Minijobs/450€ Jobs sind problematisch

Im Oktober 2022 steht zusammen mit der Mindestlohn-Erhöhung auch die Erhöhung der Verdienstgrenze für Minijobs auf 520 Euro an. Ich fände es super, wenn ihr euch darum auch einmal kritisch mit dem Minijob-Modell auseinandersetzen könntet.

Es gibt hier zahlreiche Kritikpunkte:

  1. Das Modell Minijob ist nicht so unkompliziert, wie es gerne verkauft wird. So gibt es zahlreiche Untermodelle mit eigenen Regeln, die beachtet werden müssen (kurzfristiger Minijob, „langfristiger“ Minijob mit Einkommen von unter 450€ im Monat, Minijob im Privathaushalt bzw. gewerbliche Minijobs, Minijob als Haupt- oder Nebentätigkeit, opt-out Möglichkeit aus Rentenzahlung - eine Übersicht z.B. hier: Begriffserklärung: Minijob - Bundesagentur für Arbeit).
  2. Schlechte Arbeitsbedingungen: Leute mit Minijobs haben die selben Rechte (Urlaubsanspruch, Krankheitsgeld, Feiertage) wie bspw. Vollzeitbeschäftigte, können diese aber häufig nicht durchsetzen.
    Es gibt ein paar veraltete Zahlen aus einer Befragung von 2016, z.B. hier ab Seite 59
    https://www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/rwi-projektberichte/rwi-pb_minijobs-mindestlohn.pdf
  3. Steuerliche Anreize/Abgaben halten v.a. Zweitverdiener in der Minijob-Falle, siehe z.B. hier
    Frauen in der Minijob-Falle: Bertelsmann Stiftung. Freiwiliige Zahlung von Rentenbeiträgen sind zwar vorgehesen, lohnen sich aber kaum für die Minijobber (Minijob-Zentrale - Befreiung Rentenversicherungspflicht)
  4. Wie unsicher die Beschäftigung in Minijobs war, hat man spätestens während Corona gesehen - siehe z.B. hier Minijobs sind Teil des Niedriglohnsektors - Hans-Böckler-Stiftung

Es gibt noch zahlreiche weitere Kritikpunkte - z.B. zahlen Minijober einen Pauschalbetrag zur Krankenversicherung, haben aber effektiv nichts davon, v.a. wenn sie schon anderweitig krankenversichert sind (z.B. Familienversichert, studentisch versichert, über Hauptjob versichert).

An sich sicher ein Thema, über das man sich gut aufregen kann, wenn man sich mal einliest :slight_smile:

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Danke für den Themenvorschlag! Mit der geplanten Erhöhung der Minijobgrenze ergibt sich die seltene Chance, etwas am Konstrukt zu ändern.

Der Kritikpunkt 3. der Zweitverdiener in der Minijob-Falle würde ich gerne differenzieren: Für Schüler*innen und Studierende in Minijobs würde ich hier keine „Falle“ sehen, da nach abgeschlossener Ausbildung in der Regel eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder Selbständigkeit steht. Zur Überbrückung ist sind die für diese Gruppen Minijobs gut geeignet:

Steuern: irrelevant, ob Minijob oder nicht, da bei Stkl. 1 weit unter dem Grundfreibetrag.

Arbeitslosenversicherung: als Schüler*in bzw. Studierender ist dies die Hauptbeschäftigung, ein Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung gibt es ohnehin nicht, selbst wenn eingezahlt würde.

Kranken/Pflegeversicherung: Der Pauschalbeitrag ohne Leistungsanspruch ist ein fragwürdiges Konstrukt, Zustimmung zu @Mischmus. Eine Versicherung mit eigenem Leistungsanspruch könnte statt studentischer Krankenversicherung günstiger sein, statt bei kostenfreier Familienversicherung dagegen teurer.

Rentenversicherung: Einzahlungsmöglichkeit mit Opt-Out finde ich für gut informierte Minijobber ok (Kurzinformation: Minijob-Zentrale - Startseite - Merkblatt - Befreiung von der Rentenversicherungspflicht). Ich befürchte aber, dass sich viele ohne nachzudenken befreien lassen.

Vorschlag: Minijobs für Schüler*innen/Studierende könnte beibehalten werden oder alternativ (besser?) könnte der Werkstudentenstatus dafür ausgedehnt. Dieser ist ähnlich zum Minijob, sieht aber keine Pauschalabgabe zur Krankenversicherung vor und es gibt kein Opt-Out bei der Rentenversicherung. Der sozialversicherungsrechtliche Werkstudentenstatus ist entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht an die Arbeit „im Werk“ gekoppelt und muss auch nichts mit dem Studium zu tun haben.

Bei Minijobbern nach Abschluss der Ausbildung und vor Beginn der Rente stimme ich dem Problem der „Minijob-Falle“ in vollem Umfang zu.

Zu 2. und 4.: Meine These: Schlecht durchsetzbare Rechte wie Feiertagsvergütung und ein unsicherer Job liegen eher an einer geringen Arbeitszeit (z.B. 30 Stunden im Monat), besonders wenn es keine festen Arbeitswochentage gibt, und weniger an der Sozialversicherung.
Also ich nehme an, ein hypothetischer sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer mit 30 Stunden im Monat hätte die gleichen Probleme wie ein Minijobber der gleichen Arbeitszeit.

