Lindner und Klingbeil - Wer ist wirklich vertragstreu?

Liebes Redaktionsteam!

Wir kennen ja den rauen Ton in der Ampel. Trotzdem hat mich Lindner doch wieder überrascht. Für mich ist das doch etwas härter als sonst.

Es geht um Lindners Reaktion auf Klingbeils Vorschlag, angesichts der Herausforderungen über Finanzierungsmöglichkeiten nachzudenken. Lindner sieht das als Verstoß gegen den Koalitionsvertrag droht mit Austritt aus der Koalition. Ich hatte den Gedanken, dass die FDP selbst und konkret schon brüchig geworden ist (nicht nur in Diskussion). Ich bin mir aber nicht sicher. Mir fällt da z.B. die verschleppte Klimageldeinführung ein. Möglicherweise ist das aber im Koalitionsvertrag weich formuliert.

Kann Lindner anderen vorwerfen, den Koalitionsvertrags brechen zu wollen, ohne dass er nicht auch mit dem Finger auf sich selbst zeigen müsste?

Haben Spitzenvertrer von SPD und Grünen laut auf FDP-Diskussionen von Koalitionsbruch gesprochen und mit Austritt gedroht? Als Lindner z.B. Steuersenkungsphantasien öffentlich zirkuliert? Ich kann mich nicht erinnern, kann mich aber auch täuschen.

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Eine Partnerschaft, bei der jeder sagen kann „Du hältst Dich nicht an Vereinbarung, also fühle ich mich auch nicht mehr gebunden“ ist am Ende …

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Bin mir ziemlich sicher, dass im 12-Punkte Programm der FDP auch irgendwas steht, das nicht konform zum Koalitionsvertrag ist.

Ansonsten: die nehmen sich alle nichts. Ist in dieser Konstellation vielleicht auch einfach nicht vermeidbar.

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Das sehe ich anders: Mit der Panik-Propaganda gegen das Heizungsgesetz hat die FDP defacto die Koalition gekündigt, ist mein Eindruck. Seitdem verhandelt und agiert die bei jedem Thema im Grunde mit böser Absicht. Das würde ich den Grünen nicht vorwerfen und der SPD auch nur bedingt. Bei der FDP halten Zusagen regelmäßig keine 24 Stunden. Da geht es oft auch nicht allein um Profilierung nach außen, sondern sabotage nach innen. Man ist dort offensichtlich im Winter 22/23 zum Schluss gelangt, dass sich mit einer erfolgreichen Kooperation weniger Stimmen gewinnen/halten lassen, als mit Konfrontation und Sabotage. Dabei geht es mir allein um den Stil, nicht um die Inhalte, denn in Einzelfällen kann ich die Position der FDP nachvollziehen und finde sie besser, als die der Koalitionspartner.

Mir ging es bei meiner Aussage nicht darum, ob jemand dem anderen möglichen Koalitionsbruch vorwirft, sondern eher wieweit getroffene Entscheidungen verbal Bestand haben. Ich erinnere mich beispielsweise an diesen 30-stündigen Mammutgipfel bei dem im wesentlichen Punkte diskutiert wurden, die im Koalitionsvertrag schon beschlossen waren. Dann wurden sie wieder beschlossen und keine 3h nach Verkündung der Ergebnisse hatte jeder wieder eine eigene Interpretation der Situation oder wollte bestimmte Dinge wieder neu verhandeln.

Die gleiche Situation bei den Haushaltsverhandlungen im Winter. Als es ersten Gegenwind gab, wurde die mühsam gefundene Einigung doch direkt wieder in Frage gestellt. Linder und Özdemir waren da in jedem Fall beteiligt. Bei der SPD erinnere mich nicht. Aber mit Sicherheit hat sie dann auch als mögliche Alternative wieder mehr Schulden gefordert.

Ich finde bei so unterschiedlichen Parteien, muss der Koalitionsvertrag einfach maßgebend sein. Wenn eine der Parteien den Eindruck hat, dass sich die Rahmenbedingungen zu sehr verändert haben, dann sollte es ein vertrauliches Gespräch geben, ob man Dinge neu verhandeln kann. Wenn man hier keine Einigung findet, muss man halt die Regierung platzen lassen. Diese ständige gegenseitige Provokation nervt mich. Machen sowohl FDP, SPD als auch Grüne.

Damit alle verstehen, worum es geht, ist hier einen Link (das fasst die Diskussion ganz gut zusammen): Tagesschau

Wenn ich mal nach der zweiten Frage (droht SPD oder Grüne mit Austritt), kann ich nichts finden (hier mal ein Google-Versuch: ampelaustritt - Google Suche). Haben die Grünen oder SPD mit Austritt gedroht? Warum eigentlich nicht? Nouripour hat sicher einen Punkt, dass solche Streitereien nicht öffentlich ausgetragen werden sollten. Sieht man mal davon ab, dass Klingbeil den Ball ins Spiel gebracht hat, ist das im Stil doch noch moderater, als Lindners Reaktion. Im Stil ist es nach meiner Wahrnehmung immer die FDP, die schrill und aggressiv in die Öffentlichkeit geht. Oder kennt Ihr Beispiele von Grünen und SPD, die mit Bruch bei einem (vermeintlichen) FDP-Verstoß reagiert haben?

