Medienkritik Europawahl

Ich würde gerne mal ein Thema hinsichtlich der Medien in der Europawahl ansprechen. Es scheint da eine Differenz zu geben, die unüberwindbar ist. Einerseits postulieren alle Medien: die Europawahl ist wichtig, um das Projekt Europa vor den Rechten zu schützen und die Errungenschaften um Frieden und Sicherheit in Europa für die nächste Generation zu bewahren. (So auch, richtigerweise, die Lage.) Andererseits wird die Wahl zur Stellvertreterwahl für den Bund degradiert. Es mag politikwissenschaftlich richtig sein, dass man aus dieser Wahl ein Stimmungsbild ablesen kann, aber wenn ich die ersten Hochrechnungen aus Deutschland sehe und die Schlagzeilen, dann frage ich mich schon, worum es hier eigentlich geht. Die SZ titelt z.B. „Union klare Siegerin, Niederlage für die Ampel“. Die Ampel stand aber nicht zur Wahl. Die Parteien gehören im Parlament nicht mal zu einer politischen Gruppe, es gab keinen Wahlkampf etc.! Der Fokus wird total überstrapaziert.

Täuscht mich mein Eindruck?

Würde mich interessieren, wie ihr das seht.

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Nein der Eindruck täuscht nicht, ist aber kaum vermeidbar.

  1. Die Vergleichswerte sind in nahezu allen Medien die letzte Bundestagswahl, weil dies die letzte gesamtnationale Wahl war.

  2. Die Politiker nahezu aller Parteien machen diesen Vergleich selbst auf, und sprechen entsprechende Kommentare in die Mikros.

Ich würde die Kritik anderst formulieren:
Die großen Leitmedien sind sehr schlecht darin zu erklären, welche politischen Entscheidungen auf welcher Ebene getroffen werden. Hier müssten sie ihren Bildungsauftrag stärker ausfüllen.

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Mir fehlt auch eine korrekte Aufarbeitung der Fehlentscheidungen der letzten Jahre. Der Pfizer Deal zum Beispiel. Aber auch das Entkernen des Green-Deals.

Es wäre interessant, wenn die Lage mal mit Martin Sonneborn zum EU-Parlament sprechen würde.

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Ich sehe es als Aufgabe der Medien, das zu vermeiden. Der Vergleichswert ist (unter Berücksichtigung bspw. der Regierungsverantwortung im Bund) die letzte Europawahl. Da gewinnt die Union wohl aktuell ca. 1%. Klare Zugewinne sehen anders aus. Die AfD gewinnt in Ostdeutschland fast komplett, ist zweitstärkste Kraft. Stattdessen wird medial gefühlt die Perspektive eingenommen, die Merz präsentiert: "„Eigentlich müsste er [(Scholz)] die Vertrauensfrage stellen im Bundestag“.

Aber warum denn eigentlich? Von der Leyen und die Union werden auch fasst als unterschiedliche Positionen behandelt usw. Ich verstehe diese Schlampigkeit der traditionellen Medien nicht.

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Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Bundestagswahl wichtiger ist als die Wahl zum Europäischen Parlament. Wenn das Europa Parlament ein Gesetzvorhaben verabschiedet, muss es noch durch den Europäischen Rat (die Regierungschefs der Nationen gewählt durch die Nationalen Parlamente) und der Bundestag muss das Gesetzesvorhaben Bzw. Die Verordnung auch noch in nationales Recht umwandeln.

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Ja, das ist schon richtig, aber es war halt keine Bundestagswahl wie schon argumentiert. Naja, mein Punkt ist nur mehr zu differenzieren.

Vor allem: welches Ergebnis erwartet man da? Dass die FDP wirklich gegen die Koalition stimmt?
Allerdings muss sich Scholz schon fragen lassen, warum er sich neben Barley hat plakatieren lassen. Das ist eine Selbsteinschätzung, die weit von jeder Realität ist.

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Kleine Korrektur: Nur Richtlinien der EU müssen in nationales Recht umgesetzt werden, Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. S. Art. 288 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV):

Art. 288
(ex-Artikel 249 EGV)
Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union nehmen die Organe Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an.
Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.
Beschlüsse sind in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich.
Die Empfehlungen und Stellungnahmen sind nicht verbindlich.

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Ja, das find ich auch spannend. Auf EU-Ebene ist quasi seit Jahren GroKo (richtig ist natürlich, dass auch Renew und G/EFA im EP Einfluss haben), aber keiner merkt’s und so kann die Union allen Ernstes von einer Anti-Regierungs- und Anti-EU-Stimmung profitieren, obwohl sie gewissermaßen die „Regierungschefin“ der EU stellt…

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Mir kam genau derselbe Gedanke. Als ich dann gehört habe, dass es in Frankreich wegen dem Wahlergebnis nun Neuwahlen gibt, bekam ich den Eindruck, dass das anscheinend kein rein deutsches Problem zu sein scheint. Da ich kein französisch kann, weiß ich nicht wirklich wie die Medien da berichten.

Ja, ich nehme die Politik aus der Kritik nicht aus. Das beginnt schon beim Umgang mit den Spitzenkandidaten etc. Aber das ist ein anderes Thema.

Kühnert (in der ARD) und Barley (im ZDF) haben das vorhin beide so erklärt, dass man erwartet habe, die Gegner würden ohnehin Barley mit Scholz im Wahlkampf verbinden. Dem hätte man aktiv gegenwirken wollen.

Gibt es denn Evidenz dafür, dass Scholz tatsächlich dem Ergebnis geschadet hätte? Ich persönlich finde Scholz wird ebenso (medial) schlecht geredet wie Lauterbach 2022 medial hochgeschrieben wurde. In Zeiten von Populisten und X-Erregungszyklen hat ein ruhiger, sachbezogener Politiker doch eigentlich etwas Gutes. Scholz’ Stil ist mir auf jeden Fall um Welten lieber als der von Söder, Wagenknecht oder Baerbock (deren Counterpart Habeck ich hingegen sehr schätze).

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Wo wir wieder bei der Medienkritik wären.
Natürlich hat das mediale schlecht schreiben und reden einen Einfluss und setzt sich fest.
Wenn nur 20% Scholz für einen guten Kanzler halten und da auch Leute dabei sind, die trotzdem „ihre“ Partei wählen werden, brauchen 14% für die SPD nicht zu überraschen. Auch der Absturz der Grünen ist mit ihrer Politik nicht rechtzufertigen. Natürlich hat da die Stimmung, die den Grünen entgegengebracht wird, einen Einfluss. Nur Populisten wie AFD und Freie Wähler schaffen es, aus so einer Stimmung ein „jetzt erst recht“ zu machen.
Insofern bleibe ich dabei: das war ein Fehler. Aber es passt zu Kühnert, der die Kampagne anscheinend verantwortet hat und seit seiner Wendung vom Saulus zum Paulus treuer Scholz-Fan ist. Und Barley konnte vermutlich gar nicht abschätzen, dass es so schlecht um die öffentliche Wahrnehmung von Scholz steht.

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Hier ein passender Artikel mit Blick auf die Politik: Neuwahlen in Frankreich: Macron verliert die Nerven - Meinung - SZ.de

Übermedien hat dazu natürlich auch direkt ein schönes Interview gemacht, in dem die Darstellung und Wahrnehmung der Europawahlen unter mehreren Aspekten eingeordnet wird: