Namensrecht und Selbstbestimmungsgesetz

Ausgehend von dieser Meldung: Bundestag stimmt über Namensrecht und Selbstbestimmungsgesetz ab | tagesschau.de

Wäre das ein interessantes Thema? Eigentlich ja zwei Themen: „Namensrecht“ und „Selbstbestimmung“.

Gibt es da (jeweils) tatsächlich ein Missbrauchspotenzial, wie manche Kritiker behaupten? Ist es sinnvoll/realistisch, dass 14-Jährige ohne Wissen der Eltern ihre Daten auf dem Meldeamt ändern lassen? Und im Fall des Geschlechtseintrags: Kann der Staat nicht generell darauf verzichten, ein Merkmal zu speichern, das in dieser Logik letztlich nur auf der Selbstwahrnehmung beruht (Stichwort: Datensparsamkeit)?

Können sie nicht. Aus dem Artikel:

Ist die Person mindestens 14 Jahre alt, aber nicht volljährig, muss es die Erklärung beim Standesamt zwar selbst abgeben, braucht dafür aber die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Stimmt der nicht zu, kann sich das Familiengericht einschalten.

Eine 14-jährige kann also „ohne Wissen der Eltern“ die Änderung von Geschlecht und Vornamen nur beantragen, die Eltern müssen aber zustimmen, damit der Antrag auch umgesetzt wird.

Da Genderinkongruenz für viele Betroffene in der Pubertät zur großen Belastung werden kann, finde ich es auch nachvollziehbar, dass man Jugendlichen hier ein Initiativrecht einräumt und Eltern ihre Ablehnung im Zweifel auch rechtfertigen müssen.

Das Geschlecht findet in vielen staatlichen Prozessen Berücksichtigung. Ich vermute dass ein Gesetz, dass den Staat komplett „Geschlechtsblind“ macht, ein erheblich größeres Unterfangen wäre, als einfach nur den Prozess der Geschlechtsänderung zu entbürokratisieren. Und ob es dafür eine Mehrheit in der Regierung gibt, wage ich zu bezweifeln Insofern: ein erster wichtiger Schritt, den man feiern sollte und der viele elementare Probleme der Betroffenen aus der Welt schafft. Die nächsten Schritte können ja folgen.

Ergänzung: Die Änderungen des Nachnamensrechts finde ich (so wie im Artikel beschrieben) durchgehend ziemlich sinnvoll.

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Bei diesem Thema kam bei mir in Kombination mit dem Elternschaftsrecht eine Frage auf: aktuell ist es ja so, dass bei lesbischen Paaren mit Kind die Frau, die das Kind bekommen hat, automatisch als Mutter eingetragen wird (soweit logisch). Die andere Frau kann aber nach geltender Rechtslage kein Elternteil werden, weil sie die Vaterschaft nicht anerkennen kann.
Wäre es hier als „Workaround“ gangbar, dass die Frau ihr Geschlecht auf dem Amt ändern lässt und dann die Vaterschaft anerkennt? Den Eintrag zum Geschlecht kann man ja später wieder zurücksetzen.

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Anscheinend gilt immer das Geschlecht zum Zeitpunkt der Geburt. So bleibt eine Mutter auch nach Geschlechtsumwandlung im Geburtenregister die Mutter und ein Vater, wenn er das Geschlecht umgewandelt und vorher eingefrorene Spermien ihrer Partnerin gibt, damit sie ein gemeinsames Kind gebären kann, wird mit dem ehemaligen männlichen Namen eingetragen, da die Frau bei der Gabe der Spermien ein Mann war.

Guter Punkt, da hatte ich nicht genau genug gelesen!

Ist es bei jedem dieser Prozesse besser, das gefühlte Geschlecht zu berücksichtigen? Oder gibt es auch Anliegen, bei denen das biologische Geschlecht berücksichtigt werden sollte?

Mir fällt auf Anhieb kein staatlicher Vorgang ein, der zwingend auf das Speichern des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts angewiesen ist (außer um sicherzustellen, dass die Fristen bei der mehrfachen Geschlechtsänderung eingehalten werden). Aber vielleicht liege ich da auch falsch, bin da wirklich kein Experte.

Bei zwei Themen könnte es relevant werden das biologische Geschlecht zu speichern:

a) Eindeutigkeit der Person sicherstellen.

Das findet sicherlich hier und da über eine Menge unveränderlicher Merkmale statt und nicht über die Steuer ID.
Name und Geschlecht und Geburtsdatum könnten da die Kombination sein

b) medizinische Themen
Wobei da vermutlich eher Krankenkassen und Ärzte betroffen sind.

Möglicherweise gibt es im Bereich (Erb-)Recht noch weitere Fälle aber damit kenne ich mich zu wenig aus.

Mir fällt es schwer mir einen Fall vorzustellen, in dem für eine Feststellung der Identität es darauf ankommt, dass man die Hosen runterlässt und mit dem Eintrag auf der Geburtsurkunde abgleicht. Das Geschlecht für sich allein kann ja (anders als z.B. Name oder Geburtsdatum und -Ort Kombination) alleine gar kein Grundlage für die Identitätsfeststellung sein. Und wenn man erstmal Name und/oder Geburstdatum/-Ort hat, dann kann man mit einem Hauch Detektivarbeit glaube ich alle Zweifel ausräumen, auch wenn das Geschlecht nicht aktenkundlich ist.

Absolut. In einer Krankenakte macht das Sinn, aber das hat mit dem „Staat“ ja erstmal weniger zu tun.

Das einzige Szenario, dass ich mir vorstellen könnte ist wenn ein Erblasser ein Vermächtnis unter der Bedingung ausspricht, dass der Empfänger des Vermächtnisses einen Nachkommen mit einem bestimmten Geschlecht gezeugt hat oder ähnliche Randfälle. Ich nehme an, da würde man Lösungen finden, notfalls vor einem Richter im Einzelfall. Ansonsten werden Erben ja unabhängig vom Geschlecht inzwischen immer gleich behandelt soweit mir das aus meiner Auseinandersetzung mit dem Thema aufgrund mehrerer Erbfälle in der Familie noch geläufig ist.

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Beispielsweise nennt das Strahlenschutzgesetz schärfere Grenzwerte für gebährfähige Frauen. Für Arbeitsplätze, bei denen das Strahlenschutzgesetz potentiell relevant ist, muss also entweder weiterhin der Arbeitgeber diese biologische Information auf eine rechtssichere Art erhalten oder alternativ muss die Verantwortung der Einhaltung dieses Teils des Strahlenschutzgesetzes vom Arbeitergeber auf die Arbeitnehmerin übertragen werden.

Siehe weitere Anliegen unter

Aber hier scheint doch das relevante Kriterium die Gebärfähigkeit zu sein, und diese Information wird ja im Moment wohl auch nicht vom Staat überprüft. Ich weiß nicht, wie das aktuell konkret umgesetzt wird. Da wäre es auf längere Sicht ohnehin ratsam, das Gesetz zu „gebärfähigen Personen“ zu ändern.

Ich gehe mal nicht davon aus, dass der Staat bei jeder Frau in diesen Berufen einzeln die Gebährfähgikeit testen wird, auch weil sich das ja gar nicht so einfach medizinisch bestimmen lässt. Insofern schreibt das Gesetz vermutlich einfach einen niedrigeren Grenzwert für Frauen in einem bestimmten Alter (zum Beispiel bis 45 Jahre) vor.

Aber das Problem mit dieser Regelung (Trans Männer werden davon nach aktuellem Stand nicht erfasst, auch wenn sie theoretisch gebärfähig sind) besteht ja so oder so, allein durch die Möglichkeit zur Änderung des Geschlechtseintrags. Insofern muss der Gesetzgeber hier entweder den Grenzwert für alle senken oder dem Arbeitnehmer die Entscheidung überlassen, in welche Kategorie er/sie sich einordnen will.

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Wenn also schon das biologische Geschlecht nur in bestimmten Situationen relevant ist, wo auch eine einfache Selbstauskunft genügen würde, wirft das doch indrirekt wieder die Frage auf: Warum also überhaupt das Merkmal m/w/d speichern? Warum muss der Staat wissen, mit welchem Geschlecht ich mich identifiziere?

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Solange wir keine akzeptierte genderneutrale Sprache haben und Politiker das korrekte gendern per Verordnung regeln mindestens für die Korrespondenz.

Wie würde denn im Zweifelsfall dann geprüft werden ob sich eine Person jetzt ordnungsgemäß in einer entsprechenden umkleide aufhält oder nicht?

Während das Szenario, dass sich jemand als Frau registriert um in solche Räume zu gelangen zu können, eher unwahrscheinlich ist, wäre es bei einer reinen Selbstauskunft doch ziemlich leicht zu behaupten man identifiziere sich als eben dies oder jenes.

Wer prüft denn aktuell an der Umkleide den Personalausweis?

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Mir ging es um die Frage, dass wenn jemand eine Person aus den Räumen verweisen will, dass es dafür ja dann eine Grundlage geben müsste, sowohl was dann das Recht einer Transperson angeht die gewünschten Umkleiden zu benutzen, als auch was das Verweisen von Unbefugten angeht. Wenn also ausschließlich eine Selbsteinschätzung vorhanden ist, auf welcher Basis sollte das dann geschehen?

Vermutlich auf Basis von sexueller Belästigung.

Das heißt Rausschmiss wenn sich einfach ein Mann bei Frauen umzieht und duscht wäre dann eh kein Thema solange er niemanden belästigt?

Oder reicht bereits das Gefühl einer Belästigung? Das könnte dann aber ja auch für Transpersonen problematisch sein, dass die dann rausgeschmissen werden könnten. Im schlimmsten Fall ja sogar aus beiden Kabinen.

Edit: Wenn es natürlich für die Rechtslage ohnehin völlig unerheblich ist, weil in all den betreffenden Fällen so oder so nur das Hausrecht relevant ist, und weder ein Anspruch darauf besteht sich passend zu seinem Eintrag umziehen zu dürfen und das Verweisen aus den Räumen ebenso alleine mit den Hausrecht einhergeht, dann wäre der Fall nicht relevant.

Zahlreiche Unternehmen nutzen inzwischen auch in der schriftlichen Kommunikation genderneutrale Begrüßungsformeln wie „Hallo“ oder „Guten Tag“. Diese würde ich daher durchaus als akzeptiert ansehen. Zudem sind Briefe von Behörden oftmals ohne persönliche Anrede - in meiner aktuellen Wahlberechtigung heißt es etwa „Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr“ - oder wie haben gar keine Anrede (etwa Steuerbescheide). Mir fällt grad spontan kein Fall ein, wo eine Behörder zur Kommunikation das Geschlecht dringend bräuchte.

Wo Geschlecht tatsächlich eine relavante Kategorie sein könnte, ist bei amtlichen Statistiken - etwa wenn es um den Gender-Paygap geht. Als Kompromiss wäre daher m. E. denkbar, dass staatliche Behörden bei Geburt und Veränderungen jeweils die Kategorie Geschlecht zwar erfassen, diese aber auf individueller Ebene nicht mehr aktiv nutzen.

Damit gäbe es auch einen Nachweis in Streitfällen wie der vielfach vorgebrachten Umkleide- oder Saunasituation. Allerdings finde ich hier viel wichtiger als rechtliche Regelungen des Geschlechtereintrags, dass es Räume gibt, in denen Menschen - egal ob Kinder, Frauen, Transpersonen oder wer auch immer - sich wohlfühlen können, d. h. wo sie nicht doof angeglotzt oder gar angemacht werden. Dafür gibt es ja sehr unterschiedliche Regelungen, deren Durchsetzung aber sowieso (gefühlt) auf 95% Selbsteinschätzung und entsprechendem sozialen Verhalten, zu 4% auf Reaktionen durch anderere Nutzende und zu 1% auf Interventionen des Betreibers, Hausverbote etc. basieren.

Voraussetzung für eine weitgehende „Geschlechtslosigkeit“ des öffentlichen Lebens wäre allerdings m. E. auch eine Sprache (insbesondere Substantivformen und Pronomen) die auch von allen als geschlechtsneutral wahrgenommen wird (wie etwa im Englischen oder Schwedischen). Aber bitte hier jetzt keine neue Debatte zum gendern - dazu gibt es schon gefühlte 27 Threads.

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