällt es mir als sehr gesellschaftsliberal eingestellten Menschen schwierig, ein allgemeines Verbot auszusprechen. Wir können uns denke ich darauf einigen, dass wir eine Welt wollen, in der es jedem Verboten ist, zu morden. Aber können wir uns darauf einigen, dass wir in einer Welt leben wollen, in der es Menschen verboten ist, Geschlechtsverkehr für Geld anzubieten, selbst wenn beide Beteiligten an diesem Geschäft es wirklich wollen?

Die nächste Frage wäre dann: Wo ziehen wir die Grenze der Prostitution? Muss der Freier immer eine Kamera mitlaufen lassen, damit er das als legale Porno-Produktion verkaufen kann - oder wollen wir Pornographie gleich mit verbieten, weil hier ja auch Menschen für Geschlechtsverkehr bezahlt werden?

Dazu kommt, dass ich tatsächlich auch ein Problem mit der Sonderstellung habe, die wir der Sexualität teilweise zubilligen. Das ist für mich oft zu religiös-moralisch gedacht. Wenn ein Mensch eine lockere Sexualmoral hat und es für eine gute Idee hält, damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sehe ich absolut keinen Grund, ihm das zu verbieten. Wichtiger ist mir aber eben, weil ich anerkenne, dass Sexualität diese Sonderrolle für viele Menschen hat, dass wir wirklich alles gesellschaftlich mögliche tun, um dafür zu sorgen, dass niemand in diesem Bereich arbeiten muss, der es nicht wirklich will. Und das schaffen wir meines Erachtens tatsächlich am besten, indem wir Prostitution stärker normalisieren und der gesellschaftlichen Kontrolle unterwerfen, statt sie zu tabuisieren und in die Kriminalität zu treiben, wo es logischerweise keinerlei Kontrolle geben kann.

Gerade weil in der Prostitution und der Porno-Industrie so viele Menschen mit Missbrauchserfahrungen arbeiten ist es daher meines Erachtens extrem wichtig, hier noch viel, viel mehr Sozialarbeit zu betreiben und auf diesem Weg sicher zu stellen, dass jeder, der in diesem Bereich arbeitet, stets weiß, dass er diesen Bereich verlassen kann, wann immer er ist will. Und das können wir nicht, wenn wir Prostitution kriminalisieren, weil die Zugänge für Sozialarbeiter und das Vertrauen in (i.d.R. staatlich finanzierte) Sozialarbeit dann einfach nicht mehr gegeben sind.

4 „Gefällt mir“

Ich würde nicht sagen, dass wenn in der Argumentation von @Daniel_K der Begriff „Prostitution“ durch den Begriff „Mord“ ersetzt werden würde, die Argumentation immer noch richtig wäre. Ein Mord befriedigt kein grundlegendes, menschliches Bedürfnis wie es die Prostitution mit der Befriedigung des Sexualtriebs tut. Während ein Sexualtrieb natürlich ist, ist ein Mordtrieb pathologisch.

1 „Gefällt mir“

Mich überzeugt die Argumentation im verlinkten Artikel nicht, wonach das Nordische Modell die Prostitution für Sexarbeiter sicherer macht als es der vollständigen Legalisierung gelingt. Angeblich soll das Sexkaufverbot dazu führen, dass sich Freier schämen, wenn sie sexuelle Dienstleistungen käuflich erwerben. Dieses Stigma besteht und bestand doch aber genauso in Deutschland. Ohne dass es die Freier gehindert hätte.

Zudem sei erwähnt, dass sich Menschenrechtsorganisationen wie die Human Rights Watch, Amnesty International und das Deutsche Institut für Menschenrechte, Frauenrechtsorganisationen wie der Deutsche Frauenrat, die Deutsche Juristinnenbund, die Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel, Sexarbeiterverbände wie BesD, Hydra, das International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe und Global Network for Sex Worker Projects sowie die Koordinierungsstelle gegen Menschenhandel und viele weitere Organisationen gegen ein Sexkaufverbot aussprechen. (Quelle)

