Northstream 2 und die SPD

Kann mir mal jemand erklären, warum offenbar nicht unmaßgebliche Teile der SPD immer noch hinter Northstream 2 stehen, obwohl

  1. das im Hinblick auf den Klimaschutz offensichtlich ein Projekt ohne Zukunft ist - ökonomisch sinnvoll erscheint das nicht
  2. im Hinblick auf das Verhalten von Russland sicherlich taktisch wie strategisch kein guter Plan ist
  3. im Hinblick auf unsere Beziehungen zur Ukraine, Polen, die baltischen Staaten, andere westeuropäischen Staaten, die USA u.v.m. zu einer außenpolitisch sehr prekären Situation führen würde

Bitte keine ironisch / sarkastischen Bemerkungen bezüglich der Aufsichtsratsvergütung unseres so peinlichen Ex-Kanzlers Schröders: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD sich dafür so verrennen und Kopf und Kragen riskieren würde …

Was übersehe ich da?

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Schade, ich wollte gerade den sarkastischen Kommentar verfassen, lasse es aber nach deiner Bitte bleiben. ::smiley:

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Seit der Zeit von Willy Brandt steht die SPD gegenüber der Sowjetunion und später der Russischen Föderation für „Wandel durch Annäherung“. Also wurde eine stärkere Verzahnung zwischen Deutschland und Russland mittels des Baus direkter Gaspipelines grundsätzlich begrüßt. Daneben gibt es natürlich noch eine deutsche Energiewirtschaft, die sich freut, keine Durchleitungsgebühren mehr an die Transitländer zu zahlen und von „Ärger“ in diesen Ländern nicht betroffen zu sein. Auch in der Bevölkerung gibt es sicherlich einige, denen das Verhältnis zu Moskau wichtiger ist als das zu Warschau, Vilnius oder Kiew.

Last but not least: inzwischen ist die Leitung fertig. Wenn der Betreiber einen genehmigungsfähigen Antrag auf Betriebserlaubnis einreicht, müsste die deutsche Regierung aktiv dagegen einschreiten, um das Projekt noch zu stoppen. Diese Hürde ist hoch.

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Ich habe keine Ahnung, warum die SPD daran festhält, aber die Vorteile für Deutschland liegen auf der Hand:

  • Sie macht uns weniger abhängig von den Konflikten, die Russland mit den alten Transitländern hat. Oder neuerdings, die die Transitländer untereinander haben.
  • Sie gibt uns eine zentrale Rolle im europäischen Gasmarkt. Selbst wenn wir uns schnell vom Gas verabschieden würden, gibt es genug andere Verbraucher in Europa und wir wären dann der Haupttransportweg für die Produktion der Jamal-Gasfelder.
  • Die Nichtzulassung von Nord Stream 2 würde vermutlich auf einen schnellen Ausstieg aus dem Gas hinauslaufen müssen, denn Gazprom hat in die Route durch Osteuropa nicht mehr viel investiert. Russland würde sich in diesem Fall vermutlich in Richtung Ostasien orientieren, schon weil es dort größere Verlässlichkeit gibt. Ein schneller Ausstieg durch eine deutliche Verknappung des Angebots im Gasmarkt hat Tücken. Dagegen Gas als Option zu behalten, ist eine Rückversicherung gegen Probleme bei der Umstellung der Energiewirtschaft. Wenn man sich um das deutsche Wachstum sorgt, liegt das sicherlich nahe. (Prinzipiell sehe ich auch nicht das Problem, denn letztlich kann man den Gebrauch der Nord Stream-Pipelines einfach auslaufen lassen. Man trägt nicht mal wirklich die Kosten. Die Vermeidung von Energiekrisen erhält die Akzeptanz für die Umstellung, insofern ist das durchaus ein Vorteil. Aber da wir irrwitzigerweise versuchen unsere Existenzgrundlagen kapitalfreundlich zu retten, kann man da sicherlich einen Zielkonflikt drin sehen. Heißt natürlich nicht, dass die SPD das tut.)
  • Der Abschluss dieses gemeinsamen Infrastrukturprojektes ist auch Beziehungspflege und erhält die im Kontext der Gesamtlage immer noch weniger spannungsgeladenen deutsch-russischen Beziehungen. Gerade weil es ein solches Symbol für diese Beziehung ist, wären die außenpolitischen Kosten der Einstellung gegenüber Russland sicherlich groß. Andererseits haben wir uns jetzt jahrelang mit anderen Ländern deswegen angelegt und die sind an dem Punkt, dass sie sich darauf eingestellt haben, dass Nord Stream 2 kommt. Selbst Polen hat seine Energiestrategie längst auf diese absehbare Realität ausgerichtet. Wir würden die Gewissheit der abgeschlossenen Umstellung auf die neuen Gasrouten gegen einen Gasmarkt mit unsicherer Zukunft der Versorgung tauschen.
  • Die fortgesetzte Abhängigkeit des russischen Nationaleinkommens auch vom europäischen Ankauf von Gas ist eine Einbindung über diese zentrale wirtschaftliche Beziehung und ein wünschenswerter Erhalt der Stabilität des Landes.
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Danke für diese Erläuterungen. Egal, wie man dazu steht: Die SPD macht dagegen einen extrem schlechten Job, ihre Haltung zu erklären …

