LdN388 Bürger*innenräte - welche Macht den Moderator*innen?

Hallo liebes Lage-Team,

ich fand eure Ausführungen zu Bürgerinnenräten sehr spannend. Ich habe sie bis vor kurzem nur vielleicht - wie womöglich viele Andere auch - etwas zu naiv betrachtet und manche Schwierigkeiten solcher Gremien habt ihr ja auch in der Folge angesprochen.
Einen Aspekt fand ich aber noch interessant, der kürzlich im ZEITmagazin zur Sprache kam. In einem Artikel („Was machen wir mit 25 Millionen“ von Julia Friedrichs, ZEITmagazin 27/2024; siehe Verlinkunghttps://epaper.zeit.de/webreader-v3/index.html#/949285/26) ging es um einen Bürger
innenrat, der über die Verteilung eines Vermögens entscheiden sollte. In diesem Prozess kam jedoch einer Gruppe viel Einfluss zu, derer ich mir bis dahin gar nicht bewusst war: den Moderatorinnen. Sie wählten die zu hörenden Expertinnen aus, sie bestimmten die Tagesordnung.
Ich fand das sehr spannend und finde diesen Aspekt daher wichtig, bei der Diskussion um Bürger*innenräte zu berücksichtigen.
So oder so glaube ich aber weiterhin, dass sie eine gute Idee sind und wertvolle Beiträge und Erfahrungen schaffen können.

LG
Luis

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Ja das ist in der Tat ein sehr interessanter Aspekt. Wir Menschen sind immer leicht versucht nur monokratische Genehmigungsvorbehalte o.ä. als echte Intervention zu begreifen. Aber die Lenkungswirkung wie sie hier die Moderatorinnen haben, die Macht die der Vorsitz in anderen Kontexten etwa über die Tagesordnung hat (also was, wann diskutiert) etc sind riesige Lenkungswirkungen Diese ermöglichen es i.d.R. größeren, als unschicklich empfundenen, Eingriffen ins Verfahren vorbauen.
Deshalb würde ich mal die auf Luhmann gestützte These aufstellen: Bürgerräte sollen gar keine Lösungen erarbeiten oder Richtungen vorgeben. Sie produzieren vor allem Legitimität durch Verfahren. Sie ermöglichen es der höheren Entscheiderebene, unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der Bürgerräte, ihre Positionen besser vertreten können. (Umso wichtiger, dass man die „richtigen“ Ergebnisse der Bürgerräte durch Moderatoren präfiguriert).

Das sind auf jeden Fall wichtige Faktoren. Am Ende ist so ein Bürger:innenrat immer ein Stück weit eine Gratwanderung, denke ich. In einer idealen Welt würde der Rat sich selbst moderieren und gemeinsam entscheiden, welche Expert:innen geladen werden. Das kann aber natürlich für die gelosten Menschen schnell überfordernd werden.

Ich glaube, es gibt da einen Sweet Spot, wo der Rat einen Rahmen hat, in dem es Menschen gibt, die zuarbeiten können, ohne dass diese schon eine Stoßrichtung vorgeben, und so wie es im Artikel vom ZEITmagazin klingt, wurde dieser Sweet Spot da nicht erreicht.

Aber wenn man Bürger:innenräte als eine permanentere Institution etablieren möchte, wäre es nicht schwierig, eine Institution einzurichten, die Moderator:innen bzw. Referent:innen beschäftigt, und für diese Beschäftigten sinnvolle Verhaltensregeln aufzuerlegen.

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