Für mich ausschlaggebend ist, dass es durchaus Sexarbeiter gibt, die sich gegen das Nordische Modell aussprechen. Diesen würde aber durch ein Sexkaufverbot die Arbeit unnötig erschwert werden. Zudem würde es die Arbeit mE auch deutlich gefährlicher machen. Im verlinkten Artikel wird diese Tatsache mit dem „Argument“ beiseite gewischt, diese Personen würden nicht frei sprechen können, da sie ja von der Sexindustrie abhängig seien. Das überzeugt nicht.
Gleichzeitig ist für mich nicht ersichtlich, dass ein Sexkaufverbot eine wirksame Maßnahme gegen Frauen- und Menschenhandel sein kann. Wie die Autorin im Artikel zu diesem Schluss kommt, ist mir auch nicht ersichtlich. Vielmehr komme ich nach der Lektüre des Artikels zum Schluss, dass die Legalisierung und das Nordische Modell vergleichbar gut gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel wirken. Da aber das Nordische Modell auch die Sexarbeiter und Freier betreffen würde, die vollkommen einvernehmliche sexuelle Handlungen aneinander vornehmen, ist die Legalisierung zu befürworten. Sinnvoll erscheint mir, was @Daniel_K fordert.

4 „Gefällt mir“

Sexarbeiter_innen sprechen sich in der Breite gegen das nordische Modell aus.

Ich empfehle allgemein hierzu in erster Linie Sexarbeitende zu Wort kommen zu lassen. Die können nämlich durchaus für sich selber sprechen. Hier mal ein erster Einstieg vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.:

Im übrigen sind Sexarbeit (freiwillig) und Menschenhandel nicht das gleiche, die beiden werden in der Debatte aber oft gleichgesetzt und als Vorwand genutzt, gegen Sexarbeit und im Effekt eben auch gegen Sexarbeitende vorzugehen.

Ich zähle mehrere Menschen, die als Sexarbeitende (verschiedene Geschlechter, keineswegs nur Frauen) tätig sind oder waren, zu meinen Freunden und Bekannten und laufe jedes Jahr in Solidarität bei der örtlichen Demo zum Welthurentag mit.

Was bei diesen Demos auffällt, in denen sich selbstbewusste Vertreter_innen ihres Berufsfelds selbst feiern und Anerkennung ihrer Arbeit als Arbeit fordern, sind zum einen das Selbstbewusstsein und die Diversität der Sexarbeitenden, und andererseits die Gewalt und Verachtung, der diese Menschen durch Passanten und Anwohner ausgesetzt sind. Die Polizei hingegen ist meiner Beobachtung nach zu beschäftigt, entblößte Körperteile zu ahnden, als Demoteilnehmende vor Gewalt zuschützen.
Das scheint mir ein ganz gutes Abbild der Situation von Sexarbeitern zu sein.

Menschenhandel ist bereits illegal. Statt Konzepte zu entwickeln, wie dem beizukommen ist, werden immer wieder Sexarbeitende durch die Rufe nach Verboten in ihrer Existenzgrundlage bedroht.

Es kommt vielen Menschen offensichtlich unvorstellbar vor, Sex als Dienstleistung anzubieten.

Gesteht aber bitte Menschen, die selbstgewählt der Sexarbeit nachgehen, ihre Mündigkeit und Autonomie über ihren Körper zu.

Wer wirklich etwas für Sexarbeitende tun möchte, setzt sich am besten für eine Entstigmatisierung ein.

3 „Gefällt mir“

Man hat auch mit Legalisierung einen Hebel, dieser liegt aber eben nicht mehr nur bei Polizei und Justiz sondern auch bei Hilfsangeboten und Sozialarbeit.
Das Problem ist, dass wir alle wissen, welche dieser Bereiche in Deutschland eher (finanzielle) Mittel für ihre Arbeit bereitgestellt bekommt und welche nicht…
Daraus zu schließen, dass nur eine Kriminalisierung helfen würde, wäre aber zu kurz gegriffen, siehe auch die Argumente von @Daniel_K

1 „Gefällt mir“

Einer der ersten Folgen bei DLF nach Redaktionsschluss beschäftigte sich mit der Darstellung der Prostitution in den Medien.

[Nach Redaktionsschluss – Der Medienpodcast] Die Vorverurteilungsfalle - Über Sexarbeit berichten #nachRedaktionsschlussDerMedienpodcast
https://podcastaddict.com/nach-redaktionsschluss-der-medienpodcast/episode/138674892 via @PodcastAddict

Zum Gespräch eingeladen: eine Sexarbeiterin und eine Reporterin, die zum Thema „Prostitution. Ihre Regelung im schweizerischen Recht und die Frage der Sittenwidrigkeit“ promoviert hat. Beide äußern sich eher kritisch zur Darstellung der Prostitution in Deutschland.

Wenn ich mich richtig erinnere (es ist über ein Jahr her, dass ich das hörte) ging es auch um das nordische Modell, warum es auch keine Lösung ist und wie man Prostituierten wirklich helfen kann.

Mir ging es gar nicht um das nordische Modell, sondern den aktuellen Zustand in Deutschland.
Deutschland wird als „Bordell Europas“ bezeichnet, weil die Freier hier anarchische Verhältnisse vorfinden.
Ein Verbot ist sinnlos. Der Markt wird gewünscht und muss bedient werden. Genauso wie es beim Glücksspiel ist.
Wer ein Glücksspiel legal betreiben will, braucht eine staatliche Lizenz. Nun kann man darüber streiten, ob jeder europäische Staat diese Lizenzen richtig vergibt und kontrolliert, aber man hat eine Kontrollinstanz.
In der Prostitution gibt es das nicht. Wir haben Männer, die auf fragwürdigen Wegen Frauen einsammeln und unter ebenso fragwürdigen Bedingungen beschäftigen.
Es mag auch weiße Schafe darunter geben. Als Kunde, der faire Bezahlung möchte, habe ich keine Möglichkeit, diese herauszufinden. Das schadet dem Beruf als ganzes, vor allem den Frauen.

Ja, da liegt sicherlich einiges im Argen, gerade weil der Bereich der Prostitution eben historisch eng mit der Kriminalität verbunden ist. Genau deshalb wäre mehr staatliche Reglementierung definitiv sinnvoll. Für jeden anderen Beruf braucht man eine Ausbildung (meist sogar einen Meistertitel), wenn man einen Betrieb mit Angestellten betreiben will. Ein Bordell hingegen kann jeder betreiben. Das liegt unter anderen an der Stigmatisierung: Oder könnt ihr euch vorstellen, dass die IHK in Zukunft die Ausbildung zum Bordellbetreiber anbietet - das wäre aber nötig, um eine solche Ausbildung verpflichtend machen zu können. Zu solchen Ausbildungen gehört auch die Vermittlung der Arbeitnehmerrechte und der gesetzlichen Grundlagen, die in der Prostitution oft fehlen. Die erste Prostituierte in den Gewerkschaften gab es scheinbar schon 2001, aber zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gerade in diesem kritischen Bereich wäre es nötig, dass es viel, viel mehr gewerkschaftliches Engagement gibt - was schwer fällt, wegen der Stigmatisierung. Die Gewerkschaften machen gerne Info-Veranstaltungen bei kleineren Arbeitgebern, aber eben nicht im Bordell…

Viele der von dir genannten Missstände lassen sich aber tatsächlich nur mit mehr staatlicher Kontrolle und vor allem mehr Professionalisierung abseits der Kriminalität abbauen, mit mehr Normalisierung im Hinblick auf staatliche Vorgaben und Arbeitnehmerrechtevertretung in Form von Betriebsräten und Gewerkschaften. Verbote führen zum exakten Gegenteil dessen.

3 „Gefällt mir“

Das stimmt so aber ja nicht. Jeder kann ein Start-Up gründen, eine Bar oder einen Laden öffnen - vorausgesetzt, man hat die Mittel dazu. Durch verpflichtende Ausbildungen geregelt, sind in erster Linie die alten Zünfte (z.B. Handwerk) und Berufe im Gesundheitswesen.

Ich bin auch nicht sicher, ob ein Meisterlehrgang Bordellbetrieb das Problem der Arbeitsbedingungen lösen würde, zumal das öffentliche Bild idR von Bordellen ausgeht, eine Mehrheit von Sexarbeitenden aber Freiberufler sind.

Dies macht, denke ich, aich die gewerkschaftliche Representierung so schwierig. Viel zu wenige Gewerkschaften (mir fällt auf Anhieb tatsächlich nur die FAU ein) repräsentieren Arbeitskräfte jenseits von klassischen betrieblichen Anstellungsverhältnissen.

Deshalb halte ich Einrichtungen wie den Berufsverband als Interessenvertretung für Menschen in der Sexarbeit für wichtig und würde mir wünschen, ihm würde mehr Gehör geschenkt.

Was, glaube ich, die Etablierung von Standards im Bereich der Sexarbeit wahnsinnig schwierig machen dürfte ist, dass das Berufsfeld wahnsinnig heterogen ist. Es reicht von den viel besprochenen Bordellen, die aber als Betrieb, als eine Art „Co-Working“ auf Basis der Raumnutzung, als Kollektiv (ja, gibt es auch) betrieben werden. Es gibt Sexarbeiter insbesondere im Bereich BDSM, die ihre eigenen Studios betreiben; es gibt sexpositive bis explizit auf Sex ausgerichtete Clubs und Bars; es gibt jede Menge Freiberufler. Einige Sexarbeitende betreiben ihre Kundenakquise über’s Internet, einige nutzen den Straßenstrich, sind als Escort unterwegs, oder drehen parallel Porno, betreiben Only Fans Accounts oder schalten Zeitungsannoncen. Einige treffen Kunden in angemieteten Bordellzimmern, andere in Hotels, manche machen auch Hausbesuche, oder eine wilde Mischung.

Wenn man das Argument, dass es zwei mündigen, erwachsenen Menschen erlaubt sein sollte, sich freiwillig für Sex als Dienstleistung zu entscheiden, ernst nimmt, so muss auch Raum für Ausgestaltung dieser Tätigkeit gegeben sein, die so vielfältig sind, wie sexuelle Neigungen.

Zusammengefasst bin ich der Meinung, dass man selbstbestimmt Sexarbeitende stärken sollte, um ausbeuterische Praktiken zu verdrängen und Leuten, die in solchen feststecken, Alternativen zu bieten.

1 „Gefällt mir“

Ich dachte, auch in den Bordellen sind die meisten Freiberufler (sie mieten den Raum an und handeln dann selbst mit den Kunden den Preis aus), was dann allerdings sehr in Richtung Scheinselbständigkeit geht (kann man umgehen, indem man sie in den Bordellen Deutschlands herumreicht).
Tatsächlich aber ist es schwer da einen Einblick zu bekommen. In den Medien bekommt man nur einen kleinen Ausschnitt, wer ist schon bereit mit ihnen zu reden - und das sind dann natürlich auch die, die zur Stimmung der aktuellen Berichterstattung passen. Gerade die, die noch beschäftigt sind, können auch von den Portalbetreibern vorgeschickt worden sein. Und was hinzu kommt, was auch in Schweden kritisiert wurde, es gibt zu wenig Exit-Programme. Wenn die Sex-Arbeiterin nicht weiß, wie sie danach ihre Brötchen verdienen soll, macht sie, auch bei schlechten Arbeitsbedingungen, den Job eher weiter.

Das du einige kennst und ich den Bereich nur vom Hörensagen: wie schützt man sich da vor Zahlungsausfall? Ausweis und ladungsfähige Rechnungsadresse wird ja eher unüblich sein.

Für mich liest sich das, dass die deutschen Behörden vor allem Vertrauen aufbauen müssen. Eine Registrierung, die hier kritisiert wird, ist ja nichts schlechtes, sondern wichtiger Baustein. An anderer Stelle wird von erschwerter Gesundheitsversorgung geschrieben, hier sollte das deutsche und das nordische Modell Vorteile bieten, da die Sexarbeiterinnen ja gerade nicht kriminalisiert sind. Leider wurde da allgemein geblieben.
Grundsätzlich gehen mit der Aufnahme in den regulären Arbeitsmarkt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten einher. Das mag nicht jedem und jeder schmecken, gehört aber nun mal dazu.

Hier noch ein Artikel zur Ausbildung der Sexarbeiterinnen, wie @Daniel_K anregte.

Grundsätzlich würde mich eine Beleuchtung des sehr im dunklen liegenden Themas auch interessieren.

1 „Gefällt mir“