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Kleine Ergänzung: in Deutschland endet Northstream 2 in Mecklenburg-Vorpommern, wo die sozialdemokratische Vorzeigefrau Manuela Schwesig auf Arbeitsplätze und schöne Bilder im TV hofft.

Ich wüsste nicht warum eine nach außen aggressive und nach innen repressive Diktatur stabilisiert werden sollte.

Ich hoffe dass die Grünen weiterhin jedes noch so formale Hindernis benutzen um diese antieuropäische Pipeline zu verhindern.

Antieuropäisch?

„Weiterhin“ impliziert, dass sie das schon getan haben. Aber ich wüsste nichts, was die Grünen konkret gegen Nord Stream 2 unternommen hätten. Sie sind halt dagegen oder sagen das zumindestens.

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ich würde noch ergänzen dass NS2 günstigers gas bedeutet. afaik bewegen sich die jährlichen durchleitungsgebühren der transitländer im milliardenbereich. die akademikerbubble mag das nicht so hart betreffen, aber vergessen wir nicht dass in deutschland ca 20 millionen menschen im niedriglohnsektor arbeiten. daher finde ich es fast schon höhnisch, wenn frau baerbock derart gegen NS2 schießt - sie wirds im geldbeutel garantiert nicht bemerken.

wenn die bundesregierung energiesubventionen für „den kleinen mann“ (wie es afaik in europäischen partnerländern bereits umgesetzt ist) schafft, kann es auch eine breitere ablehnung für ns2 geben.

ist das nicht sogar eigentlich schlecht?
im Grunde wollen wir doch, dass Strom im Verhältnis zu Gas günstiger wird - damit möglichst eher Wärmepumpen Gasheizungen ersetzen.
Wenn Strom teurer wird und Gas günstiger sehe ich da schon ungemütliche Moderationen in der Lage :smiley:

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Wenn da nicht der fiese Umstand wäre, dass Strom durch Verbrennung von Erdgas erzeugt wird.

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Die Frage ist nur, ob günstigerer Transport von Gas auch gleichzeitig niedrigere Kosten beim Endverbraucher bedeutet. Ich habe meine Zweifel.

Langfristig stimmt das, aber mittelfristig ist es wohl so, dass teures Erdgas Kohleverbrennung vergleichsweise wettbewerbsfähiger macht, was wir genau nicht wollen, weil Braunkohle grob einen Faktor 2 mehr CO2-Ausstoß/Energie verursacht als Erdgas. Ich kann nicht abschätzen, welches Gewicht die jeweiligen Effekte wirklich haben, aber das könnte schon ein relevantes Problem sein.

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Billigeres Gas wird auch auf mehr Gasverstromung hinauslaufen. Also eigentlich müsste das den Strompreis eher auf niedrigerem Niveau stabilisieren, weil die Gasverfügbarkeit gleichförmiger ist oder gestaltet werden kann als Strom aus „Erneuerbaren“. Hängt natürlich auch vom Preis für Emissionen ab.