Freue mich auf Gegenmeinungen :slight_smile:

Zu 2 und 4 sprechen die Arbeitsgerichte eine klare Sprache.
Zu klagen bedeutet aber erst mal in Vorleistung zu gehen, was für viele Minijobber nicht so einfach ist, davon abgesehen, dass die wenigsten ihre Rechte kennen (was zugegeben ihnen selbst anzulasten ist, oder besser aufgeklärt gehört).
Ich sehe im Minijob ein Problem für den Arbeitsmarkt, weil es keine Durchlässigkeit nach oben gibt.

Für Studenten eine gute Sache, aber tragen sie damit nicht zum Lohndumping z.B. in der Gastronomie bei?
Ab 521€ oder jetzt 451€ greift die Gleitzone und dem Studenten bleibt so gut wie alles vom brutto als netto.
Ab 521€ kann man ja dem Studenten auch einen Werksstudenten-Status verleihen. Dank Lohnkonto kann er die Stunden flexibel verteilen nach Bedarf. Überbezahlt wird er dann bestimmt nicht.

Ich sehe keine echten Vorteile im Minijob, außer dem steuerfreien Zuverdienst, davon profitieren aber vor allem wieder die mit hohen Steuersätzen. Für den Ehepartner des Gutverdieners bedeutet es meist Arbeiten unterhalb der Qualifikation, was bei einer Scheidung dann richtig bitter wird.

Der Staat hat damit eine heimliche Grenze eingezogen, was man mindestens für eine gesetzliche Versicherung verdienen muss. Es wäre schöner, wenn er das einfach so benennen oder fairer lösen würde.

Danke für die interessanten Punkte.

Dass Arbeitsrechte bei Minijobs nicht durchgsesetzt werden hat meiner Meinung nach nichts mit der geringen Arbeitszeit zu tun - das lässt sich alles lösen. Auch ohne feste Arbeitwochentage kann man Urlaubsansprüche bzw. Ansprüche auf Feiertage berechnen, notfalls indem man die 30 Wochenstunden auf 20 Arbeitstage verteilt. In sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjobs findet man hier ja auch Lösungen.

Ich denke viel eher, dass Arbeitgeber sich nicht über ihre Pflichten den Minijobbern gegenüber informieren, weil sie als weniger wertige Hilfsarbeiten wahrgenommen werden.
Aus eigener Erfahrung bzw. von Bekannten höre ich häufig, dass Arbeitgeber bei Minijobbern erwarten, dass sie Feiertage oder verpasste Arbeitstage aufgrund von Krankheit nacharbeiten.

Auch von der Politik werden keine Informationskampagnen gefahren, die Minijobber über ihre Rechte aufklärt.
Eine Lösungsidee: Man lässt man Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Aufnahme eines Minijobs verpflichtend ein Blatt unterschreiben, in dem die Rechte und Pflichten aufgeführt werden. Das ist vor dem Hintergrund der großen Probleme bei der Durchsetzung der Arbeitsrechte aus meiner Sicht gerechtfertigt.

zu @der_Matti s letztem Punkt: Eine Einkommensgrenze zur eigenen KV/PV ist tatsächlich nicht mehr zeitgemäß zumindest in Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften. Für das „bigger picture“ ist es nötig sich im Zusammenhang mit Minijobs auch mit der Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beschäftigen.

Nach der jetzigen Regelung wird nur das Einkommen der Erwerbstätigen in einer Ehe berücksichtigt für die Beitragshöhe; und auch nur bis zur Beitragsbemessunggrenze. Der/die Ehepartner/in wird kostenfrei mitversichert, wenn er nichts verdient. Wenn beide Ehepartner die Erwerbsarbeit teilen und auf das gleiche Bruttoeinkommen kommen, wird ein insgesamt höherer KV/PV-Beitrag fällig, sofern der Alleinverdienende vorher über der Beitragsbemessungsgrenze war. Wollen wir die Alleinverdienerehe wirklich so subventionieren? (passt zu Punkt 3 im ersten Post)

Siehe dazu folgende Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV aus dem Jahr 2008: https://www.wip-pkv.de/fileadmin/DATEN/Dokumente/Veroeffentlichungen/Solidaritaet_GKV_Was_leistet_die_Familienversicherung.pdf

Und nun zum Minijob: hat der weniger-Verdienende Ehepartner nur einen Minjob, ist er weiter kostenlos mitversichert. Ein unverheiratet Minijobbender (als Studierender zusätzlich über 25) muss sich dagegen noch um eine eigene Krankenversicherung bemühen, die anteilig vom Gehalt deutlich über dem gesetzlichen Satz liegt, zumal AG-Pauschbetrag zur Krankenversicherung nicht berücksichtigt wird. Dafür wird ein „fiktives“ Einkommen von über 1000€ zugrunde gelegt. Zusammen mit der Pflegeversicherung werden etwa 200€/Monat fällig. (Ich bin nicht erwerbstätig und freiwillig versichert. Wie hoch ist mein Beitrag? | Die Techniker) Als Studierender unter 30 ca. 110€/Monat. Dies subventioniert bestimmte Lebensmodell von Erwachsenen, denn ob jemand Kinder hat/betreut, spielt hier kein Rolle.

Die genannte Studie hat verschiedene Lösungsansätze, z.B. statt dem Erwerbseinkommen des Einzelnen das „Haushaltseinkommen“ zu berücksichtigen.

Ich hole das Thema nochmal hoch, ist ja jetzt wieder aktuell.

Hier noch eine schöne Zusammenfassung zur Problematik: