Mobilität ganzheitlich neu denken - geht das in Deutschland?

Guten Tag zusammen,

Nachdem ich schon langjähriger Hörer des Podcasts bin, habe ich heute den Schritt zum aktiven Mitglied im Forum getan.
Vor allem, da ich zunehmend (in einzelnen Themen) abweichende Meinungen zu den vorgetragenen habe. So zum Beispiel beim Thema Mobilität auf dem Land.
Wann immer es um die Pendlerpauchale geht kommt früher oder später das Argument, dass man „einfach näher zum Arbeitsplatz ziehen könne“.
Das halte ich für naiv. Gerade auf dem Land sind die Wohnorte oftmals eine Kompromisselösung zwischen den zwei Arbeitsplätzen eines Paares.
Näher zum einen zu ziehen bedeutet weiter weg von dem der Partnerin/des Partners. Das wäre wenig zielführend. Dazu kommen soziale Systeme. Kinder in Kitas und Schulen, Vereine etc.
Mit einer Familie zieht man nicht einfach mal um.
Ich sehe die Pendlerpauschale endsprechend als Möglichmachung die gewählte Arbeit ohne Nachteile auszuführen.

Zum Thema Mobilität auf dem Lande habe ich auch noch weitere Kritikpunkte. Vielleicht bin ich da auch noch zu verwöhnt, aber ich sehe ohne Auto (bzw. Individualverkehr) keine Möglichkeit mit Kindern morgens zeitgerecht alles hin zu bekommen. Mit dem Auto kann ich flexibel zur Kita und weiter zu meiner Arbeit. Mit dem Bus heißt es warten, ggf umsteigen, Kinder abgeben und wieder auf den Bus Richtung Arbeit (in meinem Fall 35km) warten, umsteigen und so weiter.
Beim Abholen der Kinder das gleiche. Und da ist noch nicht bedacht, dass Kinder gerne mal trödeln und eine Verbindungen verpassen.

2 „Gefällt mir“

Auch wenn ich das an anderer Stelle sicher schon breit ausgeführt hatte, würde ich das genauso sehen.

Speziell die aktuelle Lage mit dem Thema zum Deutschlandticket.
Grundsätzlich stimme ich ja den Punkten zu. Das Deutschland Ticket ist einfach, bezahlbar, eine gute Idee und sollte auf jeden Fall bleiben.
Und ja, wir müssen vom Verbrenner weg, absolut dafür. Auch den Individualverkehr zu reduzieren, absolut, ist unbestritten.
Abschaffung Dienstwagenprivileg? Sicher, spart Geld, die Subvention setzt falsche Anreize, macht Sinn.
Abschmelzen Pendlerpauschale? Für viele schmerzhaft, wären oft vierstellige Summen im Jahr für Pendler, die diese zusätzlich stemmen müssten. Könnte man noch mitgehen.

Im der LdN wurde gesagt, das 57% in Deutschland auf dem Land wohnen. Davon nur 20% das Deutschlandticket bzw ÖPNV nutzen.
Diese Zahl würde sich wohl kaum zugunsten des ÖPNV ändern, wenn man alle Autosubventionen streicht und den Spritpreis pro Liter vervielfacht.
Die 57% bzw 37% Nicht-ÖPNV Nutzer müsste weiter Auto/Individualverkehr nutzen, hätte nur signifikant höhere Kosten.
Würde also erstmal dafür „bestraft“, das sie weitere Wege zur Arbeit in Kauf nehmen, um Steuern zahlen zu können und ein Einkommen zu haben.
Wie @MaBre richtig sagt, können nicht alle in die Stadt ziehen, das wollen die Städter auch nicht (weniger Wohnraum, steigende Mieten/Preise).

Mehr ÖPNV auf dem Land ist wirtschaftlich nicht rentabel, selbst kleinere Aufstockungen der Verbindungen verhindern ja nicht, das sich Pendelzeiten gegenüber dem Auto verdoppeln bis verdreifachen.
E-Auto-Ladeinfrastruktur rechnet sich öffentlich auch nur bedingt bzw. wird nur nachrangig ausgebaut, Wallboxen sind quasi nur für Eigenheimbesitzer, was weniger als die Hälfte der Wohnform ausmachen wird.

Also ich find da eine Lösung schwer umzusetzen, nur „Peitsche“ ist insofern ungerecht, da die Menschen/Pendler für etwas bestraft werden, was sie primär nicht beeinflussen können.

Die Darstellung, auch in der aktuellen LdN, läuft oft immer auf den unterschwelligen (vielleicht unbeabsichtigten) Vorwurf heraus, die Menschen, die noch einen Verbrenner fahren, machen das nur aus Trotz, Ignoranz und Bequemlichkeit und müssten dazu zum Umstieg gezwungen werden. Zum Umstieg auf was?

1 „Gefällt mir“

Schön das du dich angemeldet hast. Deine Punkte sind insofern richtig, das Sie den aktuellen Status wiedergeben. Der Punkt ist ja, für eine Änderung deiner Mobilitätspreferenzen, sich die Rahmenbedingungen ändern müssen. Besserer öffentlicher Nahverkehr, mehr Homeoffice/flexible Arbeitszeiten, Ganztagsschulen, eine Bezahlung das sich auch zwei 50% Jobs lohnen so das man Zeit hat für seine Kinder, Elektroautos wo Individualverkehr notwendig ist…am besten günstig mit eigener Solaranlage betankt und und und…
Einfach nur "Dann zieh doch näher zur Arbeit " wird so in der Lage nicht gesagt bzw. denke ich nicht das dies die Kernaussage ist.

2 „Gefällt mir“

Zugegeben, „zieh näher zur Arbeit“ war nicht sauber zitiert, sondern überspitzt. Nichtsdestotrotz bleibt es mir als Betroffener oft als Message hängen.
Mir ist auch bewusst, dass ein anpassen der Rahmenbedingungen notwendig ist. Von welchen Zeitskalen sprechen wir denn? Wenn es um die Kürzung klimaschädlicher Subventionen geht, dann am liebsten so schnell wie möglich. Eine Anpassung der Rahmenbedingungen ist ein Prozess über Jahrzehnte. Wo sind die Lösungen für den Übergang?
Zugegeben, jetzt wirds individuell und nicht mehr repräsentativ:
Meine Frau und ich arbeiten beide in Teilzeit und haben beide teilweise Homeoffice. Bei mir kommt dazu, dass ich in der Beratung landwirtschaftlicher Betriebe arbeite und viele Hoftermine habe (-> Höfe und öffentlicher Nahverkehr - schwierig).
Wir haben zwei Kinder und die haben wir nicht bekommen, um sie den ganzen Tag in Fremdbetreuung zu stecken. Wir haben einen Top Kindergarten erwischt, aber mehr als 35h/Woche schaffen die Kids nicht. Ein Glück, können uns die Großeltern unterstützen (nächstes Thema: → Erhöhung Renteneintrittsalter. Wie viele Großerltern ermöglichen es jungen Eltern früher arbeiten zu gehen. Ist es sinnvoll, wenn die stattdessen selber arbeiten müssen?)
Ganztagsschulen mögen für viele eine gute Idee sein, aber beim jetzigen Zustand schickt man seine Kinder schon nicht gerne halbe Tage (-> Renovierungen der Schulen wann? Zeitraum 5-10 Jahre?)
Photovoltaik, super gerne! Wir haben vergangenes Jahr einen Altbau mit Scheune gekauft und renoviert. Ich hatte und habe immernoch als Ziel Photovoltaik zu legen. Vom Dachdecker kam die Aussage, dass erst der Dachstuhl erneuert werden müsse. Das Geld sitzt nicht so locker, also wird es verschoben. So gerne ich Photovoltaik hätte, einen neuen Dachstuhl können wir uns auch erst in 5-10 Jahren leisten.

Mir ist klar, dass diese speziellen Probleme nicht auf die Mehrheit zutreffen. Aber dennoch bleibt die Mehrheit träge und zwar nicht, wie @Mike richtig sagt, aus Trotz und Ignoranz, sondern weil ganz viele keine Lösungen für ihre eigenen Probleme sehen.

Sorry fürs Abweichen vom Hauptthema.
Wie ihr seht, habe ich viel Diskussionsbedarf :smiley:
Liebe Grüße!

1 „Gefällt mir“