Pfand und Pfanderhöhung aus sozioökonomischer Sicht

Liebes Lage der Nation-Team,

ich bin zwar etwas spät dran, möchte aber im Zuge der Pfanderhöhung in Österreich eine Anregung für eine Diskussion aus soziökonomischer Sicht zum Thema Pfand einbringen. Dabei geht es nicht nur darum, ob es sinnvoll ist, den Pfand an die Inflation anzupassen, da Produktionskosten und andere Faktoren steigen. Vielmehr möchte ich den Blick auf Menschen richten, die Pfand sammeln, um ihr Einkommen aufzubessern. Diese müssen oft mehr als das Doppelte leisten, um den gleichen „Lohn“ wie vor ein paar Jahren zu erzielen.

Ich bin ehrlich gesagt sehr verwundert, dass diese offensichtliche Ungerechtigkeit kaum thematisiert wird. Vor allem, weil es dafür eine so unfassbar einfache Lösung gibt, die niemandem schadet (Pfand erhöhen :wink:). Schließlich können diejenigen, die ihr Pfand nicht verschenken wollen, es ja einfach selbst zurückbringen. Und nicht zu vergessen: Die oben genannte Industrie würde sich auch darüber freuen. Win-win-win also. Ich sehe euren Podcast als eine großartige Möglichkeit, dieses Thema zu beleuchten und in den gesellschaftlichen Diskurs zu bringen.

Mir ist bewusst, dass solche Diskussionen oft auf zu leichte Weise abgewiesen werden, etwa mit dem Verweis auf Bürgergeld oder ähnliche Unterstützungsleistungen. Dennoch sehe ich genau darin eine Chance erneut zu betonen, dass Bürgergeld, Renten etc. immer noch nicht ausreichen und Menschen leider auf das Pfandsammeln angewiesen sind.

Vielleicht ist es auch sinnvoll, sich auf nur einen der genannten Punkt zu konzentrieren – ich denke, ihr habt da einen besseren Blick dafür. Über eine Rückmeldung von euch würde ich mich sehr freuen, da mir dieses Thema persönlich am Herzen liegt. Natürlich bin ich auch total bereit, im vollen Umfang mit euch darüber zu diskutieren und meine Gedanken noch einmal strukturiert darzulegen.

P.S.: Zum Schluss noch eine kleine Anmerkung: Falls ihr euch wundert, warum ich oben schreibe, dass Menschen mehr als das Doppelte arbeiten, obwohl die Inflation ja nicht alles doppelt so teuer gemacht hat – ich denke dabei vor allem an Lebensmittel, die einen niederschwelligen Zugang haben, wie Döner. Schließlich werden immer noch viele Menschen, die wohnungslos sind, gar nicht erst in Supermärkte hineingelassen oder trauen sich nicht hinein.

P.P.S.: Ich bin ein sehr großer Fan eurer Arbeit!

Liebe Grüße
Simon

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Ich fände hier Erfahrungen aus anderen Ländern, idealerweise wissenschaftliche Auswertungen, interessant. Die Frage, die ich mir stelle, ist nämlich:

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass die Höhe des Pfands einen Einfluss auf die Rückgabequote hat. Läge der Pfand bei 5 Euro, würde vermutlich kaum jemand eine Pfandflasche in den Mülleimer werfen, läge der Pfand bei 5 Cent, würde sich vermutlich kaum jemand die Mühe machen, den Pfand wegzubringen. Innerhalb dieser Spanne würde mich daher interessieren, wie sich das Einkommen eines Pfandsammlers in z.B. zwei Stunden Innenstadt-Suche verändern würde, wenn der Pfand verdoppelt würde. Würden sie wirklich doppelt so viel verdienen, weil die Menge an Pfand gleich bleibt? Oder würden gar bei einem zu hohen Pfand mehr Leute Pfand sammeln (auch Leute, die es vielleicht nicht unbedingt nötig haben), sodass diejenigen, die darauf angewiesen sind, letztlich sogar weniger verdienen? Also ich bin bei der einfachen Rechnung: „Doppelter Pfand, also verdienen Pfandsammler auch doppelt so viel“ doch ein wenig skeptisch.

Dazu muss man natürlich anmerken, dass das Pfand vom Konzept her grundsätzlich kein Lohn für Pfandsammler sein soll, sondern an Anreiz an den Kunden, sein Pfand zurück zu bringen. Dass Obdachlose damit einen Zusatzverdienst haben ist letztlich ein Nebeneffekt, nicht der Zweck der Maßnahme. Daher kann es uns auch nicht wundern, dass der Pfand nicht an die Inflation oder gar die Lohnentwicklung angepasst wird. Der einzige Grund im ursprünglichen Sinne, den Pfand zu erhöhen, wäre es, die Rückführungsquote zu erhöhen.

