Priorisierungskriterium Impfstatus

Hallo liebes Lageforum, liebes Lageteam,

mich interessiert, seit in Bayern und Sachsen die Intensivstationen überlaufen, das Thema der Priorisierung von Patienten für Intensiv. Von Seiten der Mediziner kommt immer die klare Aussage (z.B. NDR Corona Update mit Christian Karagiannidis) dass der Impfstatus bei der Priorisierung von Patienten keine Rolle spielt. Politisch hört man darüber eigentlich nichts, bis auf die üblichen Ausreißer wie Boris Palmer.

Ich finde es merkwürdig, dass dieses Thema nicht ernsthaft diskutiert wird (zumindest in meiner Bubble), sondern wenn es aufkommt mit der Argument der „Humanität“ vom Tisch gewischt wird. Das ist mir in einer Situation, in der leider zunehmen entschieden werden muss, welchen Patienten ich leider gerade nicht optimal / (recht)zeitig versorgen kann, ein bisschen einfach.

Man mag nun argumentieren, dass man ja auch Raucherinnen mit Lungenkrebs, Basejumperinnen mit schweren Verletzungen und überdosierte drogensüchtige Menschen behandelt. Das ist richtig, diese Gruppen haben uns allerdings bisher nicht in die Situation der Katastrophenmedizin geführt.

Eine gewisse Parallele sehe ich in der Transplantationsmedizin, ein Bereich in dem der Mangel an transplantierbaren Organen ja ständig ein Problem darstellt. Die persönliche Lebensführung, wie Alkoholkonsum zum Beispiel, kann hier zu einer niedrigeren Priorisierung führen.

Ich würde mich daher eure Ansichten dazu freuen, warum der Impfstatus für eine Priorisierungsentscheidung nicht taugt.

Vielen Dank und liebe Grüße

Auch (oder vielleicht besser: Gerade) in der Katastrophenmedizin gilt prinzipiell, dass nach Triage die am schwersten Verletzten/Kranken zuerst behandelt werden. Nach Kriegsrecht muss ein Sanitäter auf dem Schlachtfeld den schwerer verletzten Kombatanten der Gegenseite zuerst behandeln. Auf der Autobahn wird entsprechend gegebenenfalls der alkoholisierte Geisterfahrer vor der alleinerziehenden Mutter, in dessen Kleinwagen er gefahren ist, medizinisch versorgt.

Im berühmten letzten Bett der Intensivstation lag auch schon vor Corona oft ein*e Patient*in, die da eigentlich gut noch eine Nacht hätte bleiben können, das Bett aber dann dringender gebraucht wurde.

Das Grundprinzip gilt in jeder Notaufnahme und ist ein wichtiger Bestandteil ärztlicher (oder medizinischer) Ethik, Verantwortung für den eigenen Zustand (oder eben sogar den anderer) spielen hier keine Rolle.

Neu ist der für viele Menschen erstmals sichtbare und in diesem Ausmaß sicherlich seit Jahrzehnten beispiellose Mangel an medizinischen Versorgungskapazitäten.

Natürlich tut es extrem weh, wenn Menschen zu schaden kommen, die wenig für ihre Situation können, vor allem wenn es gerade gar nichts mit Corona zu tun hat und eher in den Bereich der Kollateralschäden geht. Deshalb an diesen Prinzipien zu drehen finde ich aber schwierig, da ja so oder so Menschen sterben (und auch nicht jede*r ungeimpfte Covid-Parient*in aggressiv schwurbelt).

Ich habe keine abschließende Antwort auf deine Frage, aber hoffe sie ein bisschen eingeordnet zu haben.

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Das Klinikum Augsburg hat das Thema triage durchgespielt.
Problem ist die fehlende Rückendeckung durch die Politik.
Im Fall einer triage soll ein Rat eingesetzt werden, der die Überlebenschancen bewertet.
Der Patient mit den geeingsten Chancen soll im besten Fall in Absprache mit den Angehörigen Sterbehilfe bekommen, damit macht sich der Arzt aber strafbar. Und das zeigt das Dilemma. Würde ein Gericht eher Milde walten lassen, wenn der Arzt argumentiert, dass er das Leiden eines Menschen verkürzt hat, der sowieso schon schwer krank war oder wenn er argumentiert, dass er als Nichtgeimpfter ja selbst schuld sei an seiner Situation?

Eine Art von Triage haben wir ja eigentlich schon indem z.B. Brustkrebs OPs aufgeschoben werden.

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Ich bin nicht vom Fach, aber ich glaube, ein*e Notfallmediziner*in hat in der Situation einfach Besseres zu tun als herauszufinden, ob die schwer verletzte Person vor ihr nun geimpft ist oder nicht. Wie soll man das auch herausfinden, wenn da jemand bspw. weder Impfpass noch Handy dabei hat?

Bei einer Verlegung eines*einer Corona-Patient*in auf die Intensivstation von einer anderen Station, hatte man dafür vielleicht Zeit, aber auch da: So funktioniert unser Gesundheitssystem nicht. Ärzt*innen müssen helfen, ohne Ansicht der Person.

Und das finde ich auch richtig so. Ich bin ja nun wirklich endlos genervt von den (meisten) Impfverweiger*innen, aber eine Situation in der denjenigen dann eventuell eine lebensrettende Behandlung zugunsten einer eventuell weniger gefährdeten geimpften Person verweigert wird, möchte ich mir auch nicht vorstellen. Erst recht, weil die Sache mit geimpft/ungeimpft gerade mit dem Impfstatus der Geimpften-aber-nicht-geboosterten (und den Genesen-und-nur-einmal-geimpften und den Gerade-lang-genug-Genesenen-und-noch-nicht-Geimpften, etc. pp.) noch mal unübersichtlicher wird. Da stünde das medizinische Personal bei jeder Entscheidung ja automatisch mit fast anderthalb Beinen im Knast…

Hi Jan,
danke für deine ausführliche Rückmeldung.

Zunächst zur Klarstellung: die Triage ist Alltag für Ärzte und Pflegekräfte, auch außerhalb einer Pandemie. Man hat kaum mal einen Dienst, wo nicht ein Patient eingeliefert wird, der eine Intensivbehandlung oder -überwachung benötigt und man dann überlegt, welches der gesündeste Patient bisher auf der Station ist und der dann verlegt wird.

Man entscheidet das auf medizinischer Grundlage:
Verlegt wird, wer gute Chancen hat, auch, wenn er nicht mehr überwacht wird; oder wer sehr schlechte Chancen hat, auch, wenn er überwacht wird.
Wenn man sich nun vorstellt, dass 2 Covid Patienten für die Intensivstation ankommen und nur ein Bett da ist, bekommt das der mit der größeren Wahrscheinlichkeit, dass man ihm dort weiterhelfen kann. Und der Impfstatus beeinflusst nun mal Verlauf und Prognose.
Daher ist es gar nicht sinnvoll, den nicht zu berücksichtigen- nicht, um „selbst schuld“ zu sagen, sondern weil die Verläufe einfach anders sind, wenn eine Impfung stattgefunden hat und das eine wichtige medizinische Information ist.

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