Merz - Vergewaltigung in der Ehe

Liebe Lage,

Der tatsächlich überaus beliebten Geschichte über das Abstimmungsverhalten von Merz, muss man fast immer folgendes hinzufügen: es gab einen inhaltlichen Streit um eine sog. Widerspruchsklausel. Ob die einzelnen Abgeordneten nicht zugestimmt haben, weil sie eine Lösung mit Widerspruchsklausel präferiert haben oder weil sie die damals bestehende Strafandrohung für ausreichend hielten, weiß man nicht.

Merz gibt jedenfalls an, sein Abstimmungsverhalten erkläre sich durch diesen inhaltlichen Unterschied. Er habe befürchtet „dass Strafverfahren durch Falschbehauptungen zerstrittener Ehepartner dem berechtigten Schutzinteresse betroffener Frauen eher schaden als nützen würden. Deshalb haben wir damals für eine Regelung mit Widerspruchsklausel gestimmt.“

Davon kann man ja halten was man will. Die Info gehört aber meines Erachtens nach zu jeder seriösen Berichterstattung über das Thema. Warum sie mit mMn arg tendenziösem Ergebnis ständig ausgespart wird, ist mir nicht so ganz klar. Es ist ja nicht so, als gäbe es an Merz nichts zu kritisieren.
LG

Man muss doch nicht jeden noch so durchsichtigen Vorwand journalistisch adeln. Merz hat damals dagegen gestimmt, das ist Fakt. Daraus können die Menschen dann ja machen was sie wollen, beispielsweise sich auf die Suche nach heiklen Erklärungsversuchen begeben.

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Das heißt in Ihrer Gedankenwelt kommt als Motivation für das Abstimmungsverhalten von Merz nur eine Option infrage, nämlich das Friedrich Merz gerne hätte, dass Männer durch erzwungenem Sex mit ihren Ehepartnern vor dem Gesetz nicht zu Vergewaltigern werden?

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Exakt.

Das wurde damals ja auch so kommuniziert, nämlich mit dem „Argument“, man wolle die Ehe nicht mit den strafrechtlichen Ermittlungen belasten - gerade so, als sei nicht der erzwungene Sex das Problem, sondern dessen rechtliche Konsequenzen.

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Das ist natürlich richtig. So durchsichtig ist der Einwand aber nicht. Dass es den Streit um die Ausgestaltung mit oder ohne Widerspruchsklausel im Parlament gab, ist unbestritten. Dass ein Streit Streitende voraussetzt auch. Warum es jetzt so „durchsichtig“ sein soll, dass Merz entgegen eigener Angaben nicht zu diesen Streitenden gehört hat, erschließt sich mir überhaupt nicht.

Ungefähr das war doch ein „Argument“ für die Lösung mit Widerspruchsklausel. Die vergewaltigte Person soll selbst entscheiden, ob sie die Ehe „belasten“ will, indem sie den Vergewaltiger zur Rechenschaft zieht. Das klingt natürlich auf den ersten Blick gut. Die Sorge, dass Opfer dann von ihren Partnern unter Druck gesetzt werden könnten, ist aber warhscheinlich auch begründet. Ob so eine Klausel letztlich sinnvoll ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen.

Dass man durch selektive Auswahl von „Fakten“ falsche Berichterstattung betreiben kann, sollte inzwischen unter Journalisten unumstritten sein. Es ist nicht Aufgabe des Zuhörers, alles nachzuprüfen und zu kontextualisieren. Andernfalls könnte sich auch die AFD mit ihren selektiven und irreführenden Statistiken damit rausreden, dass die Zahlen oft „stimmen“.

Auch wer nur Fakten nennt, trägt Verantwortung für die Interpretation, die er durch die (erforderliche) selektive Auswahl der Fakten nahelegt.

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Schlimm genug, dass man kurz vor Eintritt ins neue Jahrtausend über solche Fragen überhaupt noch abstimmen musste.
Ich habe zwar Gottseidank mit dem Thema Vergewaltigung keine persönlichen Erfahrungen, aber als Frau kann ich es vielleicht dennoch eher nachvollziehen, was eine Vergewaltigung bedeutet. Vermutlich macht es aus Opfersicht keinen Unterschied, was den seelischen und körperlichen Schmerz anbelangt, ob man mit dem Täter nun auf dem Papier verheiratet ist oder nicht!
Die Abstimmung ist zwar über 20 Jahre her, aber das macht es nicht besser.
Ein Vergewaltigungsopfer muss mit den Folgen der Tat schließlich auch ein Leben lang zurecht kommen!

