Hat Lichtman recht?
Kannst du ein kurzer TL;DR geben?
Nicht jeder hat die Zeit, ein über 1-stündiges Interview anzuschauen.
tl;dr für den verlinkten Artikel: Prof Lichtman hat in 40 Jahren den Ausgang praktisch aller Präsidentschaftswahlen vorhergesagt (Ausnahme: Al Gore vs. Bush II im Jahr 2000). Er nutzt dafür ein Vorhersagesystem, dass auf 13 Fragen basiert, die jeweils mit „wahr“ (Punkt für die Kandidatin der amtsanhabenden Partei) oder „falsch“ (Punkt für den Gegenkandidaten) beantwortet werden. Harris kriegt in diesem Test 8 Punkte (Trump nur 5), ist aus der Sicht von Lichtman also klare Favoritin.
Die Betrachtungsweise ist sicher interessant. Aber auch historisch erfolgreiche Vorhersagesysteme sind nur erfolgreich, solange sie nicht falsch liegen ;-). Das Modell von Lichtmann kann zum Beispiel nicht erkennen, ob die ihm zugrundeliegenden Annahmen noch zutreffen.
Und dann sind 40 Jahre weniger als man denkt. In der Zeit konnte er nur 9 Wahlen vorhersagen, von denen er bei einer falsch lag. Es gibt also durchaus auch eine Restwahrscheinlichkeit, dass sein bisheriger Erfolg nicht unwesentlich auf Zufall zurückzuführen ist.
Man kann hier sicher ein wenig streiten, ob er dabei wirklich falsch lag. Er hat allerdings zwischendurch mal seine Meinung „angepasst“, ob sein (unverändertes) Modell nun eigentlich die popular vote oder die electoral vote vorhersagt.
Nun kann man allerdings argumentieren - und Lichtman macht das im Video auch an einer Stelle unter Verweis auf Nachuntersuchungen zum abgebrochenen Auszählungsprozess - , dass Al Gore gegen George W. Bush auch gewonnen hat, der Supreme Court aber einfach die vollständige Stimmenauszählung verhindert hat.
Professor Lichtman hält dem entgegen, dass der Einbezug anderer als die von ihm verwendeten Indikatoren zur Vorhersagefehlern geführt hätte und jene sozusagen historisch ‚geeicht‘ seien.
Die Datenbasis für Frauen als Bewerberinnen ist natürlich dünn.
Aber dass z. B. Geld - anders als in anderen 'Rennen - in Präsidentschaftswahlkämpfen keine wahlentscheidende Rolle spiele, ist ziemlich schlüssig.
Interessantes Modell, kannte ich bis jetzt nicht. Hier kann man sich das ganze für 2024 zusammengefasst in 7 Minuten anschauen:
https://www.nytimes.com/2024/09/05/opinion/allan-lichtman-trump-harris-prediction.html
Wie @ped aber schon sagt ist es eben wie bei allen Vorhersagen zu Wahlen schwierig zu sagen ob die Modelle wirklich gut sind, weil sie nur in so großen Abständen stattfinden. Darüber hinaus finde ich aber auch, dass die Kategorien bei Lichtman ein bisschen subjektiv sind. Vor allem die Punkte Short term economy, White House scandal und Challenger charisma finde ich diskutabel:
Short term economy: Im video sagt Lichtman zwar, dass die USA sich gerade nicht in einer Rezession befindet, es gibt aber einige Anzeichen dafür, dass sie es schon sehr bald sein könnten (oder es schon sind, in den USA kann es auch mal nen Jahr dauern bis das offiziell bestätigt wird). Da ist dann eher die Frage ob das entscheidende bei dem Key ist, dass es den Leuten finanziell schlechter geht oder das eine Rezession offiziell ausgerufen ist und es dementsprechend negative Schlagzeilen für den aktuellen Präsidenten oder Präsidentin gibt.
White House scandal: Auch im Video erwähnt aber ebenso abgetan war die desaströse debate performance von Biden. Ich persönlich finde es zum Beispiel schon skandalös, dass der Präsident der Vereinigten Staaten manchmal so senil ist, dass er keine kohärenten Sätze mehr bilden kann, aber trotzdem einfach im Amt bleibt.
Challenger Charisma: Der meiner Meinung nach schwächste Punkt. Ich weiß nicht wie man auf die Idee kommen kann, dass Trump kein Charisma hat. Es ist eben eher das Charisma eines Hitlers statt eines Kennedy, aber Charisma ist es auf jeden Fall wenn man sich seinen gerade Kultstatus anschaut.
Das wollte ich auch noch schreiben
Und wen sagt er nun voraus?
Harris
Harris mit 8 von 13 Schlüsseln.
Wieso sollte das Schlüssig sein? Mit mehr Geld kann man beispielsweise mehr Wahlwerbung oder Kampagnenhelfer:innen bezahlen, die für dich in umkämpften Bundesstaaten von Tür zu Tür gehen um die Leute persönlich von dir zu überzeugen.
Es kommt bei Präsidentschaftswahlen nicht drauf an, weil die chancenreichen Kandidaten medial omnipräsent sind.
Zudem zeigt die Empirie, dass der Faktor Wahlkampffinanzierung kein Prädiktor für den Wahlausgang war.
Klingt für mich so ein wenig wie Frankfurt hat noch nie freitags zu Hause bei Regen gegen Dortmund gewonnen, deshalb…
Die Wahl wird die knappeste seit Bush vs. Gore werden, da finde ich so eindeutige Prognosen einfach unseriös.
Doch, denn du musst die Leute auch tatsächlich zur Wahlurne kriegen, und da ist die persönliche Ansprache immens wirksam. Oder so Dinge wie ein simpler Mitfahrservice zum Wahllokal (die sind teils deutlich weiter weg und ohne Auto schwerer bis gar nicht erreichbar als wir das aus Deutschland/Europa kennen). Einfach Interviews geben und Werbespots bezahlen und dann darauf hoffen, dass die Leute sich schon aufraffen werden, reicht nicht.
Genügend Freiwillige, die sich unentgeltlich darum kümmern, finden sich immer.
Mit der Wahlkampffinanzierung hat das nichts zu tun.
Nun ja, sein langjähriger Erfolg gibt Lichtman erst einmal schlicht recht.
Jetzt kann man über etwaige Schwachstellen seiner Indikatoren diskutieren.
Das sehe ich anders, deswegen ja mein Fußball-Vergleich. Dass er bisher mit seiner Prognose öfters richtig lag als falsch, sagt nichts darüber aus, ob er diesmal richtig liegen wird. Ob er Recht hatte, werden wir erst am Tag nach der Wahl wissen. Auch die Bewertung seiner Indikatoren hängt ja entscheidend davon ab.
Der Präsidentschaftswahlkampf ist extrem dynamisch und extrem knapp. Laut Umfragen ist der Abstand zwischen Harris und Trump gerade in sechs entscheidenden Swing States unter 2 % - da zu behaupten, man könnte zwei Monate im Voraus mit Sicherheit sagen, wer gewinnt, ist und bleibt aus meiner Sicht einfach unseriös.
Wenn es einfach eine Notiz in der Rubrik „Vermischtes“ wäre, ähnlich wie die Krake Paul, würde ich ja auch nichts sagen. Aber so wie das hier diskutiert wird?