Leitzinserhöhung 22/23: der richtige Schritt oder fatal?

Wenn sich Preise erhöhen von Dingen/Leistungen, auf die man nicht verzichten kann (Lebensmittel, Heizen…), hat das sicher andere Auswirkungen, als wenn steigende Löhne zu höherer Nachfrage führen. Ich halte es für falsch, beides gleichzusetzen.

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Weiß nicht ob es ein Missverständnis ist. Durch Zinserhöhung bremse ich die Wirtschaft ab.

Bei einer klassischen Inflation würde dies die Nachfrage senken, Preise sinken und das Angebot sich anpassen.

Bei einer raschen Verteuerung eines in vielen Bereichen notwendigen Produkts, führt eine Zinserhöhung nicht zwangsläufig zum gewünschten Effekt einer kontrollierten Abbremsung der Wirtschaft (siehe Bauwirtschaft).

Für solch einen Effekt hätte es viele andere Maßnahmen geben können, z.B. Aussetzen des Merrit-Order-Prinzips für Gaskraftwerke. Dies hätte dazu geführt, dass alle anderen Stromerzeugungen deutlich günstiger auf den Strompreis gewirkt hätten und die Inflation dadurch nachhaltig vermieden hätte werden können.

Jetzt sinkt der externe Effekt wieder auf Normal - also müsste die Zinssenkung doch jetzt auch erfolgen, oder?
Jetzt könnt aber das Argument der Lohn-Preis-Spirale. Und das trotz deutlich gesunkener Reallöhne.

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So pauschal kann man das nicht sehen. Zinserhöhungen bremsen erstmal die Kreditaufnahme ab. Betroffen sind also die Markrplayer, die über Kredit finanzieren. Bis auf „Häuslebauer“ ist der Verbraucher nicht betroffen.

Das Wirtschaftswachstum in Eur und USA ist aktuell auch noch gar nicht so sehr negativ von den Zinsen betroffen. Deutschland schwächelt nicht wegen fehlenden Geld (s. DAX Rekord), sondern wegen der Demografie

Nochmal zum Mechanismus Zins/Preissignal:

Bei steigenden Energiepreisen ist der Verbraucher mit allen Markrplayern im Wetterbewerb, weil alle direkt Energie beziehen. Es schützt daher unmittelbar den Verbraucher, wenn „die Großen“ steigende Preise nicht über billige Kredite zahlen können und dabei auf eine wegen der Inflation billige Rückzahlung spekulieren. Die Gaspreise schossen nur in die Höhe, weil Deutschland einen Preisblankoscheck ausgestellt hat. Wahrscheinlich war das ziemlich unnötig.

Ob die Zinsen jetzt sinken sollten, ist schwer zu sagen. In Deutschland haben wir eigentlich immer noch das Problem, dass wir gar nicht so schnell arbeiten können, wie wir Geld ausgeben. Billiges Geld bringt nur was bei Potential. Wir haben kein Potential mehr. Mehr Kredite könnten aktuell also dazu führen, dass die Nachfrage (Geldmenge) wieder stärker steigt als wir schuften können. Dann steigen eventuell die Preise wieder.

Dafür gibt es ja eigentlich den Marktpreis. Der hat sogar den Vorteil, dass steigende Preise gezielt die Nachfrage nach den knappen Gütern senkt. Während das abwürgen der kompletten Wirtschaft zB auch energetische Sanierungen stoppt, was sogar eine Senkung der Nachfrage nach den knappen Gütern zuwider läuft.

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Nicht direkt betroffen müsste es doch konkret heißen.

Hier ab ca. 1:18:30 ein paar Ausführungen von Rüdiger Bachmann zu jüngerer Forschung zu der Frage, wie sich Zinserhöhungen auf die Konjunktur auswirken: Spotify

Bottom Line, sehr grob vereinfacht: Wenn das Produktionspozenzial, so wie derzeit in USA und EU aufgrund der Lage am Arbeitsmarkt, nah an der Auslastung ist, kann man mit Zinserhöhungen arbeiten, ohne dass es zu schweren Verwerfungen in Konjunktur und Arbeitsmarkt kommt. Scheint in den USA gut, in der EU mit Einschränkungen derzeit zu klappen.
Allerdings hat man in dieser Lage auch immer das Risiko, dass Schocks recht schnell zu Inflation führen.

Wenn wir an den „Marktpreis“ keine Ansprüche hätten, bräuchte es die Geldpolitik nicht.

Keine einzige Sanierung scheitert aktuell am Geld, sondern an der Knappheit der Workforce.

Nicht „einzelne“ Güter wurden teurer, sondern alle. Und drüber hinaus Assets. Letzteres ist schlecht, weil das auch Immobilien erfasst.

Geldpolitik „würgt“ auch nicht zwingend die Wirtschaft ab, sondern macht Kredite teurer. Solange Eigenkapital da ist (DAX 17.000!), kann also trotzdem gewirtschaftet werden. Kreditkosten sorgen also lediglich für eine Gleichstellung von Marktteilnehmern, die leicht an Kredite kommen und solchen, bei denen das nicht der Fall ist.

Das Geld wegen der hohen Zinsen „knapp“ ist, stimmt einfach nicht. Die Assetpreise sind weiterhin extrem hoch. D.h. die Preise werden gezahlt. Nur nicht von den Normalverbrauchern.

Geld ist also nicht knapp, sondern schlecht verteilt. Daran ändern billige Kredite nichts. Sie helfen nur denjenigen, die schon viel haben.

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Ich glaube, das stimmt nicht ganz. Zwar fehlen zum Teil Arbeitskräfte, aber viele Unternehmen sind auch bei Investitionen zurückhaltend (Gründe könnten sein: Planungsunsicherheit, hohe Zinsen, keine hohe Gewinnprognose für evtl. Investitionen). Sie horten aktuell oft ihre finanziellen Puffer.
https://www.dzbank.de/content/dzbank/de/home/die-dz-bank/presse/pressemitteilungen/2023/repraesentative-befragunginvestitionsbereitschaftimmittelstandun.html

Wenn sie Puffer haben, wieso dann billige Kredite? Wenn sie billige Kredite kriegen, nehmen sie die Puffer um Aktien zurückzukaufen oä. Dann steigt der Dax. Aktionäre kriegen viel Geld und treiben die Immopreise hoch…

Anreize, das eigene Geld auszugeben, muss man schaffen. Das geht aber v.a. realwirtschaftlich durch eine Begünstigung von Potential. Hier ist Zuwanderung ganz wichtig. Aber auch eine Industriepolitik, die wachstunfsförderne Jobs besserstellt. Statt über Zinsen, sollte viel mehr über Verteilung und Anreize für Handwerk, Industrie usw. geschaffen werden. Wesselsky macht’s im Prinzip vor.

Selbst was die Häuslebauer angeht, muss man vorsichtig sein: es ist ein Mythos, dass die Leitzinsen einen direkten Einfluss auf die Immobilienkreditzinsen im Speziellen hätten. In Wahrheit ist der Mechanismus (mal wieder) sehr viel komplizierter.

Immokreditzinsen orientieren sich am Pfandbriefmarkt, wo sich die Banken refinanzieren, die Immo-Kredite ausgeben. Der Pfandbriefmarkt wiederum orientiert sich primär an den Bundesanleihen, vorrangig den 10jährigen, weil das die faktische Alternative für die Investoren darstellt: entweder Geld geht in Immobilien (über Immo-Kredite) oder Geld geht in Bundesanleihen. Beides ähnlich sichere Investments und beides langfristige Anlagen.

Daher folgen die Immobilienzinsen mehr oder weniger direkt den Zinsen auf 10jährige Bundesanleihen. Die aktuellen Leitzinsen haben wenig bis gar keinen Einfluss darauf, denn das, was die EZB da festlegt, sind die Overnight-Rates, also die Zinsen für sehr kurzfristiges, tägliches Leihen bzw. Parken von Geld. Der Interessentenkreis für diesen Zins ist aufgrund der Kurzfristigkeit des „Investments“ ein völlig anderer als der Interessentenkreis für 10jährige Bundesanleihen: wenn ich auf 10 Jahre Geld irgendwo sicher parken muss, dann nützt mir ein 4%-Zins, den ich bei der EZB gerade aktuell bekommen kann, gar nichts, weil der morgen schon wieder geändert werden könnte. Eine Bundesanleihe mit 2,5% Zins ist da viel interessanter, da deren Rendite mehr oder weniger genau dem erwarteten Inflationsverlust über die nächsten 10 Jahre entspricht, was exakt das ist, was ich bei einer hypothetisch 100% sicheren Anlage mit der Rendite ausgleichen will.

Deswegen gibt’s jetzt auch wieder Immo-Kredite für 3,x Prozent, obwohl die Leitzinsen noch bei >4% liegen.

Natürlich gibt es am Ende des Tages schon einen Zusammenhang zwischen den Leitzinsen und der Inflationserwartung, und da die Inflationserwartung prägend für die Rendite der 10jährigen Bundesanleihen ist, somit auch einen zwischen den Leitzinsen und den Immo-Kreditzinsen. Aber der Zusammenhang ist ein bidirektionaler: die Inflationserwartung formt die Leitzinsen ein gutes Stück weit mit, da die EZB mit ihrem Hebel über die kurzen Kreditzinsen versucht, die langfristige Inflationskurve zu beeinflussen, was sie nach geltender Lehrmeinung (und so lange der größte Teil der Marktteilnehmer glaubt, dass sie stimmt, stimmt sie) dazu zwingt, bei höherer Inflationserwartung mit höheren Zinsen zu kontern. Was aber viel spannender ist, sind die anderen Faktoren auf die Inflation, die z.B. @lu279 angerissen hat: etwa demografische Entwicklungen, die zu Arbeitskraftmangel führen, oder technologische Entwicklungen, die dem wiederum möglicherweise Abhilfe schaffen können. Auf diese Dinge hat die EZB allerdings keinen Einfluss, weswegen die Frage „Leitzinserhöhung richtig oder fatal“ bei genauerer Betrachtung eigentlich die falsche Frage ist.

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