Mein Problem mit "Erste Hilfe gegen Desinformation"

Zunächst einmal finde ich es den Ansatz gut, populistischen Thesen rational zu erörtern. Für jeden der ernsthaft daran interessiert ist sich weiter zu entwickeln ist das ein guter Anlaufpunkt. Und also Vorbereitung auf potentielle Debatten ist es mit Sicherheit hilfreich die Hintergründe zu kennen.

Ich habe allerdings Zweifel inwieweit diese Argumente in einer Debatte tatsächlich direkt nützlich sind.

Meiner Erfahrung nach entgleisen Diskussionen sehr schnell wenn man in Fakten direkt dagegen hält. Was typischerweise passiert ist dass wilde Behauptungen aufgestellt werden und alle Argumente dagegen als Lügen der Systempresse oder anderweitig abgestempelt werden. Und ganz schnell ist man in einer Diskussion über den öffentlich rechtlichen Rundfunk und grüner Meinungsdiktatur obwohl das überhaupt nichts mit dem Thema zu tun hat.

Dazu kommt, dass wenn man nicht exzellent vorbereitet ist, man ganz schnell mit Aussagen konfrontiert werden kann die man vorher noch nicht gehört und dann in der Bringschuld ist was Argumente angeht.

Letztes prominentes Beispiel ist die TV Debatte von Donal Trump und Kamala Harris wo Donald Trump behauptet hat, illegale Einwanderer essen Haustiere. Der Moderator hat dann nur geantwortet, dass gewählte Vertreter vor Ort das nicht bestätigt haben hat und Donald Trump hat dann mehr oder weniger impliziert, dass das eine Lüge ist. Der Zuschauer steht dann da und hat die Möglichkeit das eine oder das andere zu glauben.

Eine passendere Taktik meiner Meinung nach ist dem vorauszukommen indem man nachfragt was genau jemand mit einer Aussage meint, nach Belegen fragt oder versucht logische Fehler in der Argumentation aufzuzeigen. Außerdem sollte man darauf bestehen beim Thema zu bleiben und dem Gegenüber nicht von einem schlechten Argument zum nächsten springen lässt. James O’Brien von LBC in Großbritannien macht das sehr gut.

Eine gute Daumenregel ist auch mehr Fragen zu stellen als Aussagen zu treffen.

All das ändert auch keine Meinungen aber hat bessere Chancen Beobachter einer Diskussion zu überzeugen oder vielleicht sogar einen Funken Zweifel beim Diskussionspartner zu sähen.

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Das ist in der Tat ein typisches Problem. Die Frage ist letztlich, wen man damit erreichen will.

Diejenigen, die tief im Hasenbau stecken, wird man mit logischer Argumentation nicht erreichen können - die werden in jedem Fall von einer Verschwörungstheorie zur nächsten springen und im Zweifel lügen halt alle und nur man selbst und "der Messias"™ (sei es Trump oder Höcke) sagt die Wahrheit. Solche Leute sind ehrlich gesagt verloren - wenn jemand in einer Diskussion so reagiert, sollte man die Reißleine ziehen und sich die Zeit und Mühe zu ersparen, dagegen an zu diskutieren. Es ist zwecklos. Da brauchen wir keine „erste Hilfe“ mehr, sondern eine langjährige Chemo-Therapie :wink:

Es gibt aber genug Leute, die nur einzelne absurde Argumente mal aufgeschnappt und verbreitet haben. Wenn wir alle mal ganz kritisch in unsere eigene Vergangenheit schauen kann vermutlich jeder von uns einen Punkt nennen, in dem er mal absurden Unfug geglaubt hat. In solchen Situationen ist es wichtig, dass die Leute mit der Realität konfrontiert werden, bevor sie die These anderen gegenüber äußern und dort bestärkt werden und im schlimmsten Fall dann in eine problematische Bubble geraten. Das sind Situationen, wo „Erste Hilfe“ sinnvoll ist.