Zum Stil. Wir werden es wahrscheinlich nicht erfahren, aber ich vermute, dass sich Klingbeil mit Scholz abgestimmt hat. Wenn Klingbeil also nicht autonom gehandelt hat, dann waren sich Kreise in der SPD schon darüber im Klaren, dass Lindner scharf reagiert. Für mich ist aber Lindners Reaktion trotzdem etwas drüber. Vor allem wenn man an seine Provokationen denkt.

Ganz ehrlich, vermisse ich seitens Grünen und SPD solche Vorstöße wie Klingbeils offene Worte. (In der Lage wurde ja immer wieder betont, dass die scheinbar ausweglose Haushaltssituation auch anders gelöst werden kann.)

Ich habe immer wieder den Eindruck, dass die FDP die meisten Ampel-Deals ganz schön stark in ihre Richtung dreht. Trotzdem agiert sie immer noch laut und aggressiv, solange FDP-Ideologie nicht zu 100 Prozent verwirklicht wird. Also Austerität (Schulden) und Trickle-Down-Ökonomie (siehe Lindners Steuersenkungswünsche). Interessant ist, dass der Ideologie-Vorwurf ja meist gegen Grüne erhoben wird, wo es doch die FDP ist, die nach meiner Beobachtung am lautesten (und effektivsten) ihre Ideologie vertritt.

Grüne und SPD waren für meinen Eindruck schon viel zu kompromissbereit. Ich fände es darum interessant, wenn in der Lage mal die FDP-Koalitionsverstöße und Deals zugunsten der FDP aufgelistet werden und FDP-Verstöße recherchiert. In den Medien geht es oft ums Tagesgeschäft und da ist die Haushaltsdebatte nur wieder eine von vielen. Der Stil der FDP ist schon bemerkenswert und aus meiner Sicht ein Thema.

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Die Botschaft der FDP, auch in Richtung einer CDU, ist doch eher „wer uns als Koalitionspartner hat, braucht keine Opposition mehr“!

Ist das das Ziel der FDP um Lindner?

Sich als möglicher Koalitionspartner untauglich zu machen, weil man lieber nicht mehr regieren will?

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Es ist allgemein bekannt, dass Schuldenbremse und Steuererhöhungen eine rote Linie der FDP sind. Meines Wissens sind beide Punkte im Koalitionsvertrag sogar explizit ausgeschlossen. Wenn Klingbeil also mit diesen Themen kokettiert, stellt sich die Frage, was er damit erreichen möchte?

Wenn die SPD glaubt unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht mehr auf Grundlage des Koalitionsvertrages weiterregieren zu können, sollte sie das (vertrauliche) Gespräch mit ihren Partnern suchen und schauen, ob der Koalitionsvertrag nachverhandelt werden kann. In dem Fall müssten aber wahrscheinlich alle Partner Kompromisse eingehen. Falls dies nicht möglich ist, sollte man so konsequent sein und aus der Regierung aussteigen. Dieses Vorgehen gilt natürlich analog auch für die anderen beiden Partner.

Ehrlicherweise glaube ich aber, dass der Vorstoss von Klingbeil reines Polittheater ist. Er weiß, dass Schuldenbremse und Steuererhöhungen in dieser Legislatur tabu sind. Das Ganze dient demnach lediglich der Profilierung vor dem Wähler bzw. der eigenen Partei. Ähnlich interpretiere ich auch die Vorstöße von FDP (z.B. Einsparung beim Sozialstaat) und Grünen (z.B. Tempolimit).

Darüber hinaus glaube ich, dass die FDP bei einem Koalitionsbruch am wenigsten zu verlieren hat. Wenn die Koalition platzt ist Scholz weg (wird ja schon von der eigenen Partei in Frage gestellt) und die SPD ist keine Kanzlerpartei mehr. Die Grünen verlieren die Chance ihre (grüne) Agenda voranzutreiben, da selbst bei einer erneuten Regierungsbeteiligung unter CDU-Führung ihr Einfluss vermutlich sinken würde. Merz muss ja glaubhaft irgendeinen Richtungswechsel einleiten. Die FDP hat wahrscheinlich ohnehin schon aufgegeben, dass sie bis zur nächsten Wahl noch ihre Zustimmungswerte in der aktuellen Regierung verbessern kann (ich wüsste auch nicht, wie das noch gelingen soll) und würde vielleicht sogar noch davon profitieren, wenn sie aus eigenen Schritten das (unliebsame) Ampel-Experiment beendet.