Produssische Tendenzen in Wahlen - her Georrgien

Unabhängig von der Frage wie regulär diese Wahl abgelaufen ist: wie stark ist der Einfluss Russlands auf Wahlen in den ehemaligen Sowjetrepubliken bzw Warschauer Pakt Ex-Mitgliedern?
Greifen hier prorussische Narrative? Wie wird der Westen wahrgenommen, vor allem in Bezug auf Sicherheitsinteressen angesichts der eher zögerlichen Unterstützung der Ukraine?

Entwickelt sich dadurch ggf die Tendenz, sich lieber mit Russland zu arrangieren als sich auf eine Unsichere Unterstützung durch EU oder „dem Westen“ zu verlassen?

Nicht ansatzweise so positiv wie wir uns das immer einreden. Die Anti-Europa-Kampagne hat ganz viel Aufmerksamkeit darauf fokussiert, was sich angeblich ändert würde Georgien in die EU streben.

Da hieß es dann, Georgien würde von Flüchtlingen überschwemmt weil die EU die Grenzen nicht sichern würde. Oder die georgische Wirtschaft würde erst einmal unter der Regulierungswut der EU leiden. Und Gesetze würden nicht mehr in Georgien für die Georgier gemacht, sondern von der EU vorgeschrieben, wodurch man nicht mehr autonom ist. Auch Genderthemen und die sexuelle Aufklärung in jungen Jahren waren Themen der Bewegung.

Es sind die gleichen Talking Points, die die Euroskepsis auch in der Eurozone befeuert.

Das kommt sehr darauf an, wen man fragt.
Da ich letztes Jahr selbst in Georgien war, kann ich sagen, dass ich nirgendwo(!) so viele Ukraine-, EU- und sogar NATO-Grafitti gesehen habe, wie in der Hauptstadt Tblisi. Im Westen des Landes, vor allem am Meer (z.B. Batumi), hingegen war die Bevölkerung deutlich pro-russischer eingestellt, weil dieses Gebiet seit Jahrzehnten von russischem Tourismus abhängt, daher die Russen vor allem als „Bringer von Devisen“ angesehen werden. In Batumi gab es jedenfalls so gut wie keine derartigen Grafitti mehr, es war ein Unterschied von Tag und Nacht. (ganz im Ernst: Man kann in Tblisi keine 100 Meter durch die Innenstadt gehen, ohne ein pro-westliches Grafitti zu sehen…)

Ja, natürlich führt die pro-russische Partei „Georgischer Traum“ alle Punkte auf, die auch Russland, Ungarn, Serbien und co. stets aufführen. Und natürlich muss sich die Bevölkerung entscheiden, ob sie in die EU wollen oder sich Russland unterwerfen wollen.

Wer in die EU will, wird mit mehr Multikulturalismus leben müssen, wer sich Russland unterwerfen will, wird mit einer stärkeren Russifizierung leben müssen. Zwei Seiten einer Medaille.

Wer in die EU will, wird EU-Regulierungen akzeptieren, dafür aber am EU-Binnenmarkt teilhaben, was i.d.R. zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führt (siehe Osteuropa), wer sich Russland unterwerfen will, wird in der Regel strategisch von Russland genutzt. Ob das besser ist, darf bezweifelt werden.

Wer in die EU will, wird einen Teil der Souveränität in rechtstaatlich kontrollierten Verfahren an die EU abgeben müssen, wer sich Russland unterwerfen will, wird sehr schnell gar keine Souveränität mehr haben, wenn Russland das nicht will. Gesetze „von Georgiern für Georgier“ wird es generell nur in einer Unanhängigkeit geben, aber wer daran nach dem russischen Angriff von 2008 noch glaubt, ist selber Schuld.

Wer in die EU will, wird mit einem modernen Bild von Sexualität leben lernen müssen (ja, die EU ist auch eine Wertegemeinschaft, auch wenn Ungarn das anders sieht…). Man kann wie Ungarn oder lange Zeit auch Polen versuchen, dagegen anzukämpfen, aber langfristig wird man sich öffnen müssen. Wer sich Russland unterwerfen will, darf sein antiquiertes Familienbild behalten, aber die LBGTQI-Minderheiten werden massiv unterdrückt.

Natürlich setzt die pro-russische Politik in Georgien die gleichen Argumente ein, wie Russland oder Ungarn, ebenso wie die pro-europäische Politik in Georgien dem eben das westliche Weltbild entgegen setzt. Letztlich muss das Volk entscheiden, welcher Seite es sich zuwenden will, so lange es diese Wahl noch hat - denn wendet man sich jetzt von Europa ab, weil man sich einbildet, unabhängig bleiben zu können, kann es sehr schnell Russland sein, dass diese Entscheidung für Georgien fällt.

Zur Wahl selbst:
Wenn es eine erhebliche Diskrepanz zwischen Nachwahlumfragen und dem Wahlergebnis gibt und zudem auch unabhängige Beobachter etliche Verstöße feststellen ist es nur folgerichtig, das Ergebnis nicht anzuerkennen, möglicherweise gar die Opposition als rechtmäßige Vertreter Georgiens anzuerkennen (natürlich nur, wenn das von der Opposition gewünscht ist, weil sie darum kämpfen möchte). Dass die Wahl fair abgelaufen ist, ist nach allem, was wir aktuell wissen, eher unwahrscheinlich.

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Ich bin mir nicht sicher, ob du meinen Post in die richtige Schublade einsortiert hast. Ganz sicher wollte ich nicht das Wahlergebnis als korrekt darstellen oder Russland aus der Verantwortung lassen.

Die Wahl ist aller Voraussicht nach manipuliert und das Ergebnis sollte nicht zählen. Offen ist allerdings wie stark das Ergebnis verändert wurde. Wenn man die Wahl als Stimmungstest fürs pro-EU Lager ansieht, dann reicht meines Erachtens ein mögliches Quorum knapp über 50 % (bei einer großen Nichtwählerquote) für einen solchen weitreichenden Schritt nicht annähernd aus. Selbst eine Zwei-Drittel-Quote wäre hart an der Grenze. Und ob man die in Georgien erreichen könnte bezweifle ich doch ganz deutlich, denn es gibt, ähnlich wie 2013 in der Ukraine, sehr große Teile der Bevölkerung, die eher russlandnah sind.

Mir kommt es nur so vor als würden wir im Westen die EU und unsere Lebensweise gerne als No Brainer glorifizieren. Dein Post ist auch so ein Beispiel dafür. Da gibt es nur Unterwerfung unter Russland vs glorreiche Zukunft. Das ist aber eine recht überspitzte Darstellung (vor allem der glorreichen Zukunft), der bestenfalls progressive Europäer so zustimmen würden. Selbst konservative Europäer hätten mit der Darstellung deutliche Störgefühle.

Mich erinnert das an die Verheißungen, die der Wende voraus gingen und die manche heftigst enttäuscht zurück ließen, während die Westdeutschen, ob der fehlenden Dankbarkeit der Ossis sich verwundert und empört die Augen rieben.

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Nun, wenn man Georgien sieht, gibt es da wohl sehr deutlich beide Lager, im ländlichen eher prorussisch, in Städten eher Pro-EU.

Nimmt man noch BRICS dazu, fahren einige Staaten wie Brasilien und Indien durchaus zweigleisig. Selbst NATO-Mitglied Türkei bewirbt sich dort um Aufnahme. Wer weiß was Ungarn noch tut.

Also offenbar gibt es nicht mehr dieses „entweder Westen oder Russland“, eher ein „sowohl-als auch“, um sich beide Türen offen zu halten.

Zumindest der „Westen“ scheint an absoluter Attraktivität und Glaubwürdigkeit eingebüßt zu haben, so mein Eindruck

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Ich habe Daniels Beitrag vor allem als Hinweis darauf gelesen, dass es nicht die georgische Sichtweise gibt, sondern eben zwei sehr unterschiedliche: eine prorussische und eine prowestliche.

Das in Europa und „im Westen“ nicht alles Gold ist, was glänzt, ist sicherlich richtig, die Frage ist aber, ob das wirklich etwas ist, was die Wahrnehmung des Westens dominant prägt - und zwar unabhängig von den beschriebenen zwei Lagern.