Aber auch in öffentlichen Diskussionen ist es gut, zumindest die erste krude These zu widerlegen. Wenn man dann merkt, dass die andere Person sofort auf noch krudere Thesen ausweicht, ist zumindest jedem neutralen Betrachter klar, was dort passiert ist. Es ist ein wenig so, wie mit dem TV-Duell von Harris und Trump, das du ansprichst: Es ist Harris gelungen, dass Trump genau dieses Verhalten von „Ich steigere mich in meine absurden Theorien hinein“ an den Tag gelegt hat, und das schreckt die unentschlossenen Wähler vermutlich massiv ab.

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Ich finde die Kategorie hier im Forum schlicht nutzlos.

Faktencheck-Plattformen gibt es seit vielen Jahren, betrieben von seriösen Journalisten, die sauber ihre Quellen darlegen. Die Anzahl dieser Fakten-Sammlungen ist seit Trump noch einmal gestiegen. Es hat nichts gebracht.

Wir wissen seit inzwischen Ewigkeiten, dass es keine „Hilfe gegen Desinformation“ auf Faktenbasis gibt. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum es in diesem Forum nun eine weitere Sammlung von Faktenchecks geben soll.

Es bringt nichts. Es hilft nicht, akribisch nachzuweisen, dass Haitianer keine Katzen essen. Es hilft nicht, mit sauberen Quellen dazulegen, dass die Kriminalitätsstatistik sinkt. Es hilft nicht, die Situation der medizinischen Versorgung in den östlichen Bundesländern darzulegen und warum man deshalb ausländische Ärzte per Immigration braucht.

Desinformation richtet sich an das Gefühl des Zuhörers, nicht an sein Großhirn. Man muss damit ansetzen, das Gefühl anzusprechen, erst dann kann das Denken wieder einsetzen.

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Du könntest Recht haben, aber die Frage wäre dann wiederum: Schadet es?

Auch wenn es nur dazu dient, dass wir uns unserer Argumentationen etwas sicherer werden und in der Lage sind, im öffentlichen Raum schneller auf Desinformation zu reagieren, ist das doch zumindest ein Schritt in die richtige Richtung?

Ich stimme dir zu, dass wir damit nicht die Welt retten werden oder Desinformation effektiv eindämmen können werden. Eine Sammlung typischer rechter Narrative samt Widerlegung kann aber natürlich auch für andere Diskussionen im Forum nützlich sein, so könnte man, wenn ein solches Narrativ in einem anderen Thread angebracht wird (was leider gelegentlich vorkommt) direkt auf die besagten Threads verweisen.

Ich dachte hier geht es um Desinformation?

Mhh, ist häufig nicht beides das gleiche?

Der Großteil dessen, was wir hier als Desinformation bisher zusammen getragen haben, sind typische rechte Narrative, nur ein Fall ist ein typisches neoliberales Narrativ („Arbeit lohnt sich wegen zu hoher Sozialleistungen nicht“).

Aber du hast Recht, Desinformation kann natürlich in allen Bereichen vorliegen. Desinformation bezüglich des Ukraine-Krieges wird z.B. von links und rechts gleichermaßen verbreitet, wobei der Einsatz dieser Desinformation in rechten Kreisen auch deutlich stärker zu sein scheint.

Ich geh da nicht ganz mit. Wenn man sagt “das bringt nichts” ist es immer gut vorher festzulegen was das Ziel ist.

Ich stimme dir zu, dass wenn man in Debatten mit Leuten geht die fest eingefahren sind, korrekte, sachliche Argumente eine ziemlich schlechte Waffe sind. Das habe ich versucht in meinem ursprünglichen Post auszudrücken.

Aber mal eine andere Perspektive. Es kam schon vor, dass ich Argumente gehört habe zu denen ich nichts sagen konnte weil ich sie vorher noch nie gehört habe und auch nicht genügend Zeit hatte darüber nachzudenken.

Jetzt ist es an mir mich damit auseinanderzusetzen und das alles einzuordnen. Hier kann es helfen wenn es eine Auseinandersetzung gibt. Kann man natürlich irgendwo im Feuilleton der Zeit finden, kostet aber Zeit. Für viele ist die Lage der Nation eine Anlaufstelle für sowas.

