In der neuen Folge der Lage wurde (ab Minute 23) kurz das Problem von sehr großen Koalitionen/geduldeten Regierungen insbesondere in Thüringen (CDU/BSW/SPD/Linke gegen AfD). Zum einen wird die Regierungsfähigkeit in Zukunft immer schwieriger werden und aus demokratietheoretischer Sicht ist es problematisch wenn sich eine einzige Partei in der Opposition befindet während mehrere andere Parteien eine Regierung stellen, bei der sie sich weitestgehend selbst blockieren und ihre Politik nicht ansatzweise zur Geltung kommt.
Jetzt meine Frage: Was würde (abgesehen von der rechtlichen Umsetzung) dafür/dagegen sprechen Regierungen in Zukunft nach relativer statt absoluter Mehrheit im Landtag/Bundestag gewählt werden?
Also es würde die größte Koalition (die sich auf eine solche geeignigt bekommt) regieren. Statt der absoluten Mehrheit der Sitze im Parlament bräuchte sie nur mehr Sitze als jede andere Koalition (die die Parteien bilden würden).
Das würde die Regierungsfähigkeit sichern, die Mehrheit gegen eine antidemokratische Partei würde ebenso bestehen bleiben und es wirkt auf den ersten Blick nicht sonderlich undemokratisch (korrigiert mich gerne, wenn ich falsch liege).
Wenn wie in Thüringen die AfD dann 31,8% hat und die CDU kommt mit SPD auf 31,2%, weil sie Koalitionen mit Linke, BSW für unvereinbar hält……wer hat dann die relative Mehrheit?
Im Zweifel der, der den Ministerpräsidenten stellt.
Ansonsten steht es auch der Opposition frei, Anträge einzureichen und sich dafür die nötigen Mehrheiten zu besorgen.
Wenn die Parteien mal über ihren Schatten springen und konstruktiv zusammenarbeiten, halte ich eine Minderheitsregierung für möglich und wäre in der Lage durch die Vielfalt der Parteien gute Dinge auf den Weg zu bringen.
Das ist schon jetzt rechtlich möglich. In der Regel ist es der dritte Wahlgang, ab dem eine relative Mehrheit reicht, um den Ministerpräsidenten zu wählen. Und auch die meisten Abstimmungen danach werden mit relativer Mehrheit entschieden.
Ist das nicht ohnehin bereits üblich, wenn genügend viele Wahlgänge scheitern? Ich weiß nicht, wie das in jedem Bundesland aussieht, aber zumindest in der sächsischen Verfassung steht:
Das Problem liegt auf der Hand. Das Abgeordnetenmandat ist frei. Wenn es auch relativ selten vorkommt, so muss doch jeder Mandatsträger nach seinem Gewissen entscheiden, ob er ein Gesetz mitträgt oder nicht. Wenn nun mehr Stimmen gegen ein Gesetzesvorhaben abgegeben werden, dann kann man nicht einfach sagen, weil die Stimmenanzahl einer relativen Koalitionsmehrheit erreicht wurde, gilt es als beschlossen, obwohl eine Mehrheit der Abgeordneten dagegen gestimmt hat. Das wäre dann ja der Regelfall, sodass Gesetze mit Minderheitsvotum als verabschiedet gelten würden. Das ist jedoch mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar.
Nimm einfach mal an, etwas wird in geheimer Abstimmung zur Wahl im Parlament gestellt. Eine ‚Koalition‘ verfügt über 44 von 88 Abgeordneten. Nun stimmt eine Koalitionsabgeordnete dagegen, aber ein Oppositionsabgeordneter dafür. Dann wäre ein Gesetz ja beschlossen, obwohl die Koalitionsabgeordneten nicht voll dahinterstehen und es keine mehrheitliche Befürwortung gibt.
Es muss aber schon so sein, dass eine absolute Mehrheit der an einer Parlamentsabstimmung Teilnehmenden, das habe ich jetzt ganz bewusst so formuliert, für die Verabschiedung eines Gesetzes oder Gesetzespaketes ist. Ansonsten würde die prinzipielle Freiheit des Mandates ad absurdum geführt.
Eine fallweise Bildung absoluter Mehrheiten der Anwesenden muss immer möglich bleiben, sonst würde das Einzelmandat entwertet.
Wenn, wie im genannten Beispiel, die Anzahl der Gegner genauso groß ist wie die Zahl der Befürworter, dann kann man schlecht sagen, dass ein Gesetz trotzdem als verabschiedet gilt. Erst recht ist das der Fall, wenn die Anzahl der Gegner größer ist als die der Befürworter, was nach deinem Modell ja möglich wäre.
Wenn die Ablehnung gleich groß ist oder sogar überwiegt, kann man schlecht sagen, es sei trotzdem demokratisch abgesegnet worden.
In einigen Ländern gibt es einen Mandatebonus für die stärkste Partei. Das halte ich nicht für demokratisch, da der Wählerwille dadurch verzerrt wird,
Der Fall einer tolerierten Minderheitsregierung bleibt davon unbenommen.
Naja - es würde die Regierungsbildung ermöglichen - was wie gesagt heute schon geht. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass man auch regierungsfähig ist. Denn, dass die Regierung die notwendigen Mehrheiten für Abstimmungen über z.B. Gesetze zusammen bekommt ist dann ja auch bei völliger interner Einigkeit alles andere als gesichert.
Das funktioniert auch nur, solange sich die Union sich noch halbwegs in Schlagdistanz zur AfD befindet. Ansonsten könnte es hier auch ganz schnell zu einer ein Partein Regierung kommen.
Und grundsätzlich könnte das System dann von allen ausgenutzt werden. Die stärkste Partei müsste nur behaupten, sie konnte leider eine Koalition bilden, somit müssen man alleine regieren.
Wenn sich das Parteinsystem noch weiter aufsplitet (siehe z.B. die Niederlande), bekommst man dann vielleicht irgendwann Regierungen mit 20-30% der Stimmen. Mit dieser Regelung würden noch weniger Menschen von einer Regierung represäntiert werden. Ob man damit die Unterstützung für die Demokratie fördert, würde ich stark in Zweifel stellen.
Die Frage, die sich mir halt stellt ist: Inwiefern leidet die Demokratie unter Koalitionen, die von den Wählern nicht befürwortet werden?
Beispielsweise hat die CDU/SPD/BSW-Koalition in Sachsen nach Umfragen die Zustimmung von nur 52% der BSW-, 37% der CDU- und 26% der SPD-Wählenden.
Natürlich ist das hier gar nicht relevant für die Regierungsbildung an sich, aber auf lange Sicht sind solche Koalition sicherlich nicht förderlich für eine Demokratie. Sie verlieren vermutlich auch sehr schnell (s. Ampel) an einer tatsächlichen Mehrheit in der Bevölkerung.
Der Durchschnittswähler der CDU/Linken sieht sich eben nicht in einer Koalition mit der jeweilig anderen Partei repräsentiert.
Oder kurz die Regierung hat eine Mehrheit im Parlament, aber (nach Empfinden der Bevölkerung) keine Mehrheit in der Bevölkerung.