Organspende-Schlusslicht Deutschland

In kaum einem anderen Land in Europa müssen Patientinnen und Patienten, die auf eine lebensrettende Organspende hoffen, so lange warten wie in Deutschland.
Würden z.B. heute meine Nieren versagen, müsste ich an die Dialyse, um weiterzuleben. Das bedeutet im Regelfall, dass 3x/Woche für jeweils 5h mein Blut über dicke Nadeln und Schläuche von einer Maschine gereinigt werden müsste. Die Dialysetherapie ist köperllich extrem belastend, die meisten Patient:innen verlieren ihre Erwerbsfähigkeit. Stand heute müsste ich ca. 8-10 Jahre auf ein neues Organ warten.

In Deutschland sind 2021 407 Personen auf der Warteliste für eine Nierentransplantation verstorben.
Patienten, die auf andere Organe warten (Herz, Lunge, Leber, etc. ), haben noch schlechtere Karten, weil die Transplantation hier meist die einzige Chance ist, zu überleben.

2022 waren die Organtransplantationen in Deutschland auf einem Tiefpunkt, nur 176 Menschen hatten nach ihrem Tod Organe gespendet. Zum Vergleich: In Spanien spenden im Schnitt 41 Personen / 1Mio Einwohner ihre Organe, in Deutschland 11.

Da die Organspendezahlen in Deutschland seit längerer Zeit rückläufig waren, hat am 16.1.2020 hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ beschlossen.
Jens Spahn hatte die sog. Widerspruchslösung zur Abstimmung gebracht. Bei dieser wäre man automatisch Organspender geworden - es sei denn, man hätte dem zu Lebzeiten widersprochen.
Diese Widerspruchslösung gibt es mittlerweile in beinahe allen europäischen Ländern, 2022 hat sogar die Schweiz diese Lösung eingeführt.

Der Vorschlag wurde jedoch zugunster einer „Entscheidungslösung“ verworfen, mit den Stimmen aller Parteien, innerparteilich merhheitlich der Grünen, der FDP, der AFD und der Linken.
Dabei war die Debatte zu diesem Thema sehr spannend und nahm, unmittelbar vor der Corona-Pandemie alle Themen vorweg:

  • Verschwörungsmythen (insb. die Kirchenvertreter in Deutschland befeuerten diese „Zugriff des Staates auf Körper“) Kirche und Organspende
  • Liberalismus-Debatte (federführend Heribert Prantl: Heribert Prantl in SZ
  • Daseinsfürsorge für sich und andere

Der Gegenvorschlag sollte zum 1.3.2022 umgesetzt werden. Das Gesetz sieht vor, dass die Bereitschaft, Organe nach dem eigenen Tod zu spenden regelmäßiger erfragt werden soll. Künftig soll eine Erklärung zur Organspende auch in einem Online-Register und den Ausweisstellen möglich sein. Außerdem sollen Hausärzte die Patienten ermuntern, eine Entscheidung zu dokumentieren.

Und was ist seitdem passiert?

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Nichts!

Im Gegenteil, die Organspendezahlen waren, wie beschrieben 2021 auf einem absoluten Tiefpunkt.
Weder ist das beim BfArM angesiedelte Register in Betrieb noch zeigen sich Ämter oder Hausärzte in der Lage, die vom Gesetz geforderten Beratungen zu übernehmen. Patientengruppen fordern daher verzweifelt eine neue Lösung.

Was ist schief gelaufen:

  • Es wurde ein Gesetz entwickelt, dass in der Realität offensichtlich nicht umsetzbar ist
  • Oder man könnte den Standpunkt einnehmen, dass die zuständige Exektuvie (das BMG) vom deutschen Bundestag beschlossene Gesetze einfach nicht umsetzt?
  • es wundert auch, dass führende Politker der Grünen, die diesen Gegenvorschlag erarbeitet haben, keine Probleme erkennen können - sondern erst eine Evaluieren fordern. Eine Evaluierung eines bis dato nicht umgesetzten Gesetzes wohlgemerkt.
  • Deutschland hat ein massives Problem in der Digitialiserung (Organspenderegister nicht funktional)
  • es wurde wieder einmal die komplizierteste Lösung vorgezogen

Das traurige daran? Die DSO, die in Deutschland Organspenden vermittelt, konnte zeigen, dass ein Großteil der Organspenden in Deutschland nicht erfolgen konnte - einfach nur, weil die Angehörigen den mutmaßlichen Willen des Patienten nicht kennen. Entscheidung zur Organspende

Und alleine nur, weil viele Mitbürgerinnen und Mitbürger keine Lust oder Zeit haben, mit ihren Angehörigen zu Lebzeiten einmal über den Tod und die Organspende zu sprechen, warten hunderte Patienten verzweifelt auf ein lebensrettendes Organ .
Es könnte so einfach sein!

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Quellen:
Jahresbericht DSO 2021
Statistik DSO

https://www.swisstransplant.org/de/organ-gewebespende/rechtliche-grundlagen/regelung-in-europa
Offener Brief Patientenverband proTransplant

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Ich hole dieses Thema mal aus der Versenkung, da ich hier gerne mal eine aktive Diskussion sehen würde, ob eine politische Intervention hier gefragt ist oder gesellschaftlich ein Wandel stattfinden muss.

Ich habe mich lange für die Organisation „Aufklärung Organspende“ eingesetzt, bei der Studierende über das Thema Organspende informieren. Gerade bei Veranstaltungen mit Erwachsenen hat mich hier die Verbreitung von Falschinformationen stark überrascht. Kann ein neues Gesetz das lösen?

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Meines Erachtens: Ja, hier muss eine politische Intervention stattfinden. Eine sinnvolle politische Intervention führt automatisch zu einem gesellschaftlichen Wandel.

Ich bin weiterhin strikt dafür, Organspender zu sein als Standardfall festzulegen (also eine Widerspruchslösung zu implementieren). Wem es wirklich wichtig ist, keine Organe zu spenden - warum auch immer das sein mag (i.d.R. entweder religiöse Motive oder der Glaube an Verschwörungsmythen alá „ich werde schneller für Tot erklärt wenn ich Organspender bin“) - wird sich in der Regel mit dem Thema befassen und eine entsprechende Erklärung mit sich führen (also den Anti-Organspender-Ausweis).

Wem das Thema schlicht egal ist (und das dürfte der Großteil der Bevölkerung sein) wird in diesem Fall zu Organspendern - und das ist gut so!

Gerne können wir hier auch mit einer Datenbank arbeiten, also eine Widerspruchslösung mit zentraler Datenbank, falls die Befürchtung besteht, dass man - wenn z.B. bei einem Unfall der Organspenderwiderspruch verloren geht - nicht versehentlich zum Organspender wird…

Die Gegenargumente, die regelmäßig gegen die Widerspruchslösung aufgefahren werden, halte ich für wenig überzeugend - gerade wenn es in die Richtung geht, dass es ein schwerer Eingriff in die Menschenwürde sei. Sorry, aber es gibt etliche, hoch-demokratische Staaten, welche die Widerspruchslösung verwenden. Es ist eine rein deutsche Sichtweise, dass das ein maßgeblicher Eingriff in die Menschenwürde sei.

Wie diese Karte zeigt, ist Deutschland mit der Zustimmungslösung in Europa weitestgehend isoliert, die Widerspruchslösung ist schon lange der Normalfall in den meisten demokratischen Staaten. Zu Recht, wie ich finde.

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Ich sehe das Hauptproblem im Ausweis, der ist einfach unpraktisch.
Habe festgestellt dass es unter Android die Möglichkeit gibt, Notfalldaten zu hinterlegen, unter anderem, dass man Organspender ist. Das Handy habe ich eher dabei, als einen Zettel in einem sehr unvorteilhaften Format.

Sehe ich auch so. Ich finde es fast noch schlimmer, dass am Ende die Angehörigen die Entscheidung treffen können. Sicher „im Sinne des Verstorbenen“, aber wenn der am Ende nicht bekannt ist, läuft es wieder darauf hinaus was die Angehörigen dann am liebsten haben wollen. Für mich ist das eine Entscheidung, die ich bei einem solchen Schicksalsschlag nicht auch noch meinen Liebsten aufbürden möchte.

Wie gut dass der Ausweis schlichtweg der Shortcut ist, der für viele am bequemsten ist. Hauptsache jemand weiß, wo dein Willen hinterlegt ist - ob im Portemonnaie oder an der Pinnwand oder in der Patientenverfügung. Finde diese Fixierung auf die Karte etwas reduktiv - meiner Erfahrung nach ist das Problem, dass viele (gerade ältere) sich nicht mit dem Thema beschäftigen wollen, da es sehr unschön die eigene Mortalität vor Augen führt.

Laut BzGA stehen 84% dem Thema positiv gegenüber, 61% haben eine Entscheidung getroffen, 44% diese festgehalten. Wenn schon keine Wiederspruchslösung müsste sich der Gesetzgeber mMn dafür einsetzen, das Festhalten einer Entscheidung stark zu vereinfachen, zB bei Ausgabe des Führerscheins (wie in den USA).

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Mich haben hier jetzt auch andere Themen mehr interessiert als dieses :pensive:. Vielleicht ist die Resonanz in dieser Runde ein Spiegel für die Resonanz in der Bevölkerung.

Die Abstimmung 2020 im Bundestag war eine Abstimmung ohne Fraktionszwang und mittlerweile hat sich die Zusammensetzung des Bundestags geändert. Gibt es denn eine realistische Chance, dass dieses Mal ein anderes Ergebnis herauskommt, weil Abgeordnete ihre Meinung geändert haben oder nun Abgeordnete mit einer anderen Meinung im Bundestag sitzen? Sonst ergibt es für mich keinen Sinn erneut abzustimmen.

Die Probleme mit dem Register verstehe ich nun überhaupt nicht. Es gibt doch bereits ein zentrales Vorsorgeregister bei der Bundesnotarkammer, das u. a. von Ärzten und Gerichten online abgefragt werden kann (https://www.vorsorgeregister.de/). Warum nimmt man nicht das? Wenn es eine Widerspruchslösung gibt, dann würden dort die Widersprüche hinterlegt und könnten vom Krankenhaus abgefragt werden. Vielleicht wissen die Juristen in dieser Runde warum wieder etwas Neues gebastelt werden muss.

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Ich bin heute durch einen Zeitartikel darauf aufmerksam geworden, dass man sich inzwischen online unter https://organspende-register.de registrieren kann. Das ging mit dem elektronischen Personalausweis sehr einfach und schnell.