Mehr MIT als ÜBER Migranten reden

(Gekürzter Beitrag, vollständiger Beitrag war zu groß fürs Forum)

Liebes Lage-Team,

Ich habe mich gefragt, was die Bedürfnisse und Interessen von Immigranten, insbesondere Geflüchteten, in Deutschland sind. Zu meinem Erstaunen wird im öffentlichen Diskurs oft nur ÜBER sie gesprochen, aber selten MIT ihnen. Meldungen wie „Eine Umfrage unter Geflüchteten hat ergeben, dass…“ oder Geflüchtete als Gäste in Talkshows über Migration fehlen. Es scheint wenig Interesse daran zu geben, sich mit der realen Situation der Geflüchteten auseinanderzusetzen – ihren Sorgen, Ängsten, Wünschen und Ambitionen. Stattdessen konzentrieren sich viele Studien und Talkshows darauf, was Deutsche über Migranten denken, was für die Integration kaum hilfreich ist.

Ihr habt das Problem in der Lage einmal so beschrieben, dass „Geflüchtete keine Lobby in Deutschland haben“. Dabei habt ihr auch darauf hingewiesen, dass Geflüchtete und Migranten oft als unsichtbare Gruppe im politischen und gesellschaftlichen Diskurs fungieren, ohne direkte Interessenvertretung oder eine starke Stimme. Ihr hattet zudem mehrfach betont, dass eine erfolgreiche Integration nicht nur im Interesse der Geflüchteten, sondern auch der deutschen Gesellschaft insgesamt liegt, insbesondere durch deren Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Konkrete Maßnahmen, wie zum Beispiel die Vereinfachung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, habt ihr wiederholt angesprochen.

Ich höre euch seit zwei Jahren und weiß, dass ihr häufig auf die Probleme in der Integrationspolitik eingeht. Was mir jedoch fehlt, ist eine Lage, die konkret auf die Lebensbedingungen der Geflüchteten eingeht und ihnen aktiv ein Sprachrohr gibt. Es wäre spannend zu erfahren, was Geflüchtete selbst über ihre Situation denken, wie sie ihren Alltag erleben und welche Probleme, Hoffnungen, etc. sie haben. Falls es dazu eine Lage gibt, die ich verpasst habe, höre ich sie mir natürlich gerne an.

Bei meiner Recherche fand ich erschreckend wenige Umfragen unter Geflüchteten. Der BAMF-Migrationsbericht von 2022 ignoriert im Wesentlichen die Interessen der Immigranten und fokussiert sich stattdessen darauf, sie zu klassifizieren. Die OECD-Studie von 2024 behandelt die Lebenssituation von Geflüchteten in Deutschland nur am Rande. Eine nennenswerte Ausnahme ist eine Studie von 2016, die Alltagssituationen von Geflüchteten analysiert, jedoch aufgrund einer mangelhaften Datengrundlage unvollständig ist. Hier zeigt sich, dass selbst während der „Flüchtlingskrise“ 2015 kaum Daten über das Leben der Geflüchteten erhoben wurden. Eine weitere Studie verdeutlicht, dass solche Umfragen komplex sind. Gelungene Beispiele für Projekte, die auf dem Dialog mit Geflüchteten basieren, gibt es, aber sie bleiben die Ausnahme. Natürlich gibt es aber auch positive Beispiele.

Hier die Quellen:

FAZIT : Es ist zu einfach, über „die Flüchtlinge“ zu reden, ohne zu wissen, was sie wirklich bewegt. Dadurch werden Vorurteile und Halbwissen auf sie projiziert. Solange wir nur darüber sprechen, was Deutsche über Geflüchtete denken, verstärken wir ihre Ausgrenzung. Um dies zu ändern, wären umfassende Umfragen unter Immigranten notwendig, um ihre Meinungen und Lebensrealitäten sichtbar zu machen. Daraus könnten Projekte abgeleitet werden, die nicht nur den Immigranten helfen, sondern darüber hinaus auch der Gesellschaf. Dass gerade das BAMF diesen Aspekt in seinem Bericht völlig ignoriert, ist enttäuschend.

Wenn wir weiterhin ausblenden, dass Immigranten Menschen mit Sorgen und Hoffnungen sind, reduzieren wir sie auf die abstrakte Gesamtheit ihrer Gruppe, gegen die leider so oft Stimmung gemacht wird. So kann auch keine „positive Migrationserzählung“ entstehen. Deshalb sollten wir mehr MIT als ÜBER Flüchtlinge reden. Die ZDF-Sendung „Die Anstalt“ hat diesen Ansatz am 08.10.2024 aufgegriffen und einen Geflüchteten eingeladen, um mit ihm, statt über ihn zu reden. Geflüchtete sollten insgesamt mehr Gehör finden.

Ich würde mich freuen, wenn ihr in einer Lage stärker auf die Sorgen und Hoffnungen sowie den Alltag von Immigranten eingeht. Meine Hoffnung ist, dass sie eine stärkere Lobby bekommen und nicht länger als abstraktes Problem, sondern „als Menschen wie du und ich“, wahrgenommen werden. Vielleicht wäre es eine Idee, einen Geflüchteten in die Sendung einzuladen.

Ich hoffe, diese Idee findet Anklang bei euch :slight_smile:

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Bis auf Die Anstalt fallen mir auch kaum Beispiele ein, bei denen die Öffentlich-Rechtlichen die Beschäftigung mit dem Thema Fluchtmigration vom Kopf auf die Füße gestellt hätten.

Anscheinend sehen sich einige Programmverantwortliche getrieben von geflüchtetenfeindlichen Diskursen und rechten Pressure Groups, die Stimmung gegen Geflüchtete machen.

Man kann nur hoffen, dass sich das wieder ändert.

Es ist empirisch vielfach nachgewiesen, dass die Übernahme populistischer Positionen nur den Populisten nützt: Anpassungsstrategien verringern die Unterstützung für Rechtsradikale nicht.

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