NRW hat als Reaktion auf Solingen ein dickes Maßnahmenbündel erlassen, u.a. sollen Gesichtserkennungssoftwares eingesetzt und die Mindestaltergrenze für Speicherung, Veränderung und Nutzung von personenbezogenen Daten durch den Verfassungsschutz auf 14 Jahre abgesenkt werden. Vieles davon schreit für mich auf den ersten Blick nach Überwachungsstaat, ich würde mich daher um eine sachliche Einschätzung eurerseits freuen.
Ja, tut es.
Und am Ende bringt es nichts, weil weder das Personal bei den Vollzugsbehörden vorhanden ist, um der Menge an Spuren die sich aus den Daten ergeben nachzugehen, noch wird die Justiz, gleichfalls wegen Personalmangels in der Lage sein frühzeitig und schnell zu Urteilen, womit man vielleicht etwas erreichen könnte.
Die einzigen Profiteure werden die Softwarehersteller und Berater sein. Und dann die Extremisten, wenn sie es an die Regierung schaffen.
Mal die Maßnahmen einzeln:
Einsatz von virtuellen Ermittlern sowie künstlicher Intelligenz zum Internetmonitoring und zur Analyse erhobener Daten
Kann man schon machen, da geht es der Beschreibung nach ausschließlich um Open Source Informationen. Braucht aber dann auch entsprechend Personal, dafür muss dann irgendwo das Geld herkommen. Kann die CDU ja mal bei der FDP nachfragen.
Entwicklung technischer Übersetzungsmöglichkeiten mittels KI, insbesondere bezüglich seltener Sprachen oder besonderer Dialekte
ChatGPT Plus kostet $20 im Monat, das dürfte im Etat ja noch drin sein . Aber vermutlich werden da eher ein paar Millionen Euro für irgendeine mäßig gut funktionierende Custom-Lösung ausgegeben.
Zentralisierung und engere Abstimmung bei der Strafverfolgung
Da gibt es eigentlich nichts gegen zu sagen. Hätte man natürlich auch vorher schon jederzeit machen können, die Frage ist also, warum das nicht geschehen ist und was sich jetzt an diesen Gründen geändert hat.
Nutzung von Gesichtserkennungssoftware zum Abgleich mit öffentlich zugänglichen Datenbanken
Hier ist NRW an Bundes- und Europarecht gebunden. Es wird „nur“ das Maximum umgesetzt, was erlaubt ist. Ich persönlich finde das suboptimal, auch weil ich es als Mittel für Terrorbekämpfung (wo die Erfahrung zeigt, dass die meisten Täter vorher nicht unbedingt aktenkindlich sind) ungeeignet halte.
Erleichterung des Datenaustauschs zwischen den Behörden und insbesondere Einführung einer zentralen Übersicht der abzuschiebenden Personen
Warum nicht?
Islamistische Prediger/Influencer stärker in den Blick nehmen
Wenn die Sicherheitsbehörden „Listen anlegen“, sollte man immer hellhörig werden. Zumindest um sich zu fragen, warum das nur für Islamisten und nicht auch Rechtsradikale passieren soll. Halte ich grundsätzlich für problematisch.
Rechtliche Befugnisse des Verfassungsschutzes neu justieren
Hier gibt es dann eine vorweihnachtliche Wunschliste der Verfassungsschützer.
Die bislang in Nordrhein-Westfalen bestehende Altersgrenze von in der Regel 16 Jahren ist mit Blick auf die vorhandenen Erkenntnisse zu Tätern und Tatverdächtigen nicht mehr praxisnah. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen soll zukünftig regelmäßig Daten Minderjähriger ab 14 Jahren verarbeiten können.
Zu solchen Behauptungen hätte ich immer gerne eine Quelle oder irgendeiner Form der Argumentation. Meines Wissens nach gab es bisher keine 14-jährigen Terroristen in Deutschland.
Stärkere Einbindung wissenschaftlicher Erkenntnisse
Klar, sollte man vielleicht machen.
