Die beiden Aussagen passen meiner Meinung nach nicht zusammen.
Ja, Grundrechte sind primär Abwehrrechte gegen den Staat, allerdings ist hier auch die Drittwirkung von Grundrechten von Bedeutung - wenn es um Plattformen wie PimEyes geht wird diskutiert, inwiefern der Staat im Rahmen einer Schutzpflicht verpflichtet ist, Grundrechtseingriffe durch nicht-staatliche Träger zu verhindern. Die Drittwirkung von Grundrechten wird in den letzten Jahrzehnten immer bedeutender, weil die Machtverhältnisse zwischen „Staat“ und „Großunternehmen“ mehr und mehr in Richtung der Unternehmen verschoben wurden. Wenn plötzlich Unternehmen wie Facebook, Twitter und co. so viel Macht haben, dass sie Grundrechte der Bürger in großem Maßstab einschränken können, wird es notwendig, dass der Staat auch Privatunternehmen an die Grundrechte bindet.
Aber wie du ja selbst sagst, geht es hier konkret um das Verhältnis Staat zu Bürger.
Das ist so nicht korrekt. Der Staat darf z.B. nicht jederzeit unbegründete Personenkontrollen durchführen, du bist auch nicht verpflichtet, jederzeit deinen Ausweis mit dir zu führen. Ja, es gibt Meldepflichten und andere Einschränkungen der Privatsphäre, aber das, was du hier schilderst („Der Staat muss grundsätzlich immer in der Lage sein jedes Individuum in seinem Hoheitsgebiet identifizieren zu können.“) ist die Definition eines Polizeistaates, nicht einer freiheitlichen Demokratie. In einer freiheitlichen Demokratie hat der Staat ein Recht, ein Individuum zu identifizieren, wenn er in der konkreten Situation ein berechtigtes Interesse hat. Daher: Wenn der (nachvollziehbare!) Verdacht einer Straftat vorliegt, darf die Polizei dich zur Identifizierung anhalten und sogar auf die Wache nehmen. Aber sonst eben nicht! Und genau das wird auch für das Internet gefordert, genau das wäre das Resultat von „Quick Freeze vs. Vorratsdatenspeicherung“. Die Vorratsdatenspeicherung entspricht der permanenten Kontrolle aller Bürger im öffentlichen Raum, der Quick Freeze entspricht der Kontrolle bei konkretem Verdacht einer Straftat.
Wie gesagt, eine völlige Aufhebung der Anonymität, egal ob im öffentlichen Raum oder im Internet, ist ein Kennzeichen für einen Polizeistaat, nicht für eine freiheitliche Demokratie. Wie man das Recht auf Anonymität herleiten kann, habe ich im letzten Beitrag recht klar anhand von Art. 8 Abs. 1 EMRK dargestellt.
Und ja, du darfst dich im öffentlichen Raum auch verschleiern, wenn du das möchtest. Das Vermummungsverbot gilt nur auf Demonstrationen (und ist demokratietheoretisch schon stark umstritten. Fun Fact: Die Einführung eines Vermummungsverbotes war beim Euromaidan in der Ukraine einer der Tropfen, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben…), ansonsten gibt es gerade keine Gesetze, die es dir verbieten würden, dich verschleiert in der Öffentlichkeit zu bewegen. Auch wenn konservative Sicherheitspolitiker gerne die Burka-Verbots-Debatte verwenden würden, um ein generelles öffentliches Verscheierungsverbot durchzusetzen… ein Schelm, wer Böses dabei denkt, den konservativen Sicherheitspolitikern geht es natürlich dabei um Frauenrechte, wir wissen ja alle, welche Priorität Frauenrechte für diese Leute haben