Ein Argument, das gegen höheren Pfand spricht, ist übrigens dass die Hersteller daran auch verdienen würden. Jede Pfandflasche, die letztlich doch im Müll landet, ist ein Gewinn für das Unternehmen, dass die Pfandflasche in Umlauf gebracht hat. Siehe dazu z.B. diesen Artikel:

Wir reden hier schon über Milliardenbeträge, die sich über die Zeit anhäufen…

Grundsätzlich bin ich übrigens dafür, den Pfand für Bierflaschen drastisch zu erhöhen. Der Pfand für Bierflaschen sollte signifikant höher liegen als der Preis für Plastikflaschen, weil kaputte Bierflaschen echt ein Problem sind und sich „Bierflaschen-Sammeln“ aktuell selbst für die meisten Obdachlosen nicht lohnt. Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum das Pfand bei Bierflaschen nur 8 Cent beträgt, während es bei anderen Glasflaschen 15 Cent beträgt - außer, dass man dem Alkoholiker beim Kasten-Bier-Kaufen bloß nicht zu hart belasten will. Seriously?!? Also: Glaspfand auf 50 Cent rauf! Dann hat mein Fahrrad wahrscheinlich auch nur noch halb so oft einen Platten :stuck_out_tongue: Und ja, mir ist bewusst, dass wir bei Glasflaschen über Mehrweg-Flaschen sprechen, während wir bei PET-Flaschen von Einwegflaschen sprechen. Ja, bei Mehrweg-Flaschen liegt das Interesse einer hohen Rückführungsquote vor allem beim Unternehmen, bei Einweg-Flaschen nur beim Staat, aber das ändert nichts daran, dass auch das Pfand auf Mehrweg-Flaschen zumindest zum Teil auch aus Umweltschutzgründen erfolgt.

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Nebenbei noch ein allgemeines Problem bei der Debatte und ein Grund, warum das Pfand nicht regelmäßig erhöht wird (und was vielleicht die 8-Cent-auf-Bierflaschen erklärt): Man müsste sich ein System überlegen, altes Pfand von neuem Pfand zu unterscheiden. Man stelle sich vor, das Pfand auf PET-Flaschen würde verdoppelt - all die PET-Flaschen, die im Umlauf sind, würden plötzlich 50 Cent wert sein. Wäre die Änderung angekündigt würden PET-Flaschen fast schon zum Anlagegut werden, 100% Gewinn hat man nicht aller Tage :wink: Vermutlich beträgt das Pfand auf Bierflaschen tatsächlich deshalb nur 8 Cent, weil es auf diese schon vor 2003 Pfand gab (damals noch 15 Pfennig) und man genau dieses Problem der Pfandänderung vermeiden wollte.

Es müsste daher ein anderes Pfand-Symbol verwendet werden und alle Pfandautomaten müssten dahingehend umprogrammiert werden, verschiedene Pfandsymbole - auch noch aus jahrealten Pfand-Regelungen - zu erkennen. Es würde nicht reichen, kurz die Zeile: „Wert: 25 Cent“ auf „Wert: 50 Cent“ zu ändern, sondern es bräuchte massive (Software-)Updates. Und das kostet Geld - jedes Mal. Daher ist es sehr verständlich, dass das Pfand sehr lange Zeit stabil bleibt.

Dazu kommt der internationale Aspekt. Österreich hat vor kurzem das Pfand erhöht, seither gibt es „Pfand-Tourismus“ in der Grenzregion. Daher: Leute kaufen in Deutschland und zahlen hier den niedrigen Pfand, bringen das Leergut aber in Österreich zurück und erhalten den höheren Pfand. Siehe hier:

Daran sieht man: Man müsste das Problem letztlich international regeln, eine einseitige Pfand-Erhöhung in Deutschland ist besonders kritisch, weil wir so viele Nachbarländer haben. Wird das Pfand hier zu wertvoll wird es einige Länder geben, die Pfandtourismus betreiben.

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Die Presselandschaft würde insbesondere die SPD in der Regierung dermaßen zerreißen, wenn das Pfand aus sozioökonomischer Sicht erhöht werden würde. :joy:

Der passende Postillion Artikel ist zwar schon über zehn Jahre alt, aber könnte 1:1 wieder so erscheinen.

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Das Phänomen des Pfandtourismus konnte nicht nachgewiesen werden, auch wenn das in Einzelfällen natürlich vorkommen wird, genauso wie man früher vor einem Festival noch mal schnell rüber gefahren ist, als es noch kein Dosenpfand in Österreich gab.
Steht auch so auch im Artikel:

Der österreichische Handel beschwichtigt zum Teil. Anders als deutsche und österreichische Medien berichten, sei im Grenzgebiet etwa in Salzburg und Oberösterreich kein besonderer Pfandtourismus zu registrieren, teilte etwa Spar Österreich mit. Es sei aber zu befürchten, dass sich das durch die zahlreichen Berichte nun ändern werde. Der Rewe-Konzern sprach von einem überschaubaren Phänomen. Ein großer Getränkehändler aus Salzburg teilte mit, man sei sich der Thematik bewusst. Auch diese Firma verzeichnet bisher aber keinen Pfandtourismus.