Stärkung der Vernetzung im Bereich Opferschutz
Show me the money. Wenn die Landesregierung da kein zusätzliches Geld ausgeben will, dann weiß man, was man davon halten soll.
Naja, wenn der Staat es im Rahmen seiner hoheitlichen Aufgaben nutzt, müssen schon höhere Ansprüche an die Rechtssicherheit gestellt werden. Aber zuverlässige Übersetzungssoftware auf KI-Basis gibt’s glaube ich schon zur Genüge, eine Goldrandlösung wird es daher hoffentlich nicht.
Aber fordern wir nicht genau das größtenteils?
Also in allen Threads hier war die zentrale Forderung immer, stärker gegen Islamismus vorzugehen. Dazu ist es wohl sinnvoll, bekannte Islamisten stärker zu beobachten, deren soziales Umfeld zu erforschen und dadurch vielleicht auch ihre „Radikalisierungsopfer“ zu bemerken, bevor sie zur Tat schreiten.
Hier sehe ich die größte Gefahr für eine engmaschige Überwachung. Hier beginnt für mich der Bereich, in dem die gewonnene „Sicherheit“ einen zu hohen Preis an „Freiheit“ fordert, denn öffentliche Überwachung per Gesichtserkennungssoftware ist grundsätzlich sehr, sehr problematisch. Letztlich lassen sich so automatisiert ganze Tagesabläufe der gesamten Bevölkerung im öffentlichen Bereich erstellen, das ist einfach ein sau-gefährliches Werkzeug.
Das sehe ich anders, zumindest was den analogen Raum angeht. Prediger müssen dafür kontrolliert werden, das greift m.E. stark in die Religionsfreiheit ein und braucht zudem massive Ressourcen. Wir wissen, dass die meisten sich online radikalisieren, und viele Moscheegemeinden fühlen sich ohnehin schon unter Generalverdacht gestellt. So eine Ausgrenzung kann eine Radikalisierung auch eher begünstigen.
Aber es fordert doch niemand, normale Moscheen zu überwachen, sondern gefordert wird, klar als islamisten bekannte Prediger besser und systematischer zu beobachten. Wie gesagt, ich bin der Letzte, der einen Generalverdacht gegenüber Muslimen rechtfertigen würde - ich habe hier immer gegen die Gleichsetzung von „Islam“ und „Islamismus“ argumentiert und stets klar gesagt, wie wichtig es ist, nicht pauschal allen Muslimen zu unterstellen, sie seien nicht mit der deutschen Demokratie vereinbar.
Ehrlich gesagt bin ich mir da nicht so sicher. Wir wissen, dass der Online-Bereich extrem einflussreich im Hinblick auf die Radikalisierung ist, gleichzeitig wissen wir, dass die meisten islamistischen Terror-Attentäter auch ganz spezifische Moscheen besucht haben (Der Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri war z.B. vor’m Attentat in der mittlerweile verbotenen Fussilet-Moschee in Berlin, die 9/11-Attentäter waren in einer Hamburger Moschee, die 2010 dann verboten wurde, der Solingener Attentäter war in einer Moschee, gegen die aktuell zumindest Vorwürfe des Radikalismus im Raum stehen.
Ich glaube, dass radikale Moscheen durchaus eine gewichtige Rolle dabei spielen, dass sich Menschen radikalisieren. Das Problem ist hier tatsächlich, dass wir keinerlei Einblick in diese Szene haben. Ich bin mir sicher, dass die Moschee-Landschaft sehr vielfältig ist, es gibt seltene, extrem liberale Moscheen (z.B. die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin), seltene, extrem islamistische Moscheen und vermutlich absolut überwiegend durchschnittlich-konservative Moscheen. Es ist schon wichtig, dass wir wissen, welche Moscheen problematisch sind - das herauszufinden, ohne einen Generalverdacht zu erzeugen, erfordert natürlich viel Fingerspitzengefühl. Aber es ist mMn notwendig.
Religion (also die Organisation hinter dem Glauben, nicht der Glaube an sich) ist ein Machtkonstrukt. Das kann entweder Teil der Regierung und des Staates sein, oder, in einer sekulären Gesellschaft, eine konkurrierende Struktur.
Wer eine demokratische Regierung möchte, muss daher dafür sein, dass organisierte Religionen in ihren Rechten so klein gehalten werden, dass sie keine Gefahr werden.
In Europa gilt das insbesondere auch für das Christentum, diese Parallelgesellschaft mit ihrem Krichenrecht, welches die Arbeitnehmerrechte aushebelt, ist ein Skandal.
Aber das darf nicht dazu führen, dass man andere Religionen nun ebenfalls vermehrt duldet, der Weg muss sein, das Christentum zurückzuschneiden, nicht dem Islamismus mehr Freiheiten zu geben.
Sehe ich wie Du, manche Maßnahmen, insbesondere die bessere Zusammenarbeit zwischen Behörden, ist wenig problematisch oder sogar überfällig, andere dagegen sehr, gerade Gesichtserkennung und die Absenkung des Mindestalters machen mir da Sorgen.
Ich versuche mal herauszubekommen, was da an KI-Lösung geplant ist, ob das Land wirklich selbst etwas entwickeln will, und ob für den Opferschutz Gelder hinterlegt sind. Könnte mir bei dem Tempo aber vorstellen, dass solche „Details“ noch ungeklärt sind.
Grundsätzlich stimme ich dir als Atheist da natürlich zu, andererseits ist die Religionsfreiheit auch ein Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft, weshalb man aufpassen muss, die Religionen nicht zu stark einzuschränken. Auch das ist ein schwieriger Balance-Akt.
Hier ist ja schon problematisch, dass du Christentum und Islamismus vergleichst
Ich glaube, Religion hat viel Gutes, bringt Menschen zusammen und hat caritative Einrichtungen und Ausrichtungen. Glaube und Gemeinden an sich sind absolut nicht das Problem und idR auch nicht machtorientiert. Du denkst an Sekten, und Moscheen damit zu vergleichen ist Teil des Gesamtproblems, das wir als Gesellschaft haben #strukturellerRassismus
War nicht an mich gerichtet, aber ich würde dennoch gerne wissen, auf welche Vergleichbarkeit wir uns als Diskussionsgrundlage einigen können. Ich stimme zu, dass „Christentum“ und „Islamismus“ ein problematischer Vergleichsmaßstab ist. Der korrekte Vergleichsmaßstab wäre wohl „Christentum“ und „Islam“. „Sekten“ und „Moscheen“ ist ebenfalls ein fehlerhafter Vergleich (der so aber auch nicht gemacht wurde), „Sekten“ und „islamistische Moscheevereine“ hingegen wäre meines Erachtens ein passender Vergleich. Daher: Sekten sind (oft radikale) Splittergruppen von an und für sich nicht per se schlechten Religionen („Sekten“ hat eine negative Konnotation), „islamistische Moscheevereine“ sind ebenfalls radikale Splittergruppen einer Religion.
Da würde ich dir widersprechen. Ich bin da dahingehend bei @David , als dass ich „Glaube“ und „Religionsgemeinschaft“ unterscheiden würde. Gegen Glauben spricht erst einmal nicht viel, aber wenn sich Gläubige in einer Gemeinschaft zusammen schließen, ist das Ziel immer auch, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, sei es durch caritative Tätigkeit (positiv) oder durch politische Einflussnahme (aus meiner Sicht negativ, weil ich für eine strikte Trennung von Kirche und Staat bin). Dass die Geschichte der Kirchen (egal ob im Christentum oder Islam) von einem großen Machtstreben durchsetzt ist und die Kirchen auch heute noch viel Macht haben kann man denke ich kaum bestreiten. Die größte Errungenschaft der Aufklärung war es, diese Macht der Kirchen auf ein mit der Demokratie verträgliches Maß zurück zu drängen. Genau deshalb wird der „legalistische Islam“, also eine Ausprägung des Islams, der den Koran zur Grundlage des Rechtssystems machen will („Scharia-Recht“), aus gutem Grund als „nicht vereinbar“ mit unserem Grundgesetz und der Demokratie gesehen, während andere Ausprägungen des Islam unproblematisch sind.