Deshalb sehe habe ich auch etwas Bedenken diese Sammlung von Argumenten und Gegenargumenten als Diskussionsleitfaden zu sehen und eher als Quelle für Menschen die ernsthaft daran interessiert sind, sich weiterzubilden.

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Es hilft wohl nicht bei denen, die schon tief drin stecken. Aber: die Diskussion darüber macht diejenigen aufmerksam, die andernfalls das eine oder andere gerne glauben, weil es in ihren Kram passt. Wenn die also an der Kippe sind, auf eine „wohlige“ Lüge hereinzufallen, könnte als Gegengewicht die Befürchtung sein, sich lächerlich zu machen und eben auf informierte Nachfragen schlecht dazustehen.

Ausserdem: soll eine Gesellschaft Lügen einfach stehen lassen? Selbst wenn es gar nichts helfen würde gegen die Verbreitung von Desinformation, die Gegenrede ist ein notwendiger Teil der psychischen Hygiene mE.

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Erste Hilfe is gut - reicht aber nicht.
Wenig beachtet hat ein Bürgerrat mit dem Titel „Forum gegen Fakes“ ein Bürgergutachten am 12.9. bei Faser abgeliefert:

Ergebnis sind 15 Empfehlungen:
„Bildung und Sensibilisierung
 Durchführung einer jährlich stattfindenden bundesweiten Aktionswoche zur Aktivierung der Bevölkerung gegen Desinformation
 Vermittlung von Medienkompetenz an Erwachsene
 Medienkompetenz in den Lehrplänen
 Rechtliche Verankerung von Medienkompetenz in der Bildung
 Fake-News-Quiz – Was ist wahr oder falsch?
 Desinformationsranking zu Aussagen von politischen Akteurinnen und Akteuren
Medienpraxis und Journalismus
 Gütesiegel für qualitativen Journalismus
 Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger durch Transparenz über Medien und Rückverfolgbarkeit von
Quellen fördern
 Bereitstellung von Material zum Themenbereich Desinformation für Medienhäuser
Soziale Netzwerke
 Entwicklung und Verbreitung von leichtverständlichen Leitlinien zum Umgang mit Desinformation
 Verpflichtung der Social-Media-Plattformen zur effektiven Bekämpfung von Desinformation
 Bewusstes Posten zur Vermeidung der Verbreitung von Desinformation
Künstliche Intelligenz
 Entwicklung von Technologien zur Kennzeichnung von Desinformation
Einfluss fremder Staaten
 Schaffung einer zentralen Stelle zu Desinformation
 Prüfung einer strafrechtlichen Verfolgung und/oder Sanktionierung der Verbreitung von Desinformation“.
Schaut es Euch mal an. Besonders weil ich es bei Banse und Buermeyer Skepsis gegenüber Maus Votum für mehr Bürgerräte herausgehört habe.

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Den meisten Maßnahmen würde ich zustimmen, aber hier habe ich arge verfassungsrechtliche Bedenken. Wer soll diese Gütesiegel organisieren und überprüfen? Wer legt die Kriterien fest?

Das Problem ist hier die Pressefreiheit und die Tatsache, dass solche Siegel einen schwerwiegenden Eingriff in die Pressefreiheit darstellen können. Wenn der Staat plötzlich in „gute Medien“ und „schlechte Medien“ einteilen kann, endet es ganz schnell wie in Russland. Klar, es gibt viele offensichtliche Fakes, aber vieles ist tatsächlich auch „Meinung“ - und hier lauert die Gefahr, dass unliebsame Meinungen als „Fake News“ abgetan wird, so wie Trump es z.B. vormacht.

Hier ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass der Begriff „Fake News“ vor allem von Trump geprägt und gegen seriöse Nachrichtensender eingesetzt wurde. Auch Russland argumentiert ja damit, dass z.B. kritische Medienberichte über den Kriegsverlauf oder den Zustand der russischen Armee wegen „Desinformation“ verboten sind. Die Gefahr, dass Staaten genau so agieren, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, weshalb es hier viel Fingerspitzengefühl braucht.

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„Schaden“ fände ich zu hart formuliert. Aber wenn es genau das, was in der Lage angedacht war - eine Art Anti-Populismus-FAQ - bereits gibt und der Nutzen gleichzeitig limitiert ist, stellt sich aus meiner Sicht schon die Frage, wie sinnvoll es ist, das Rad nochmal zu erfinden. Letztlich dürfte es auch eine Frage sein, wie viel Energie und Zeit Menschen da jeweils investieren wollen, zumal die formalen Anforderungen (Quellennachweis für die populistische These, ausführliche Widerlegung, wiederum mit Quellenangeben) ja nicht ohne sind.

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Ich glaube, dass es durchaus hilfreich wäre, Klarstellungen zu Fehlinformationen zu sammeln - egal ob als FAQ oder anders.

Der Moderator hat dann kurz und sachlich darauf hingewiesen, dass der City-Manager auf Anfrage von ABC keine solchen Vorfälle bestätigen konnte. Trump wusste dann nicht mehr darauf zu sagen, als dass er dies aber „im Fernsehen gesehen habe“ - nicht besonders überzeugend. Diese und andere Klarstellungen der Moderatoren waren absolut sinnvoll, wichtig und hilfreich !

Denn: sie richten sich natürlich nicht an die Hardcore-Trump-Anhänger, die man so eh nicht mehr umstimmen kann. Sondern diese Hinweise richten sich an Unentschlossene und Swing-Voter - schließlich die Haupt-Zielgruppe der Debatte. Diese nehmen sehr wohl wahr, wenn der Moderator etwas sachlich klar stellt. Und auch die Trump-Anhänger sind keine absolut homogene Gruppe. Auch da gibt es Leute, die zweifeln, die noch nicht wirklich überzeugt sind oder die vielleicht früher überzeugt waren, aber zunehmend unsicherer werden. Diese Leute kann man so sehr wohl erreichen.

Und daher denke ich auch, dass es sich lohnt, in sozialen Medien immer wieder Falschaussagen oder irreführende Aussagen sachlich und freundlich klar zu stellen. Klar bekommt man massiven (und unter Umständen hässlichen) Gegenwind. Und viele Hardcore-Anhänger kann man so nicht direkt erreichen. Aber: in all diesen Gruppen und Foren gibt es Leute die noch oder wieder zweifeln. Und genauso, wie es viel fortwährende Propaganda, Hassrede und Fehlinformationen gebraucht hat, Menschen in eine bestimmte Richtung zu radikalisieren oder zu manipulieren. Genauso braucht es viele kleine Klarstellungen, um zunächst die Zweifler und vielleicht irgendwann auch die anderen zu bekehren.

Akteure, die versuchen, über das Internet zu manipulieren, nutzen häufig offen zugängliche (und oftmals eigens dafür angelegte) Propaganda-Videos und -Artikel im Internet. Solche Ankerpunkte sind für diese Akteure sehr wichtig, denn Trolle brauchen dann in sozialen Medien nicht mehr selbst argumentieren, sondern können einfach einen dieser Ankerpunkte verlinken.

Eine Ablage für Klarstellungen wäre für uns, die wir dagegen arbeiten wollen, sehr hilfreich. Wird etwas Falsches oder Irreführendes in sozialen Medien gepostet, muss man dann nicht mehr mühselig selbst recherchieren und eine eloquent-überzeugende Antwort formulieren, sondern kann einfach mit einem freundlichen Hinweis die fertigen Argumente mit weiterführenden Quellenangaben verlinken.

Eine Gefahr, die ich durchaus sehe ist, dass es in einem offenen Forum wie diesem schwierig ist, die nötige Qualität sicher zu stellen und Störer, die versuchen werden, ihre eigene Agenda zu setzen, außen vor zu halten. Vielleicht also ein FAQ doch der bessere Weg ?