Was festgestellt wurde - und davor warnt ja auch der Artikel - dass kurz vor der Erhöhung Kästen zurückgehalten wurden. Das kann zu einem Engpass führen, was aber anscheinend in Österreich ganz gut geklappt hat.
Dennoch wäre eine Erhöhung sinnvoll. Eine Brauerei in Franken (weit weg von der österreichischen Grenze) gibt neben steigenden Energiekosten auch die zu wenig rücklaufenden Flaschen an:

Brauerei stellt wegen Pfand-Ärger Betrieb ein - Bamberger Brauer mit Forderung

Damit wird es besonders absurd: bei den Einwegflaschen, die danach vernichtet werden, gibt es einen Anreiz, sie zurückzugeben, bei den Mehrwegflaschen, von denen alle, außer Glasherstellern, profitieren, ist es eine symbolische Geste.

Das könnte man zumindest abmildern indem man einen sehr großen Sprung vermeidet und stattdessen mehrere kleine Erhöhungen über wenige Jahre macht.

Notwendig finde ich eine Pfanderhöhung auch. Gerade bei Bier z.B. ist durch das niedrige Pfand meines Wissens nach die durchschnittliche Lebensdauer einer Mehrwegflasche so gering, dass rein ökologisch betrachtet sogar Dosen besser abschneiden.

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Das Mehrwegpfand wurde tatsächlich seit den 90er Jahren nicht mehr erhöht oder angepasst Und auch das Einwegpfand ist seit der Einführung gleich geblieben.

Das große Problem der Pfandanpassungen sind die Rücklagen, die gebildet werden müssen.

Für das in den Markt gegebene Pfand muss vollumfänglich das Pfand zurückgehalten werden, sodass Pfandrückführungen bezahlt werden können. Und das auch noch nach mehreren Jahren des Inverkehrbringens. Bei 10M Flaschen, die im Markt im Verkehr sind, wären das dann 800k EUR bei 8 Cent Pfand. Wenn das Pfand auf 25 Cent erhöht würde, müssten diese Rückstellungen auch erhöht werden, auf 2,5M EUR. Das wäre das „Aus“ für viele Unternehmen, da hier massiv Geld fehlen würde. Und bei den ganzen Pfandflaschen in Deutschland wären das Milliarden.

Hinzu kommt, dass das Mehrwegpfand kein staatlich geregelter Pfandsatz ist. Hier kann theoretisch jedes Unternehmen frei entscheiden, wie hoch der Pfandsatz gesetzt werden soll. Bei Poolfaschen, also Flaschen die von mehreren Unternehmen genutzt werden, wäre es finanziell schlecht ein anderes Pfand zu erheben als die Mitbewerber im Markt. Z.B die 330ml Longneck Bierflasche. Im Mehrwegpfand soll das Prinzip „der Markt regelt das“ gelten.

Es gibt Unternehmen, die auf ihre Individualflaschen einen eigenen Pfandsatz erhoben haben. Mit fällt hier z.B. Lemonaid ein, die 25 Cent auf ihren Mehrweg-Individualflaschen haben.

Das Einwegpfand hingegen ist staatlich geregelt. Die Rückstellungen sind hier auch nicht so hoch und man könnte den Pfandwert einfacher anpassen.

Das Retourensystem in Deutschland ist auch nicht auf Pfandänderungen ausgelegt. Häufig scannen die Automaten nur nach Flaschenform und geben dann das hinterlegte Pfand heraus. Man kann nicht nachverfolgen, welche Flasche mit welchem Pfand herausgegeben wurde, weswegen „Pfandtourismus“ auch gut funktioniert.

Das gesamte System ist so hinterwäldlerisch, sodass Änderungen kaum möglich sind und extreme Kosten mit sich bringen.

Außerdem ist das gesamte Pfandsystem eine große Nachhaltigkeitslüge. Eine Glasmehrwegflasche ist nachhaltiger als Plastik ab ca. 15-20 Befüllungen. Man schafft mit guter Sortierung im Schnitt ca. 2 Füllungen pro Flasche pro Jahr. Also müsste eine Flasche ca. 7.5 Jahre oder mehr im Umlauf sein, um wirklich nahhaltig zu sein. Die Neukaufraten bei Glasherstellern liegen allerdings bei 20-40%, was auf 2-5 Jahre Nutzung hindeutet. Somit freuen Sich Unternehmen, wenn sie die irgendwann die Pfandrückstellungen für nicht retournierte Flaschen auslösen können.

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