Einige Kontextinformationen erscheinen mir hinsichtlich der Einordnung dieses Attentatsversuchs wichtig zu sein.
Die USA sind eine buchstäblich waffenstarrende Gesellschaft. Nach den Daten des letzten Small Arms Survey von 2018 kommen dort auf hundert Einwohner 120,5 Schusswaffen im Besitz von Zivilpersonen. Auch die „waffenfreundliche“ Website Ammo.com bestätigt dieses Datum in ihrem Report „Gun Ownership by State (2024 Statistics)“.
Laut Umfrage-Daten des PEW Research Center vom letzten Jahr ist in sich selbst als konservativ bezeichnenden Haushalten in 59 % mindestens eine Schusswaffe vorhanden, in sich selbst als linksliberal einstufenden Haushalten „nur“ in 27 %.
Das Gun Violence Archive zählte im letzten Jahr „656 mass shootings“ (zit. n. Axios: „Context: The Gun Violence Archive defines a mass shooting as a situation in which at least four people are shot and either injured or killed, not including the shooter.“).
Donald Trumps Politik zu diesem Thema ist, denke ich, bekannt:
Attentate und -versuche auf hochrangige Politiker sind in den USA Legion, hier einige Daten, die ich aus drei Quellen (Tagesschau, WDR und Die Zeit) zusammengestellt habe:
1835 - Andrew Jackson
1865 - Abraham Lincoln
1881 - James Garfield
1901 - William McKinley
1912 - Theodore Roosevelt
1950 - Harry Truman
1963 - John F. Kennedy
1968 - Robert F. Kennedy
1972 - George Wallace
1975 - Gerald Ford
1981 - Ronald Reagan
1982 - George C. Wallace
1994 - Bill Clinton (zwei Versuche)
2011 - Barack Obama
2024 kam nun noch Donald Trump hinzu.
Die sicher noch nicht vollständige Liste zeigt aber schon, dass Attentate/-versuche in den USA eine traurig lange Tradition haben, die - und das ist vielleicht das Besondere - immer wieder bis in die Gegenwart hinein erneuert wurde.
Ein weiterer erwähnenswerter Kontext ist Religion. Identifizierten sich Anfang der 1990erjahre noch 90 % der Bevölkerung als christlich, sank dieser Wert bis in dieses Jahrzehnt auf weniger als zwei Drittel, wobei der Anteil der Nichtreligiösen von fünf auf fast dreißig Prozent stieg, bei den jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren waren es zuletzt sogar 40 % (vgl. PEW Research 2022).
Dieser Bedeutungsverlust hat die besonders konservativen Gläubigen, in den USA sog. Evangelikale oder „wiedergeborene“ Christen, zutiefst verunsichert. 81 % der weißen Evangelikalen bekundeten 2024 für Trump stimmen zu wollen (vgl. PEW Research). Bei der Wahl, als Trump - trotz Stimmenminderheit - Präsident wurde, lag die Rückendeckung dieser Wählerklientel in gleicher Größenordnung.
Vor allem diese besonders Konservativen sehen Trump als eine Art Werkzeug Gottes:
So erklärt sich dann auch, warum Trump dieses Narrativ nach dem Attentatsversuch bedient:
Was ihn selbst angeht, habe „Gott allein“ das „Undenkbare“ verhindert.
Der kulturelle, soziale und ökonomische Wandel der letzten Jahrzehnte fegte über die konservativen Milieus im Mittleren Westen mit solch einer Wucht hinweg, dass sich die vormals »Stillen im Lande« politisch organisierten und radikalisierten. Es war zunächst die Moral Majority, die in den frühen 80er Jahren für die Wiederherstellung traditioneller Familienwerte kämpfte: gegen Abtreibung, gegen gleichgeschlechtliche Ehen, gegen Sex vor der Ehe, gegen Lockerung der Sitten überhaupt. […]
Wer das Weltbild der Evangelikalen verstehen will, der muss die Bibel zur Hand nehmen und die Apokalypse des Johannes studieren.
Diese „Gemengelage“ sollte man meines Erachtens im Hinterkopf behalten, wenn man die derzeitige Lage verstehen will.
Um noch ein kleines Beispiel anzuführen: Beim erschossenen Feuerwehrmann wurde nicht nur von einem Helden gesprochen, sondern auch davon, dass er jeden Sonntag zur Kirche ging - etwas, das uns nicht wichtig erscheint.