#Pimmelgate - oder: Die Anfänge eines Polizeistaates

Beleidigungen im Internet sind ein Problem - dessen sind wir uns denke ich alle bewusst. Und natürlich muss der Staat auch dagegen vorgehen. Die große Frage ist aber natürlich: Mit welchen Mitteln?

Was war geschehen?
Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) bezichtigte - nicht ganz zu Unrecht - eine auf der Schanze feiernde Menschengruppe, die von der Polizei geräumt werden musste, als „Ignorant“. Eine der Reaktionen darauf war die Twitter-Mitteilung „Du bist so 1 Pimmel“ - klar, eine Beleidigung.

Drei Monate später kam es dann wegen dieser Beleidigung auf Grundschul-Niveau zu einer Hausdurchsuchung gegen den Verfasser, bei der technische Geräte sichergestellt werden sollten.

Und hier muss ich ernsthaft fragen:
Ist das deren Ernst?!? Sind wir in Deutschland mittlerweile so nah am Polizeistaat, dass man wegen einer unbedachten, kindlich-dummen Beleidigung direkt eine Hausdurchsuchung zu befürchten hat?
Wäre es auch nur entfernt denkbar, dass es zu dieser Hausdurchsuchung gekommen wäre, wenn der „Beleidigte“ nicht zufällig der oberste Chef der Hamburger Polizeibehörden gewesen wäre?

Diese Durchsuchung war meiner Meinung nach so absolut und ohne jeden Diskussionsspielraum unverhältnismäßig. Das heißt nicht, dass ich die Beleidigung gutheiße. Aber: Beleidigung zählt zu den Straftaten im Strafgesetzbuch, welche den niedrigsten Strafrahmen haben („bis zu einem Jahr“). Als Vergleich: Sachbeschädigung geht bis 2 Jahre, einfacher Diebstahl / Körperverletzung sowie Verleumdung bis 5 Jahre usw.

Strafen für Beleidigungen spielen sich in aller Regel im Bereich weniger Tagessätze ab. Um für Beleidigung in den Strafvollzug zu kommen muss man sich schon wirklich massiv anstrengen.

Eine Hausdurchsuchung andererseits ist ein extrem schwerwiegender Eingriff in diverse Grundrechte. Nicht nur, dass fremde Personen die eigene Wohnung auseinandernehmen dürfen, sondern alleine schon der Akt an sich, daher das Auflaufen mehrerer Polizisten, hat enorme negative Auswirkungen auf den Betroffenen (Vorverurteilung durch Nachbarn usw.).

Und dann werden Computer, Laptops, Tablets und Smartphones sichergestellt - und das üblicherweise für viele, viele Monate. Der Schaden, der dadurch entsteht, überwiegt die zu erwartende Strafe i.d.R. um ein Vielfaches. Kurzum: Der Verdächtige muss sich zur Überbrückung einen neuen Computer kaufen, ein neues Smartphone kaufen usw. - und bekommt dann, teilweise erst nach Jahren, seine veralteten Geräte zurück.

In welcher Welt ist es verhältnismäßig, eine minimal-schädliche Straftat mit einem maximal-schädlichen Instrumentarium an Ermittlungsmaßnahmen zu begegnen, um dann wiederum eine minimale Strafe verhängen zu können?

Ginge es um Gewaltandrohungen, könnte ich eine Hausdurchsuchung noch nachvollziehen - auch zur Gefahrenabwehr, aber auch zur Beweissicherung. Denn Gewalt (und Drohungen damit) sind natürlich kein Kavaliersdelikt. Beleidigung hingegen ist per Definition genau das: Ein Kavaliersdelikt, kurzum: die denkbar geringfügigste Straftat, die das Strafrecht hergibt.

Sehe ich das falsch?

Ich würde mich freuen, wenn ihr diesen Fall für die Lage aufbereiten könntet, denn wenn es zum Normalzustand wird, dass es bereits wegen des Verdachts der Beleidigung zu Hausdurchsuchungen kommt, werden hier Grenzen erodiert, die in jedem Fall zu schützen sind… und das geht am besten dadurch, Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.

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Noch etwas zusätzlicher Kontext, basierend auf Katharina Schipkowskis taz-Recherche:

  • Andy Grote stand im Juni 2020 in der Kritik, weil er anlässlich seiner Wiederernennung zum Senator eine Feier veranstaltete und dabei gegen die geltenden Corona-Auflagen verstieß.

  • Der Beschuldigte hatte sich bereits drei Wochen vor der Hausdurchsuchung auf Vorladung bei der Polizeit gemeldet und die „Tat“ zugegeben. Dabei sei ihm signalisiert worden, dass die Ermittlungen wahrscheinlich wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt werden würden.

  • Der Betreiber des Twitter-Accounts gehört zur antifaschistischen Fan-Szene des FC St. Pauli - bei dem auch Andy Grote Mitglied ist - und vermutet hinter der Hausdurchsuchung einen „Beißreflex der Justiz“ gegen die linke Szene. Das scheint mir auch vor dem Hintergrund der gerade zahlreich verzögerten und bagatellisierenden Ermittlungen und Urteile gegen rechte Gewalttäter:innen bemerkenswert.

Es bleibt bei allem Ärger für die Betroffenen und über die systematische Unwucht zu hoffen, dass der Andy den #Pimmelgrote so schnell nicht mehr los wird.