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Ich bin alles andere als ein Befürworter / Anhänger / Sympathisant von F. Merz oder seiner politischen Position.

Aber: Wenn wir gegen dessen Kandidatur als CDU-Vorsitzenden nur noch ein Abstimmungsverhalten von vor 23 Jahren haben, dann spräche viel weniger gegen Merz als es tatsächlich tut!

Eine Unterstellung, Herr Merz würde Vergewaltigungen in der Ehe gutheißen, finde ich extrem weit hergeholt. Ich meine, Herr Merz hat damals in seiner Güterabwägung seine Entscheidung getroffen. Ich und die meisten hier wären damals zu einem anderen Ergebnis genommen. Das Ergebnis von Herrn Merz, d.h. seine Gewichtung der Argumente in seiner Güterabwägung sagt viel über das Wertegerüst von Herrn Merz im Jahre 1997. Wie viel das über seine Befähigung als CDU Vorsitzender im Jahre 2020 sagt, darüber brauche ich gar nicht nachdenken, denn ich habe genügend andere Argumente, warum ich allen CDU-Deligierten nur empfehlen kann, einen der beiden anderen Kandidaten zu wählen.

Es sollten aber diejenigen darüber nachdenken, denen diese Entscheidung als einziges (oder erstes) Argument gegen Merz einfällt, was das über sie aussagt …

Das ist aber ein Scheinargument: Die verletzte Person kann ja ohnehin entscheiden, ob sie die Tat zur Anzeige bringen will.

Die Widerspruchsklausel hätte darüber hinaus auch noch dazu geführt, dass eine Verfolgung als Vergewaltigung nicht mehr möglich gewesen wäre, wenn es sich das Opfer im Nachhinein anders überlegt. Was erst mal gut klingt, wäre in der Praxis ein Horror für die Geschädigten: Bis zur Rechtskraft einer Verurteilung müssten sie dann nämlich mit den Erpressungsversuchen mancher Täter leben, der Strafverfolgung zu widersprechen.

Das ist leider keine graue Theorie, sondern trauriger Alltag beim analogen Problem im Kontext häuslicher Gewalt, wo die Beschuldigten regelmäßig versuchen, die Opfer zur Rücknahme des Strafantrages zu zwingen. Immer mehr Staatsanwaltschaften gehen daher dazu über, bei häuslicher Gewalt und mysteriös zurückgenommenen Strafanträgen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung anzunehmen, damit sich die Erpressung nicht auch noch auszahlt.

Und genau dieses kaputte System, das von §§ 223, 230 StGB hinreichend bekannt ist, wollten einige Dudes aus der Unionsfraktion damals auch noch auf die Vergewaltigung in der Ehe übertragen. Das disqualifiziert sich denke ich selbst.

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Ein Mensch kann Fehler machen. Aber wenn er nicht mal einsieht, dass es ein Fehler war und der Umgang mit der Kritik zeigt, dass Merz das nicht tut, dann sagt das durchaus etwas über sein Wertgerüst im Jahr 2021 aus.

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Das stimmt wahrscheinlich. Inhaltlich gesehen glaube ich gerne, dass so eine Widerspruchsklausel Quatsch ist.

Das war aber nicht das Thema. Es ging nicht darum, ob eine Widerspruchslösung sinnvoll ist, sondern ob man offenlegen sollte, dass die Abgeordneten evtl nur gegen das Gesetz gestimmt haben, weil sie einen anderen Entwurf (mit Widerspruchsklausel) unterstützt haben.

Jeder der das liest, kann sich ja selbst Gedanken machen, ob die Info seine Interpretation des Abstimmungsverhaltens wesentlich beeinflusst hätte oder nicht.

@Bella @TilRq Ich habe - nicht ganz mit Freude - Fritzes Rede auf dem Parteitag verfolgt. Parallelen zu dem Wertkonstrukt Merz 1997 zeigten sich hier deutlich auf:

  • „Eine Stimme für die AfD ist eine halbe Stimme für Rot-rot-grün.“ Vorher noch palabern, dass man fairen und respektvollen politischen Wettbewerb auf Augenhöhe prägen will und dann so etwas? Ernsthaft? Das ist Wahlkampf mit US-Qualität und muss wirklich nicht sein.
  • „Ich werde auch Sie fordern.“ (paraphrasiert) Wie hierarchisch ist das denn bitte? Dieser Satz würdigt die Arbeit aller Kommunalpolitiker*innen und sonstiger der CDU herab, die harte Arbeit leisten. Als ob die sich auf irgendwas ausruhen würden.
  • Er verzichtet auf einen Vorstandsposten „zugunsten der Frauen“. Das ist einfach symbolisch für das Patriarchat. Wer nimmt ihm denn ernsthaft den Paritätsgedanken ab? Vielmehr tritt er hier als Gönner auf, der gute Merz, der mal den Frauen den Vortritt lässt weil er es sich leisten kann. Total unsympathisch und unglaubwürdig.
  • Schließlich das enorm dreiste Angebot zur Übernahme des Wirtschaftsministeriums. Das krankt schon an mehreren Punkten: Laschet ist zwar als neuer CDU-Vorsitzender wichtiger Teil der Regierung, er hat aber weder die Entscheidungsbefugnis über das Kabinett noch derzeit die Autorität, eine Umformung anzustoßen, beides liegt bei Merkel. Zudem ist das eine Form der Respektlosigkeit gegenüber Peter Altmeier (von dem man halten kann was man will), die an Maßlosigkeit nicht zu überbieten ist.

Ein Glück, dass es nicht er geworden ist. Ich hoffe, dass er sich jetzt endgültig aus der Politik zurückzieht. Dieses Weltbild gehört streckenweise in die AfD, und über deren Rolle im politischen Spektrum gibt es ja immer mehr Klarheit.

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Grundsätzlich bin ich da bei dir Leopardy. Ich finde es ist wichtig das Verhältnis der Kandidaten zu Frauenrechten gesellschaftlich zu diskutieren. Dabei hätte man das Abstimmungsverhalten von Merz und seine Positionierung dazu inkl. dem Thema Widerspruchsklausel in den Medien genauer beleuchten müssen. Das Argument von Ulf gegen die Widerspruchsklausel ist aus meiner Sicht schlüssig und führt einen erneut vor die Frage: Was wollte Merz mit seinem Abstimmungsverhalten bezwecken? Wollte er wirklich Männer schützen, die ihre Frauen vergewaltigen?

Das scheint der einzige Schluss zu sein und ich denke, dass alle die ohnehin zu anderen Kandidaten tendieren das völlig verständlicherweise als Argument gegen Merz ins Feld führen. Dagegen muss ein Kanzlerkandidat in spe sich aber besser behaupten. Die Aussage er habe ja schließlich auch Frau und Tochter und daher kann er ja kein Chauvi sein ist einfach zu schwach. Daher scheint mir, dass Merz den Bereich Frauenrechte nicht ernst genug genommen hat. Damals hat er aus mir unerfindlichen Gründen für die falsche Sache gestimmt und dann hat er es nie genau erklärt. Damit kommt er berechtigterweise nicht durch.

Aus meiner Sicht sehr schade, denn ganz offen: Lieber Merz als Kanzler, als Laschet als CDU-Chef mit Söder als Kanzler. (Röttgen wäre allerdings meine #1 gewesen, aber das brauchen wir hier nicht zu diskutieren.)

Ich sehe da übrigens kein Versagen bei LdN. Ich höre die Lage nicht als neutrale Wiedergabe der Nachrichten der Woche (was ja auch langweilig wäre), sondern finde die beiden nehmen dabei eine progressive und fundierte Perspektive ein. Da verlange ich nicht, dass sie Merz solange hinterherlaufen, bis sie von ihm eine schlüssige Antwort zu dem Thema haben.

selbstverständlich ist das das thema.
Die Abstimmung ist ja nicht inhaltsleer und nur zwei beliebige Optionen einer Wahrscheinlichkeitsrechnung. Denn egal ob Merz (Seehofer und co.) gegen die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestimmt haben weil sie die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe an sich nicht problematisch finden, oder weil sie diese Widerspruchsklausel in den Gesetzesentwurf implementiert sehen wollten, so kommt es inhaltlich aufs Gleiche raus, wie Ulf erläutert hat: eine de facto juristische Schwächung der Position der Frau in einem hochsensiblen Feld.

Ich kann mich hier nur eineR VorrednerIn anschließen: die einzige legitime Reaktion auf diesen fauxpas der Vergangenheit wäre gewesen, sich zu entschuldigen. Das würde heutzutage vielen Menschen gut tun und für kredibilität sorgen, wird aber leider immerfort mit schwäche konnotiert.

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Danke für diese Einordnung! Das ist unglaublich wertvoll zu wissen!